Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.05.2019, Az. 1 ABR 53/17, entschieden, dass dem Betriebsrat ein Einblicksrecht in nicht anonymisierte Listen über die Bruttoeinkommen und Gehälter der Arbeitnehmer nach § 80 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz BetrVG zusteht.

Rechtsgrundlage und Reichweite des Einblicksrechts

 Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist der nach § 80 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz BetrVG notwendige Aufgabenbezug für das Einblicksrecht in die Bruttolöhne und Gehälter regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (z. B. die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach § 75 BetrVG) angewendet werden. Der Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung dieses Einblicksrechts bedarf es nicht.

Der Einblick in die bei dem Arbeitgeber tatsächlich vorhandenen Bruttoentgeltlisten ist nach Auffassung des Gerichts zur Durchführung der Aufgaben des Betriebsrates erforderlich. Dies bedeutet, dass sich das Einblicksrecht auf die vom Arbeitgeber (z. B. in elektronischer Form) tatsächlich geführten Listen über Bruttoentgelte der Arbeitnehmer bezieht. Diese sind gerade nicht anonymisiert, sondern ordnen die Bruttoentgelte den Arbeitnehmern unter deren namentlicher Nennung zu. Ein Anspruch auf die Herstellung nicht existenter Listen lässt sich nicht auf § 80 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz BetrVG stützen.

 Inhalt des Einblicksrechts

Zudem ist der Begriff „Einblicksrecht“ wörtlich zu verstehen: Es besteht nur ein Anspruch auf Einblick in die Bruttoentgeltlisten. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber nicht zur Aushändigung oder zeitweiligen Überlassung der Listen verpflichtet ist. Auch besteht kein Anspruch auf Überlassung von Fotokopien. Dem einblicksberechtigten Personenkreis steht die Möglichkeit offen, sich aus den Bruttoentgeltlisten Notizen zu machen. Dies umfasst jedoch nicht das Recht, die gesamten Listen abzuschreiben.

Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten durch den Betriebsrat und einblicksberechtigter Personenkreis

Die Gewährung von Einsicht in die Bruttoentgeltlisten durch den Arbeitgeber stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten, nämlich die gezielte Kenntnisgabe an einen Empfänger, nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar. Dabei ist es auch unerheblich, ob es sich bei dem Empfänger um einen Dritten handelt oder nicht (Art. 4 Nr. 9 DSGVO). Somit spielt es hier keine Rolle, ob der Betriebsrat als Teil der verantwortlichen Stelle oder als Verantwortlicher i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO anzusehen ist.

Steht dem Betriebsrat ein Anspruch nach § 80 Abs. 2 S. 2. Halbsatz BetrVG auf Einblick in die Bruttoentgeltlisten der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zu, ist die nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG verlangte Erforderlichkeit einer damit verbundenen Verarbeitung personenbezogener Daten gegeben. Diese folgt aus der Erfüllung eines kollektivrechtlich bestehenden Anspruchs. Die diesbezügliche Rechtfertigung ergibt sich aus der inhaltlichen Ausgestaltung der entsprechenden kollektivrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers.

Einer darüber hinaus gehenden –auf jeden Einzelfall bezogenen – Abwägung zwischen objektiven Informationsinteressen des Betriebsrates einerseits und davon betroffenen Interessen des Arbeitgebers und / oder der Arbeitnehmer andererseits bedarf es nicht:

Die datenschutzrechtlich notwendige Abwägung hat der Gesetzgeber durch die Anerkennung des in § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG enthaltenen Erlaubnistatbestandes einer Datenverarbeitung zur Erfüllung einer kollektivrechtlichen Pflicht vorgenommen.

Die Einsichtnahme in die Bruttoentgeltlisten ist jedoch an die Wahrnehmung und Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats gebunden. Daraus folgt, dass besondere persönliche Verhältnisse der Arbeitnehmer, wie sie etwa in der Besteuerung oder in Lohnpfändungen zum Ausdruck kommen und zu unterschiedlichen Nettobezügen führen, der Kenntnisnahme durch den Betriebsrat verschlossen sind.

Zudem sind nicht alle Betriebsratsmitglieder, sondern lediglich der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss bzw. in kleineren Betrieben der Betriebsratsvorsitzende, dessen Stellvertreter oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied einblicksberechtigt.

Folgen

Daraus ergibt sich, dass es für die Arbeitgeber, sofern diese Bruttoentgeltlisten ihrer Arbeitnehmer führen (was in den meisten Fällen der Fall sein dürfte), äußerst schwierig wird, ein Verlangen des Betriebsrates auf Einblick in diese Listen abzulehnen. Jedoch sollte sich auch der Betriebsrat im Klaren sein, dass der Arbeitgeber nicht zur Überlassung der Listen oder Kopien verpflichtet ist.