Das sogenannte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1983 bezüglich einer für dasselbe Jahr geplanten Volkszählung gehört zu den maßgeblichen Gerichtsentscheidungen im Bereich des Datenschutzrechts. In diesem Urteil definierte das BVerfG das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ als Grundrecht, auf dem das gesamte Datenschutzrecht in Deutschland mehr oder weniger basiert. Für das Jahr 2021 ist wieder eine Volkszählung („Zensus“) geplant und die Vorbereitungen von staatlicher Seite laufen bereits. Und auch diesmal ist die geplante Volkszählung ein Fall für das BVerfG und das bereits jetzt:

Hintergrund

Aufgrund der EU-Verordnung 712/2017 ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, der Europäischen Kommission im Jahr 2021 statistische Daten für eine geplante Volkszählung zu übermitteln. Die Erhebung dieser Daten wird in erster Linie „register­gestützt“ erfolgen. Basis der zu übermittelnden Daten werden also vor allem die deutschen Melde­register sein. Sogenannte Personen­erhebungen (also bspw. Haushalte­befragung auf Stichproben­basis) kommen ergänzend hinzu.

Melderegister sind in Deutschland dezentral organisiert und werden von den Einwohnermeldeämtern geführt. Hiervon gibt es 5283 Stück. Eine zentrale Stelle mit Zugriff auf sämtliche Meldedaten deutscher Bürger gibt es bislang nicht. Dies stellt wohl vor allem eine Vorsichtsmaßnahme dar, um etwaigen Missbrauch von sensiblen Daten, die andernfalls in einem bundesweiten Melderegister vorhanden wären, zu vermeiden.

Die Durchführung des für 2021 geplanten Zensus wird in Deutschland vom Statistischen Bundesamt koordiniert, welches als Behörde dem Bundesinnenministerium untergeordnet ist.

Zur Vorbereitung des Zensus 2021 gibt es das Zensusvorbereitungsgesetz 2021. In dessen § 9a ist geregelt, dass die Melderegister eine ganze Reihe Meldedaten an das Statistische Bundesamt übermitteln mussten. Diese Übermittlung diente zur Prüfung der Übermittlungswege und der Qualität der zum Zensus 2021 zu übermittelnden Daten aus den Melderegistern sowie zum Test und zur Weiterentwicklung der Programme für die Durchführung des Zensus 2021. Sie begann am 13. Januar 2019 und musste innerhalb von 4 Wochen abgeschlossen sein. Betroffen waren dabei Datenkategorien wie Name, Adresse, Geburtsdatum, Familienstand, Datum des Beziehens der Wohnung, Datum der letzten Eheschließung oder Begründung der letzten Lebenspartnerschaft und rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft. Die Daten sollen nach dem Zensusvorbereitungsgesetz spätestens nach zwei Jahren gelöscht werden. Eine Verwendung der Daten zu anderen Zwecken ist nach dem Gesetz untersagt.

Dennoch: Es wird ein gewaltiger zentraler Datenpool mit Angaben zu allen in Deutschland in Melderegistern gemeldeten Personen allein zu Testzwecken geschaffen. Dabei ist unklar, ob die Verwendung dieser Echtdaten zu Testzwecken überhaupt erforderlich ist. Echtdaten ohne Pseudonymisierung dürfen nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen nur dann verwendet werden, wenn dies tatsächlich erforderlich ist. Dasselbe gilt für die Menge der verwendeten Datensätze. Zu Testzwecken hätten möglicherweise anonyme, pseudonymisierte oder zumindest weniger Echtdaten genügen können.

Gegen diese Datenübermittlung wurde am 10. Januar 2019 ein Eilantrag beim BVerfG gestellt. Die Antragsteller (Mitglieder der Gesellschaft für Freiheitsrechte, einer NGO aus Berlin) machen eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geltend. Die Übermittlung der nicht anonymisierten Daten lasse Rückschlüsse auf den Kernbereich der privaten Lebensführung zu. Dies stehe außer Verhältnis zum Nutzen einer Erprobung und Optimierung der bereits weitgehend erprobten Übermittlungswege und Programme, zumal der Zweck der Übermittlung auch durch eine Übermittlung anonymisierter Daten – gegebenenfalls ergänzt um nicht anonymisierte Stichproben in geringem Umfang – in vergleichbarer Weise erreicht werden könnte. Ziel des Eilantrags war der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Datenübermittlung.

Was hat das BVerfG entschieden?

Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 06. Februar 2019 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Datenübermittlung zu Testzwecken abgelehnt. In einer Pressemitteilung vom 07. Februar 2019 heißt es:

„Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Der Ausgang einer gegebenenfalls noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde ist offen. Sie ist weder offensichtlich unzulässig noch unbegründet, da in der Kürze der Zeit beispielsweise nicht abschließend geklärt werden konnte, ob für den Testdurchlauf nicht auch geringere Datenmengen oder eine begrenztere Übermittlung oder Speicherung ausreichend gewesen wäre.

Das Bundesverfassungsgericht hat daher auf Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei hat es die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung erginge, die Verfassungsbeschwerde jedoch erfolglos wäre, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt würde, die Verfassungsbeschwerde letztlich aber Erfolg hätte. Wird – wie vorliegend – die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist wegen des Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ein besonders strenger Maßstab an die Folgenabwägung anzulegen.

Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, hätte eine potentielle Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, würden alle Daten der Beschwerdeführer für die Testzwecke zusammengeführt, obwohl dies nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig wäre. Angesichts der eng begrenzten Verwendungszwecke und der strengen Vorgaben der Geheimhaltung überwiegt der Nachteil einer möglicherweise unverhältnismäßigen Speicherung nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit gegenüber dem Interesse daran, durch einen Testlauf eine reibungslose Durchführung des Zensus 2021 zu ermöglichen. Die Behörden dürfen die Daten nur zur Vorbereitung des Zensus nutzen. An den Inhalt der Daten selbst dürfen sie hierfür nicht anknüpfen und an ihm haben sie auch keinerlei Interesse. Demgegenüber ist nach dem bei vorläufiger Betrachtung nicht unplausibel erscheinenden Vortrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat der Probedurchlauf mit nicht anonymisierten Daten aller Meldebehörden erforderlich, um die Qualität der Merkmale und der Programme effektiv überprüfen zu können.“

Die Antragssteller haben bereits angekündigt Verfassungsbeschwerde zu erheben. Dies ist trotz der Entscheidung über den Eilantrag durch das BVerfG möglich. Wir werden zu diesem Thema weiter berichten.

Update 19.02.2019

Wir haben die NGO, die den Eilantrag gestellt hat, namentlich benannt. Es handelt sich um die Gesellschaft für Freiheitsrechte.