Wer im Großraum Karlsruhe wohnt und gestern einen großen dumpfen Knall vernommen hat, der dürfte wohl den Paukenschlag gehört haben, der zur jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Sachen Facebook erklungen ist.
Warum so wichtig?
In der Öffentlichkeit gibt sich Facebook gerne als den gönnerhaften Kommunikationsmittler, die neutrale Plattform für die Vernetzung der Welt. Dass aber auch knallharte ökonomische Fakten eine (gewichtige) Rolle spielen, findet vergleichsweise selten Erwähnung. Nun hat der BGH den Internet-Giganten auf den rechtlichen Boden der Tatsachen zurückgeholt – zumindest vorläufig.
„Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.“ Und eben dies treffe auf Facebook zu, so das oberste deutsche Zivilgericht in einem gestern ergangenen Beschluss des Kartellsenats. So schlicht, wie der Wortlaut von § 19 Abs. 1 GWB daherkommt, so durchschlagend ist seine Wirkung. Denn schließlich knüpft das Gesetz daran zahlreiche Sanktionen, die seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundeskartellamt, verhängt werden können, darunter etwa millionenschwere Bußgelder oder gar eine Untersagung des Geschäftsbetriebs. So war auch im vorliegenden Fall der Auslöser für die Verhandlung vor Gericht die Untersagung der Behörde, Nutzungsbedingungen so zu verwenden, wie es bei Facebook aktuell Geschäftspraxis ist.
Was hat das Kartellrecht mit Datenschutz zu tun?
„Bundeskart… wie bitte?“ Die Verwunderung erscheint auf den ersten Blick absolut berechtigt. So hat die Entscheidung zunächst einmal wegweisende Bedeutung für das „Kerngebiet“ Kartellrecht. Doch dem Datenschützer ist die Verwebung mit anderen Rechtsgebieten keineswegs fremd: So sind bei der Beurteilung von Fragen des Personalwesens regelmäßig auch Entscheidungen der Arbeitsgerichte sowie einschlägige Vorschriften aus dem Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen. Und auch die Verknüpfung mit dem Wettbewerbsrecht ist (nahezu) allgegenwärtig – man denke hier an die Frage der Wirksamkeit von Werbe-Einwilligungen oder die Gestaltung von E-Mail-Kampagnen im Rahmen des § 7 UWG.
Die Brücke zum Datenschutz schlägt der BGH in folgendem Satz aus der Pressemitteilung:
„Die fehlende Wahlmöglichkeit der Facebook-Nutzer beeinträchtigt [..] ihre persönliche Autonomie und die Wahrung ihres – auch durch die DSGVO geschützten – Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.“
Zur Erinnerung
Bereits 2016 hatte das Bundeskartellamt Facebook vorgeworfen, seine möglicherweise marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke durch die Ausgestaltung seiner Vertragsbestimmungen missbraucht zu haben (vgl. hier). Im Februar vergangenen Jahres hatte das Bundeskartellamt Facebook dann verboten, die Daten, die bei der Benutzung von Facebook anfallen, mit Informationen aus anderen Quellen, wie etwa die Nutzungsdaten von WhatsApp und Instagram oder die Daten aus Custom Audience, Gefällt mir-Button etc., zusammenzuführen (wir berichteten). Das OLG Düsseldorf kassierte am 26.08.2019 die Entscheidung des Bundeskartellamts. Gegen diese Entscheidung wiederum ging das Bundeskartellamt vor, was zu der jetzigen Entscheidung des BGH geführt hat.
Was bedeutet die Entscheidung für die Anwendung der DSGVO?
Angesichts dieser überaus deutlichen Bezugnahme auf die Rechte der betroffenen Personen (was nicht nur die registrierten Nutzer von Facebook sein können!), drängt sich eine Frage geradezu auf: Was bedeutet das für die datenschutzrechtliche Beratungspraxis?
Obgleich bislang nur eine Pressemitteilung vorliegt und es sich wiederum „nur“ um einen einstweiligen Beschluss handelt, enthält die Meldung doch zahlreiche bemerkenswerte Einzelheiten:
- Facebook ist auf zweierlei Märkten aktiv: Zum einen dient es privaten Nutzern als Plattform zur Selbstdarstellung und zum anderen als Werbe-Netzwerk für Unternehmen. Es ist also mitnichten so, dass das eine lediglich die mehr oder weniger willkommene „Begleiterscheinung“ des anderen ist.
- Es ist (noch) offen, ob die Bildung von Profilen der Nutzer basierend auf Informationen sowohl innerhalb als auch außerhalb von Facebook mit der DSGVO in Einklang steht. Möglicherweise ergibt die Verhandlung in der Hauptsache weitere aufschlussreiche Details, die zu einer Stärkung des Datenschutzes als Wettbewerbsfaktor führen können.
- Daneben „bestehen [keinerlei] ernsthafte Zweifel an der marktbeherrschenden Stellung“ des Unternehmens. Das ist in dieser sprachlichen Deutlichkeit schlicht und ergreifend ein Knaller und dürfte allen Mahnern vor „Datenkraken“ jedweder Art Balsam auf die Seele der Selbstbestimmung sein.
- Das Gericht betont dabei „die hohe Bedeutung [..], die dem Zugriff auf Daten aus ökonomischer Perspektive zukommt.“ Hier bekommt die Floskel, Daten seien (wahlweise) das Öl bzw. der Rohstoff des Digital-Zeitalters endlich die Bedeutung zugesprochen, die ihr rechtlich gebührt.
- Ferner thematisieren die Richter auch die sog. „Lock-in-Effekte“. Nach der Friss-oder-stirb-Mentalität hat derjenige schlechte Karten, der sich zwar an sich ein sog. soziales Netzwerk wünscht, dies aber ohne Zwangs-Be-Werbung nutzen möchte: Es gibt schlichtweg keine „echte“ Alternative; eben keinen funktionierenden Wettbewerb unter gleichberechtigten Anbietern.
Wie wirkt sich das Urteil auf die Nutzung von Facebook aus?
Zunächst einmal wird sich aber nicht viel ändern – jedenfalls nicht allzu kurzfristig; das verkündete gestern eine Sprecherin des Internetkonzerns unmittelbar nach dem Gerichtstermin. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es sich um eine vorläufige Entscheidung (im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes) handelt.
Trotzdem dürfte Facebook kaum darum herumkommen, für die Zukunft etwas an seinen Nutzungsbedingungen und damit an seinem Geschäftsmodell zu ändern. Davon abgesehen ist von einer Signalwirkung auch für andere Betreiber ähnlicher Geschäftsmodelle auszugehen. Überall dort, wo bislang entgeltfreie werbefinanzierte Portale betrieben werden, dürfte starkes Stirnrunzeln einsetzen. Zwar ist nicht unbedingt jedes Unternehmen, das ein Gewinnspiel veranstaltet, auch zugleich marktbeherrschend, okay. Aber trotzdem knüpft die aktuelle Entscheidung des BGH an eine Problematik, die schon seit geraumer Zeit auch unter Datenschützern leidenschaftlich diskutiert wird: Ist eine Einwilligung zur Nutzung eines (Internet-) Dienstes freiwillig, wenn als Gegenleistung zwar keine klingende Münze verlangt wird, ich als Nutzer aber nicht umhinkomme, eine gewisse (möglicherweise recht umfangreiche) Menge an Daten von mir preiszugeben?
Applaus für den BGH
Wie auch immer das weitere Verfahren ablaufen und wie auch immer die endgültige Entscheidung aussehen mag – die Verkündung des BGH zur Ausnutzung von Facebooks Marktmacht ist schon jetzt ein deutliches Ausrufezeichen. Sie scheint eine Entwicklung geradezurücken, die in den vergangenen Jahren eine gewisse Eigendynamik (oder, je nach Blickwinkel, eine Art Verselbstständigung) erfahren hat: Der Einzelne ist mehr als nur die Summe seiner Daten, die er mitbringt und artig „abliefert“. Dazu passt auch eine der ursprünglichen Ideen der DSGVO, nämlich große international agierende Anbieter stärker in die Verantwortung zu nehmen. Dies sollte dazu führen, das Verhältnis zwischen dem „kleinen“ Nutzer und dem „großen“ Diensteanbieter stärker ins Gleichgewicht zu bringen.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Bundeskartellamt wird sicherlich auf den Vollzug seiner Entscheidung drängen, was bedeutet, dass Facebook sich an die Änderung seiner Nutzungsbedingungen machen müsste.
Parallel dazu wird das Hauptsacheverfahren vor dem OLG Düsseldorf weitergeführt werden. Nicht auszuschließen ist, dass das OLG anders entscheidet als jetzt der BGH. Auch möglich ist, dass der EuGH im Hauptsacheverfahren angerufen wird. Es ist also keineswegs alles entschieden und keinesfalls gibt es einen abschließenden Sieger.
AR
24. Juni 2020 @ 15:42
Spannender, interessanter, informativer und leicht verständlicher Beitrag! Vielen Dank dem Autor.