„Adresshandel vor Gericht“: Unter dieser Überschrift stellt die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI) in ihrem Jahresbericht 2024 zwei aktuelle Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin zum Thema Adresshandel via Lettershop-Verfahren vor. Wie auch schon der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz in einem Fall von Adresshandel unter Einbeziehung eines Lettershops aus dem Jahr 2020 (der ebenfalls in einem Blogbeitrag besprochen wurde) sieht die Aufsichtsbehörde in Berlin hier eine gemeinsame Verantwortlichkeit der werbenden Stellen und der Adresshändler.
1. Was ist Adresshandel?
Der Adresshandel ist nach wie vor von hoher Relevanz für Wirtschaftsunternehmen und sonstige werbende Stellen. Um effektiv potenzielle Neukunden anzusprechen, wird nicht selten auf gehandelte Adressdatenbanken zurückgegriffen. Auf diese Weise können Werbeschreiben zielgenau an festgelegte Personengruppen versendet werden, deren Interesse geweckt werden soll. Häufig wird dabei das sog. Lettershop-Verfahren angewendet. Bei diesem Verfahren werden die Adressdatensätze nicht unmittelbar von der werbenden Stelle verarbeitet, sondern vom Adresshändler direkt an den Lettershop übersandt und dort mit dem Werbematerial zusammengeführt.
Das Problem dabei: So mancher Empfänger ist wenig erfreut über die häufig doch unerwünschte Werbung und wendet sich an die Aufsichtsbehörde.
2. Wahlwerbung und Eventanpreisung
Zwei Fälle von Wahlwerbung landeten 2024 nun vor dem Verwaltungsgericht Berlin. In beiden Fällen richteten Empfänger von Werbematerial eine Beschwerde an die BlnBDI. Zur Begründung führten sie an, ihre Daten der jeweiligen werbenden Stelle nie zum Zweck der erfolgten Werbung überlassen zu haben. Die BlnBDI stufte die Verarbeitung der Adressendaten als rechtswidrig ein. Zur Begründung führt sie an, dass die Verarbeitung ohne Rechtsgrundlage erfolgte und im Fall der Wahlwerbung auch die Erforderlichkeit fraglich gewesen sei. Gegen die Verwarnung beschritten die werbenden Stellen den Rechtsweg.
Werbende Stelle war im ersten Fall der Landesverband einer Partei. Diese hatte von einem Adresshändler Adressdaten mit den Merkmalen „Performer“, „konservativ-etabliert“ oder „liberal-intellektuell“ bezogen und unter Rückgriff auf einen Lettershop mehr als 130.000 Wahlwerbehefte postalisch versendet. Ebenfalls via Lettershop-Verfahren wurden im zweiten Fall Werbeschreiben für eine Kulturveranstaltung versandt. In diesem Fall hatte der Adresshändler dem werbenden Unternehmen Adresssätze mit den Merkmalen „wohnhaft in Berlin“ oder „wohnhaft in Brandenburg“ und „Kaufkraft stark überdurchschnittlich“ oder „Kaufkraft überdurchschnittlich“ zur Verfügung gestellt.
3. Gemeinsame Verantwortlichkeit im Rahmen des Adresshandels
Aus datenschutzrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, wer von den Akteuren denn nun überhaupt für die Datenverarbeitung verantwortlich ist. Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil die DSGVO an die Stellung des (jeweiligen Mit-)Verantwortlichen andere Verpflichtungen knüpft als an die des Auftragsverarbeiters. Die Kalkulation von Risiken im Zusammenhang mit der Datenschutz-Compliance setzt die Kenntnis der eigenen Rolle voraus.
Aber auch Betroffene stellen sich die Frage, an wen sie sich beispielsweise mit einem Auskunftsersuchen wenden müssen. Liegt eine gemeinsame Verantwortlichkeit vor, ist ein Vertrag im Sinne des Art. 26 Abs. 2 DSGVO zu schließen und die betroffenen Personen können ihre Rechte bei und gegenüber jedem einzelnen der Verantwortlichen geltend machen – hier also auch gegenüber dem Adresshändler. Bei einer Auftragsverarbeitung ist hingegen allein der Verantwortliche (d. h. in der Regel das werbende Unternehmen) in der Pflicht, Anträge betroffener Personen zu bearbeiten. Der Auftragsverarbeiter ist aufgrund des Auftragsverarbeitungsvertrags lediglich zur Erbringung von Unterstützungsleistungen verpflichtet.
Nach Einschätzung der BlnBDI haben die werbenden Stellen und die Adresshändler bei der Datenverarbeitung als gemeinsame Verantwortliche gehandelt. Gemäß Art. 26 Abs. 1 S. 1 DSGVO liegt gemeinsame Verantwortlichkeit vor, wenn
„zwei oder mehr Verantwortliche gemeinsam die Zwecke der und die Mittel zur Verarbeitung festlegen.“
Als gemeinsamen Zweck erachtet die BlnBDI in den hiesigen Fällen die Direktwerbung gegenüber den ausgewählten Adressaten. Dass die werbende Stelle selbst die Entscheidung getroffen hat, aktiv Direktwerbung unter Rückgriff auf gehandelte Adressen zu verschicken, dürfte grundsätzlich einleuchten. Dass der Adresshändler gleichermaßen über den Zweck der Verarbeitung entscheidet, ist jedoch nicht unumstritten. Teilweise wird hier auch von einer Auftragsverarbeitung i. S. d. Art. 28 DSGVO ausgegangen (vgl. beispielsweise das Kurzpapier Nr. 13 der Datenschutzkonferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK))
Auch die Festlegung des Mittels (Werbung im Lettershop-Verfahren) ist nach Ansicht der BlnBDI gemeinsam erfolgt. Das Lettershop-Verfahren sei in den konkreten Fällen durch die Adresshändler bestimmt worden, während die Inhalte der Werbung und die Empfänger durch die werbende Stelle (mit-)festgelegt worden seien.
Der gemeinsamen Verantwortlichkeit stehe insbesondere nicht entgegen, dass ein Lettershop eingesetzt wurde und die Adressdaten den werbenden Stellen nicht zugänglich gewesen seien. Zur Begründung verweist die BlnBDI auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach über die Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung auch entscheiden könne, wer nicht unmittelbar selbst Daten verarbeitet und nicht unmittelbar auf die Daten zugreifen kann.
3. Fazit
Die beiden vorgestellten Fälle zeigen: Das Thema des Adresshandels ist nach wie vor aktuell und damit zusammenhängend die Frage nach der Verantwortlichkeit. Eine abschließende Klärung dieser Frage durch den EuGH ist bislang nicht erfolgt. Die Frage wird nach wie vor von Aufsichtsbehörden, Gerichten und in der juristischen Literatur unterschiedlich beantwortet.
Nicht selten aber beschweren sich Empfänger von Werbepost bei der Aufsichtsbehörde, so dass eine Prüfung erfolgt. Es ist daher für werbende Stellen und Adresshändler ratsam, eine genaue Prüfung vorzunehmen: Welche Vereinbarungen wurden konkret getroffen? Bestimmt (auch) der Adresshändler über die Gestaltung des Versandverfahrens? Da die Abgrenzung häufig nicht ganz einfach ist, ist es empfehlenswert, hier fachkundigen Rat einzuholen.
Da der Landesverband der Partei das Gerichtsverfahren nicht weiter betrieben hat, gilt die Klage in diesem Fall als zurückgenommen. Infolgedessen ist die Verwarnung bestandskräftig geworden und eine inhaltliche Klärung durch das Gericht wird nicht mehr erfolgen. Die gerichtliche Bewertung der Frage der gemeinsamen Verantwortlichkeit durch das Verwaltungsgericht Berlin im Verfahren des Kulturunternehmens wird für das kommende Jahr erwartet.