Das Auskunftsrecht bzw. Recht auf Kopie nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO ist eines der zentralen Betroffenenrechte im Datenschutz. Es dient der Überprüfung von Datenverarbeitungen gegenüber betroffenen Personen und ist Grundlage für die Wahrnehmung weiterer Rechte wie Berichtigung (Art. 16 DSGVO), Löschung (Art. 17 DSGVO) und Widerspruch (Art. 21 DSGVO).
Die Grenzen des Auskunftsrechts finden sich insbesondere in Art. 12 Abs. 5 DSGVO (Unbegründetheit und Exzess des Anspruchs) sowie in Art. 15 Abs. 4 DSGVO (Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten Dritter) wieder. Ausführlicher wurden diese Grenzen auch bereits letztes und dieses Jahr auf diesem Blog erläutert.
Vermehrt werden Auskunftsansprüche dabei in Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten geltend gemacht, was möglicherweise wiederum zu (weiteren) Rechtsstreitigkeiten über den Umfang der Datenherausgabe an sich führen kann. Während bspw. das Recht auf Löschung im Falle einer Rechtsstreitigkeit, welche die entsprechenden Daten betrifft, nicht erfüllt werden muss (Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO), kennt Art. 15 DSGVO keinen vergleichbaren Wortlaut für das Recht auf Auskunft und Kopie. Die streitenden Parteien (zumeist Kläger) machen hier oftmals von diesem datenschutzrechtlichen Anspruch Gebrauch, um brisante Informationen von der Gegenseite zu erhalten und diese im Rechtsstreit gegen sie zu verwenden oder um die Gegenseite womöglich abzuschrecken bzw. zu schikanieren.
Wie Gerichte solche Auskunftsersuchen bewerten
Für viel Aufsehen sorgte ein BGH-Urteil aus dem Juni 2021 (Az. VI ZR 576/19), welches den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO im Hinblick auf den Umfang der Datenverarbeitung („jegliche Form von internen Dokumenten und Informationen“) als auch die Motivationsgrundlage der betroffenen Person (Bewusstwerden, Überprüfung der Richtigkeit und Zulässigkeit der Verarbeitung) hervorhob. Dieses Urteil hat auch Auswirkungen auf die Verwendung in Rechtsstreitigkeiten, da es sich um höchstrichterliche Rechtsprechung handelt. Es wird von Kritikern fast als eine „Büchse der Pandora“ verstanden, die die vorprozessuale Ausspähung der Gegenpartei ermöglichen könnte. Der Art. 15 DSGVO erscheint also inzwischen als eine Art „Allzweckwaffe“ auf dem Boden des Datenschutzrechts: Ansprüche auf Auskunft und Kopie werden mittlerweile sowohl in unterschiedlichen Stadien (bereits laufende als auch sich anbahnende Rechtsstreitigkeiten), von den jeweiligen Prozessparteien (Kläger und Beklagte) und in diversen Rechtsgebieten (z. B. im Arbeitsrecht oder Familienrecht), geltend gemacht. Dennoch ist inzwischen ein Trend in der Rechtsprechung erkennbar, der insbesondere im Rahmen der Unbegründetheit und des Exzesses den sog. datenschutzrechtlichen Riegel vorschiebt:
Im Dezember 2021 entschied das LG Paderborn (Az. 4 O 275/21), dass eine Auskunftsanfrage bei einer Unbegründetheit, die aufgrund einer Zweckentfremdung des Anspruchs vorliegt, verweigert werden darf. Spannend war hier, dass noch kein Rechtsstreit zwischen den Parteien vorlag, sondern dass das Gericht annahm, dass der Anspruchsteller auf Grundlage der eingeforderten Daten, eine Leistungsklage gegen den datenschutzrechtlich Verantwortlichen initiieren würde.
Etwas vorsichtiger war hingegen das LG Bonn im Jahre 2022 (Az. 9 O 158/21), dass eine Auskunftsanfrage in Zusammenhang mit einem Rechtsstreit über Krankenversicherungstarife für zulässig erklärte, wenn die Daten(-verarbeitungen) dem Kläger bereits bekannt sind. Interessanterweise lag hier also kein Fall von Unbegründetheit (nach Art. 12 Abs. 5 DSGVO) vor.
Weiterhin entschied das AG Pforzheim im August 2022 (Az. 4 C 1845/21), dass ein Auskunftsersuchen unzulässig sei, weil der Kläger dieses als Hilfsmittel einsetze um die Gegenseite in einer familienrechtlichen Auseinandersetzung zu schikanieren. Es handelt sich hierbei also um einen klaren Fall von Rechtsmissbräuchlichkeit.
Ein weiterer, ähnlich gelagerter, Fall wurde auch schon auf diesem Blog besprochen.
Bereits vor dem erwähnten BGH-Urteil entschied das LG Frankenthal im Januar 2021 (Az. 1 HK O 4/19), die Unzulässigkeit eines Auskunftsersuchens eines Arbeitnehmers gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber, welcher wiederum den Arbeitnehmer für den fehlerhaften Einsatz einer Software auf Schadensersatz verklagte. Grundlage war die Zweckentfremdung des Anspruches, welcher nicht mehr auf das Bewusstwerden der stattfindenden Datenverarbeitung und Überprüfung der Rechtmäßigkeit fußte, sondern eine Hinauszögerung der Haftungsklage bzw. Verbesserung der Verhandlungsposition bezweckte. Die Position begründete sich auch auf die fehlende Konkretisierung des Auskunftsverlangens des ehemaligen Beschäftigten.
Exkurs: Das Auskunftsersuchen im Rechtsstreit als europäisches Alleinstellungsmerkmal?
Besonders interessant war in diesem Urteil des LG Frankenthal der Verweis, dass die Praxis der vorherigen Bekanntgabe von Beweismitteln (sog. „pretrial discovery“) im Prozessrecht der Länder des Common Law (z.B. UK, USA) grds. vorgesehen ist und nach dem deutschen Beibringungsgrundsatz nicht. Somit lässt sich festhalten, dass die verpflichtende Offenlegung als auch die damit verbundenen Aufbewahrungspflichten bei andauernden und mehrstufigen Verfahren und die daran geknüpfte Verfolgung von (Rechts-)Interessen eine Zweckentfremdung der DSGVO darstellen würde. Die Problematik der Kollision dieser gegensätzlichen datenschutzrechtlichen Sichtweisen bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten bzw. in Rechtssystemen die der DSGVO aber auch den Prinzipien des Common Law unterworfen sind (Irland) mag an anderer Stelle nochmal aufgegriffen werden.
Auch Gerichtsakten nicht über Auskunftsersuchen einsehbar
Darüber hinaus ist auch eine Gerichtsakteneinsicht durch ein Auskunftsersuchen auf Grundlage von Art. 15 DSGVO laut diverser deutscher Gerichte unzulässig. Die Ablehnung eines Auskunftsersuchens begründete das OLG Köln im Januar 2022 (Az. 7 VA 20/21) damit, dass der Inhalt einer Gerichtsakte nicht nur die Daten der betroffenen Person, sondern auch die Daten des Prozessgegners enthalte. Der Anspruch begrenzt sich hier auf eine Kopie der eigenen personenbezogenen Stammdaten, welche bereits durch eine vorherige Auskunftsanfrage an Prozessgegner bereitgestellt wurden. Die Gesetzeslage zur Akteneinsicht machte einen Monat später ein Urteil des FG Münster (Az. 6 K 3515/20) deutlich, welche das wortwörtliche Akteneinsichtsrecht (z. B. in § 299 ZPO oder § 147 StPo) in Zusammenhang mit dem gesetzlichen Anspruch auf Informationserteilung als einzige zulässige Grundlage hervorhob.
Geschäftsgeheimnisse und anwaltliches Vertrauensverhältnis als weitere Schutzbereiche
Zudem könnten sich Verantwortliche bei der Ablehnung von Auskunftsersuchen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten auch auf Geschäftsgeheimnisse oder insbesondere das anwaltliche Vertrauensverhältnis berufen. Ein effektiver Rechtsschutz setzt streng genommen voraus, dass der Gegenpartei keine die Prozessstrategie betreffende Informationen inkl. personenbezogener Daten zugänglich gemacht werden dürfen. Wie weit dieser Rechtsschutz greift ist aber nicht eindeutig bestimmbar. Bspw. dürften frühere Personalakten hiervon nicht erfasst sein.
Fazit
Der Verwendung von Art. 15 DSGVO als „Allzweckwaffe“, um sich verfahrensstrategische Vorteile zu verschaffen, wird weiterhin diskutiert und näher bestimmt werden müssen. Es scheint aber so zu sein, als ob die Rechtsprechung die Grenzen des Auskunftsanspruches deutlicher macht. Allerdings ist diese Einschätzung auch noch mit Vorsicht zu genießen, denn einige Verfahren zu Auskunftsersuchen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten sind noch bei höheren Gerichten anhängig. Dennoch muss aber auch der besonderen Funktion der Auskunftsanfrage im Rahmen der effektiven Rechtsdurchsetzung weiterer Betroffenenrechte (wie z. B. das Recht auf Berichtigung möglicher unrichtiger Daten) Rechnung getragen werden. Hierbei darf die Motivation der Gesetzgeber nicht außer Acht gelassen werden, warum bspw. dem Verlangen nach Löschung wegen Rechtsansprüchen nicht nachgekommen werden muss und bei Auskunftsansprüchen eine ähnliche Bestimmung nicht existiert. Auch ein Blick auf die Herangehensweise in anderen Rechtssystemen (Stichwort „pretrial discovery“) sollte stets mit einbezogen werden. Allerdings muss dabei stets unstrittig bleiben, dass der Auskunftsanspruch niemals dem (primären) Zweck dienen darf, sich Prozessvorteile zu verschaffen.
Es bleibt mit Interesse abzuwarten, wo von den Gerichten in der Zukunft die „Rote Linie“ gezogen wird.