Dürfen Beweise, die auf eine kriminelle Tat hinweisen, verwertet werden, wenn die Beweise unrechtmäßig erlangt worden sind?
Dieser Frage ist das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen in einer seiner letzten Entscheidungen (Entscheidung vom 06.07.2023, Az.: 4 Sa 73/23) nachgegangen.
Verlängerte Raucherpause
Im konkreten Fall ging es um Zeiterfassungsdaten am Drehkreuz. Eine Mitarbeiterin wurde beschuldigt, sich nach ihrer regulären Pause an der Zeiterfassung mit ihrem Transponder angemeldet zu haben, um dann aber sofort wieder eine Raucherpause einzulegen, ohne sich an der Zeiterfassung abzumelden. Zum Rauchen musste die Mitarbeiterin das Gelände durch ein Drehkreuz verlassen. Der Transponder wurde auch für das Drehkreuz zur Zutrittskontrolle genutzt. Dadurch konnte erfasst werden, wer das Gelände betrat und verließ.
Nach einem anonymen Tipp überprüfte der Arbeitgeber unter Einbeziehung des Betriebsrates die Daten aus dem Zutrittskontrollsystem („Getronic“) am Drehkreuz, welches die Mitarbeiterin nutzen musste. Diese Daten wurden dann mit denen aus dem Arbeitszeiterfassungssystem („Time Perfect“) verglichen. Dass das Drehkreuz bzw. der personenbezogen registrierte Transponder solche Daten erhebt, davon hatte die Mitarbeiterin nach eigener Aussage keine Kenntnis. Die Überprüfung ergab, dass die Mitarbeiterin wiederholt ihren Arbeitsplatz verließ, ohne sich bei der Zeiterfassung abzumelden, was auf einen mehrfachen Betrug bei den Arbeitszeiten hindeutete.
Kündigung als Folge
Infolgedessen kündigte ihr der Arbeitgeber fristlos und vorsorglich auch fristgerecht. Die betroffene Mitarbeiterin reichte daraufhin Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht (ArbG) Chemnitz ein. Sie argumentierte, dass die vom Arbeitgeber zur Begründung der Kündigung herangezogenen Drehkreuzdaten rechtlich nicht verwertbar seien.
Sowohl das ArbG Chemnitz als auch das LAG Sachsen gaben der Klägerin recht.
Grundsätzlich kommen beide Gerichte zunächst zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitszeitbetrug vorliegt.
Verwertungsverbot der Drehkreuzdaten?
Allerdings konnten die Daten des Drehkreuzes, die den Arbeitszeitbetrug gemeinsam mit der Zeiterfassung belegen können, nicht im Prozess verwertet werden.
Das LAG begründet dies folgendermaßen: Die Verwertung der Daten aus der Zutrittskontrolle im Prozess durch das Gericht verstößt gegen das Recht der Mitarbeiterin auf informationelle Selbstbestimmung. Konkretisiert wird diese informationelle Selbstbestimmung durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
Da eine Information nach Art. 13 und 14 DSGVO bzw. §§ 32 und 33 BDSG nicht erfolgte, lag ein Datenschutzverstoß vor. Daneben sah das LAG auch keine Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung in § 26 BDSG. Danach ist die Verarbeitung von Beschäftigtendaten rechtmäßig, wenn dies zur Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses erforderlich ist. Das LAG hätte vor der Datenauswertung eine Konfrontation mit den Vorwürfen des Arbeitszeitbetrugs als ausreichend angesehen, damit die Beschäftigte ihr Fehlverhalten korrigiert. Außerdem hätte es im Betrieb lediglich einen Richtwert der Sollarbeitszeit gegeben. Minusstunden hätten über einen längeren, nicht weiter definierten Zeitraum ausgeglichen werden können.
Aus dem Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen leitete das LAG den Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung ab, was nach Ansicht des Gerichts direkt zu einem Beweisverwertungsverbot führt.
BAG: Verwertungsverbot erst ab schwerwiegender Grundrechtsverletzung
Schaut man sich den Fall vor dem Hintergrund des unlängst ergangen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 29.06.2023, Az. 2 AZR 296/22) zum Verwertungsverbot von unrechtmäßig erlangten Daten an, so stellt sich die Frage, ob das LAG nicht tiefgründiger hätte prüfen müssen.
Das BAG stellt in seinem Urteil fest: Datenschutz ist kein Täterschutz. Ein Beweisverwertungsverbot käme erst dann in Frage, wenn durch die gerichtliche Verwertung eine schwerwiegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts vorliegt (offene Überwachung von Toiletten oder Umkleideräumen, offene Dauerüberwachung ohne Rückzugsmöglichkeit). In dieselbe Kategorie hat das BAG auch Keylogger eingeordnet, die alle Tätigkeiten eines Beschäftigten auslesen können. Um die Einordnung vorzunehmen, gehört auch nach dem BAG die Prüfung, inwieweit die Intim- oder Privatsphäre durch die Datenverarbeitung vor Gericht tangiert wird. Erst wenn dies der Fall ist, ist das BAG gewillt überhaupt in die Richtung eines Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht und damit dem Beweisverwertungsverbot zu denken.
Gerade der Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre wird vom LAG nicht weiter thematisiert. Diese wird im Fall des Passierens eines Drehkreuzes auch nicht ernstlich anzunehmen sein.
Fazit
Der Entscheidung des LAG sollte nicht allzu viel Bedeutung beigemessen werden. Im Licht der BAG-Rechtsprechung ist kaum denkbar, dass sich solch eine Rechtsprechung wiederholt. Revision ist in diesem Fall nicht zugelassen worden. Es gibt die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Ob dieser Weg aber beschritten wird, ist unklar.