Willkommen zur Gala der digitalen Grenzüberschreitungen! Die BigBrotherAwards 2025 wurden wieder einmal mit der Eleganz eines Datenschutz-Alarms verliehen – ein Abend, an dem man sich fragt, ob Orwell nicht doch ein Zeitreisender war. Während andere Preise für Innovation und Fortschritt stehen, feiern die BigBrotherAwards jene, die sich mit besonders viel Eifer an der Privatsphäre der Bürger vergreifen. Oder wie man es auch nennen könnte: die Oscars der Überwachung.
Folgende Gewinner in den Kategorien haben sich Ihren Platz am digitalen Pranger redlich verdient:
Kategorie Technik: Google – Der Gemini-Effekt
Google erhielt den Negativpreis für seinen neuen KI-Assistenten Gemini, der sich auf Android-Geräten wie ein trojanisches Pferd einnistet – nur ohne Holz und mit deutlich mehr Cloud-Anbindung.
Was ist passiert? Mit einem Software-Update wurde der bisherige Google Assistant heimlich durch Gemini ersetzt. Die Nutzer wurden weder gefragt noch gewarnt. Die neue KI ist nicht nur gesprächiger, sondern auch neugieriger: Sie greift auf umfangreiche Nutzungs- und Kommunikationsdaten zu, darunter auch Chatverläufe, die zur Verbesserung der KI verwendet und von menschlichen Prüfern analysiert werden können – ohne Zustimmung der Kommunikationspartner.
Die Deaktivierung von Gemini ist ein Abenteuer für sich: Wer die KI loswerden will, muss sich durch mehrere verschachtelte Menüs kämpfen. Besonders brisant: Während der alte Assistant noch lokal arbeitete, lebt Gemini größtenteils in der Cloud – sprich: auf Googles Servern. Damit verlassen intime Daten das Gerät und landen in einem System, dessen Nutzungsmöglichkeiten für Google weit über das hinausgehen, was Nutzer erwarten oder erlauben würden.
Die Jury kritisierte, dass Gemini nicht nur ein technisches Feature sei, sondern ein zentraler Zugriffspunkt auf das digitale Leben der Nutzer. Ein Assistent, der nicht nur hilft, sondern auch mithört, mitliest und mitlernt – und dabei die Grenze zwischen Komfort und Kontrolle verwischt.
In dem Gemini Apps Privacy Hub steht:
Zu diesen Zwecken (ergänzt: Training der KI) werden einige der von uns erhobenen Daten von Prüfern (einschließlich Prüfern unserer Dienstleister) überprüft. Geben Sie keine vertraulichen Informationen ein, die ein Prüfer nicht sehen oder die Google nicht zur Verbesserung seiner Dienste, einschließlich Technologien für maschinelles Lernen, verwenden soll.
Kategorie Behörden und Verwaltung: Alexander Dobrindt – Minister der Gesichtserkennung
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) wurde für sein geplantes „Sicherheitspaket“ ausgezeichnet – ein Maßnahmenbündel, das laut Jury den Weg in einen Überwachungsstaat ebnet.
Kernstück des Pakets ist der Einsatz von Gesichtssuchmaschinen wie Clearview AI und PimEyes. Diese durchforsten das Internet nach Bildern von Gesichtern – egal ob sie mit oder ohne Zustimmung veröffentlicht wurden. Die Anbieter sind bekannt für ihre datenschutzwidrigen Praktiken und operieren bewusst außerhalb regulierter Rechtsräume: PimEyes wanderte von Polen über die Seychellen nach Georgien, Clearview AI sitzt in den USA und die Vollstreckung von Bußgeldern gelang bisher dort nicht.
Dobrindts Ministerium plant, mit diesen Anbietern zusammenzuarbeiten. Besonders kritisch: Die biometrische Vermessung aller im Netz verfügbaren Gesichter verstößt gegen Artikel 9 der DSGVO, der den Schutz besonders sensibler Daten regelt.
Zusätzlich prüft Dobrindt den bundesweiten Einsatz der Palantir-Software „Gotham“, die bereits in Hessen unter dem Namen „Hessendata“ für Schlagzeilen sorgte. Diese Software analysiert riesige Datenmengen und soll polizeiliche Ermittlungen unterstützen – Kritiker sehen darin jedoch den Ersatz echter Ermittlungsarbeit durch algorithmische Rasterfahndung.
Die Laudatorin Elisabeth Niekrenz sprach von einem „toxischen Cocktail“ aus Gesichtserkennung und KI-gestützter Überwachung, der nicht nur Verdächtige, sondern die gesamte Bevölkerung ins Visier nimmt. Dobrindt bringe Deutschland damit „einen Schritt näher an die Dystopie totaler Überwachung“.
Kategorie Arbeitswelt: Das Verwaltungsgericht Hannover und das Bundesarbeitsgericht teilen sich den Preis für krasse Fehlurteile in Sachen Amazon
Unschöne Premiere zur diesjährigen Preisverleihung: Zum ersten Mal in der 25-jährigen Geschichte des BigBrotherAwards wurden nicht Unternehmen, sondern Gerichte ausgezeichnet – und das aus gutem Grund.
Zwei deutsche Gerichte haben Urteile gefällt, die den Datenschutz und die Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten massiv untergraben und dabei erschreckend offen die Interessen des US -Konzerns bedienen.
Fall 1: Verwaltungsgericht Hannover
Beschäftige im Amazon-Logistikzentrum in Winsen an der Luhe werden lückenlos überwacht und das nach Ansicht des Gerichts ganz legal!
Kameras, Handscanner und detaillierte Leistungsanalysen bestimmen den Arbeitsalltag. Mitarbeiter berichten von einem „Klima der Angst und des Misstrauens.“ Bereits 2017 beschwerte sich der Betriebsrat bei der zuständigen Aufsichtsbehörde. 2020 fällte die niedersächsische Aufsichtsbehörde nach langem Hin und Her einen Beschluss gegen Amazon mit der Begründung, dass Amazon auf schwerwiegende Art und Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten eingreife. Die Dauerkontrolle sei nicht erforderlich und unverhältnismäßig. Amazon nutzt die Leistungsdaten für personelle Maßnahmen. Für befristet Beschäftige gilt, wer nicht schnell genug arbeitet, bekommt keine Vertragsverlängerung und die übrigen Beschäftigten müssen sich in eng getakteten Feedbackgesprächen rechtfertigen.
Gegen den Beschluss zog Amazon vor die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover. Nicht nur, dass das Gericht der Klage Amazons stattgegeben hat – verhandeln wurde sogar in den Geschäftsräumen von Amazon! Also am Ort der Tat. Das Gericht schien es hierbei weder zu interessieren, dass Beschäftigte unter diesen Umständen wohl kaum unbefangen aussagen würden, noch machte es sich die Mühe sich ernsthaft mit den widersprechenden Rechten und Interessen auseinanderzusetzen. Vielmehr übernahm es nahezu alle Argumente des Konzerns und erklärte die Datenerfassung sogar zum „Eigeninteresse“ der Beschäftigten. Die Datenschutzbeauftragte hat gegen dieses skandalöses Urteil Berufung eingereicht.
Fall 2: Bundesarbeitsgericht
Der Betriebsrat der Amazon Logistik GmbH in Bad Hersfeld verweigerte seine Zustimmung zur Einführung der Personalsoftware „People Engine / New HCM“. Die Amazon-Konzernzentrale schreibt diese Software weltweit vor. Der Betriebsrat argumentierte, dass die Datenverarbeitung in den USA erfolge, somit außerhalb deutscher Kontrolle liege und deshalb unzulässig sei. Das Arbeitsgericht Fulda wies die Klage mit der fragwürdigen Begründung ab, Betriebsvereinbarungen würden nicht allgemein der Einhaltung des Datenschutzes dienen und der Einführung der Software könne daher auch nicht mit Datenschutzargumenten untersagt werden. In der Revision bestätigte das Landgericht Hessen die Ansicht der Richter in Fulda und stellte die Unzulässig vor dem Bundesarbeitsgericht fest. So landete der Fall vor dem 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts. Doch auch das Bundesarbeitsgericht ignorierte bei seiner Entscheidungsfindung das klare Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Urteil v. 19.12.2024 – C-65/23), welches die DSGVO auch bei einer mitbestimmungspflichtigen Datenverarbeitung für verbindlich erklärt. Das Bundesarbeitsgericht machte sich keinerlei Mühen und wies die Klage bereits wegen Unzulässigkeit zurück.
Die Aussage und Tragweite der Urteile sind gravierend: Arbeitsgeber können sich bei Datenschutzverstößen auch in mitbestimmungspflichtigen Verfahren einfach stur stellen, Gerichte folgen der Argumentation globaler Konzerne statt dem Schutz von Grundrechten und Betriebsräte verlieren an Einfluss und damit eine zentrale demokratische Instanz in der Arbeitswelt. Auch spiegelt das Urteil die Untätigkeit des Gesetzgebers wider, denn ein modernes Gesetz zum Beschäftigtendatenschutz fehlt bis heute. Die aktuellen Regelungen stammen aus den 1970er Jahren, also lange bevor Datenschutz ein Grundrecht wurde.
Kategorie Social Media: TikTok
Nicht wirklich überraschend geht der Preis an TikTok für die Verletzung des Datenschutzes, der Verbreitung von Fake-News und Hatespeech, die Manipulation von Menschen in Bezug auf ihre politischen Überzeugungen, ihre Wertevorstellungen und ihr Konsumverhalten durch undurchsichtige Algorithmen und die Schaffung von Abhängigkeiten, insbesondere bei Minderjährigen. Wie bereits bekannt, ist TikTok längst nicht mehr lediglich eine Plattform für kurze und unterhaltsame Videos. Es ist ein globales Geschäftsmodell, das auf der systematischen Ausbeutung persönlicher Daten, psychologischer Manipulation und politischer Einflussnahme basiert und ist damit ein Paradebeispiel für die dunkle Seite der digitalen Welt.
TikTok sammelt bei jeder Nutzung hunderte Datenspuren – von Gerätedaten bis zur exakten Verweildauer pro Video und eine Auskunft über die Datenverarbeitung oder sonstige datenschutzrechtliche Ansprüche laufen ins Leere. Die Datenverarbeitung erfolgt auch in China, also außerhalb jeglicher Kontrolle durch europäische Behörden. Die App fördert Konsumzwang, verbreitet Falschinformationen und rechtsextreme Inhalte, während konstruktive politische Beiträge unterdrückt werden und stellt somit eine ernsthafte Gefahr für eine demokratische und solidarische Gesellschaft.
Kategorie Was mich wirklich wütend macht: Bürokratieabbau
Entgegen der ansonsten verbreiteten Ansicht, es bräuchte weniger Bürokratie, richtet sich der Award gegen den Bürokratieabbau und plädiert für mehr digitale Souveränität durch mehr Unabhängigkeit von den Big Playern. Statt die öffentlichen Einrichtungen, Bildungsreinrichtungen und Unternehmen bei dem Loslösen von den großen US-Konzernen wie Microsoft, Google und Amazon zu unterstützen, werden US-Interessen oft bevorzugt, teils unter politischem Druck. Dabei hätte Europa mit seinem großen Markt die Macht, eigene Regeln durchzusetzen. Dies gilt es gezielt durch öffentliche Aufträge, Investitionen in Forschung und die Unterstützung innovativer europäischer Unternehmen zu fördern.