Wenn es nach dem Verständnis vieler Journalisten geht, steht uns Nutzern von WhatsApp eine riesige Abmahnwelle bevor. Dabei stützen sich die Medien auf das Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 15.05.2017 (Az. F 120/17 EASO).

Der Richter hatte in der zugrundeliegenden Rechtsstreitigkeit im Familienrecht über einen etwaigen, fortlaufenden Rechtsverstoß des Nutzers durch die Weitergabe von Kontaktdaten an die WhatsApp Inc. zu entscheiden. Konkret wurde unter anderem die Frage erörtert, ob das elfjährige Kind (und letztlich die Mutter als Erziehungsberechtigte und Verantwortliche) die vorherige Zustimmung aller Personen aus dem Adressbuch in die Übermittlung der eingegebenen Kontaktdaten, wie z.B. der Klarname und die Telefonnummer, an das US-amerikanische Unternehmen aus Kalifornien durch und auch nach Installation der App nachweisen könne.

Dies dürfte ein nahezu unmögliches Unterfangen sein, müsste man all seine Familienangehörigen, Freunde und sonstigen Kontakte, deren Nummer irgendwann einmal im Handy eingegeben wurde und im Adressbuch fortan enthalten ist, um solch eine Erlaubnis fragen. Und wie wäre die Antwort, wo doch besonders unter den Jüngeren die überwiegende Anzahl an Personen selbst bei WhatsApp angemeldet ist.

Dass WhatsApp nach der Installation und auch ständig durch die manuelle „Aktualisierung“ der Kontakte innerhalb des Dienstes einen Abgleich mit dem Adressbuch des Handys vornimmt, gleich wie der technische Prozesse der Übermittlung von Name, Telefonnummer usw. an die Server und Datenbanken des US-amerikanischen Unternehmens auch erfolgen mag, wird auch in der Datenschutzrichtlinie offiziell beschrieben und gilt als gesichert.

Ausgehend von etwaigen unerlaubten Handlungen des Kindes (§ 823 BGB i.V.m. § 1004 BGB) und den Sorgfaltspflichten der erziehungsberechtigten Mutter sezierte der Amtsrichter das Datenschutzrecht bis hin in die relevanten Regelungen der AGB von WhatsApp Inc. Folglich wurde sogar festgestellt, dass sich aus dem vermeintlichen Rechtsbruch jedes einzelnen WhatsApp-Nutzers sogar eine Abmahnung durch andere Personen rechtfertigen ließe und der Einzelne zur Unterlassung aufgefordert werden könne, die – wie das Gericht selbst einräumt – „typischerweise mit intensiven Kosten verbunden [sind], welche bei anwaltlicher Betätigung regelmäßig im dreistelligen Bereich zu verorten sind.“

Doch damit nicht genug: Die äußerst lesenswerte Entscheidung hält noch zahlreiche weitere, skurrile Ratschläge des Gerichts parat. So sei der Mutter des Kindes aufgegeben, einen Mediennutzungsvertrag mit dem selbigen zu schließen und sich regelmäßig über die Medienkompetenz zu informieren sowie Umgang und Nutzungsverhalten des Kindes mit dem Handy zu kontrollieren. Diesbezüglich wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass das Kind sein Smartphone nicht nachts bedienen dürfe und stattdessen lieber einen analogen Wecker erhalten solle.

Droht nun jedermann die Abmahnung?

Führt man sich diese Rechtsauffassung vor Augen, so liegt die Möglichkeit einer Abmahnung des Betroffenen (mit Eintrag im Adressbuch) durch die Weitergabe der Telefonnummer an das US-amerikanische Unternehmen nahe.

  1. Welche Tragweite hat das Urteil?

Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung des Amtsgerichts Bad Hersfeld, die im Übrigen noch in einer familienrechtlichen Streitigkeit ergangen ist. Das Urteil ist daher von weniger Gewicht als in höheren Instanzen, allen voran ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH). Insofern bleibt es bei einer besonderen Einzelfallentscheidung, die nicht ohne Weiteres in allen Gerichtsgebäuden bestätigt werden wird.

  1. Was ist mit dem Datenschutzrecht?

Die Übermittlung von personenbezogenen Daten, dazu zählen hier der Name und die Telefonnummer der Person im Adressbuch, bedarf einer gültigen Rechtsgrundlage oder aber der Einwilligung des Betroffenen. Wie das Gericht feststellt, könnte sich die Datenverarbeitung des Messenger-Dienstes für die eigenen Geschäftszwecke nach § 28 BDSG richten.

Aber auch eine Einwilligung (§§ 4, 4a BDSG bzw. Art. 6 Abs. 1a, Art. 7 DSGVO) des Kontakts könnte unter Anwendung der AGB von WhatsApp in Frage kommen. Denn hiernach erklärt der Nutzer, er habe die Erlaubnis des Kontaktes – was aber aus oben genannten Gründen äußerst fernliegend ist. Ausnahmsweise könnte man annehmen, dass derjenige, der sich bei WhatsApp registriert, damit auch anderen Nutzern die Einwilligung in diese Datenverarbeitung erteilt. Alle anderen Kontaktpersonen werden in keinem Fall hierein eingewilligt haben.

Diese Rechtslage wird zwar von vielen angenommen und erscheint praxisgerecht, darf jedoch unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes kritisiert werden.

Das Gericht (Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 15.05.2017 (Az. F 120/17 EASO)) führt dazu aus:

„Gemäß diesen Ausführungen in den AGB stellen also die Nutzer von WhatsApp kontinuierlich die Telefonnummern sowohl von WhatsApp-Nutzern als zugleich auch von allen sonstigen Kontakten, welche selbst nicht einmal über die App WhatsApp verfügen, in dem digitalen Adressbuch ihres Smartphones dem Betreiber WhatsApp Inc. in den USA zur Verfügung.

Zugleich gibt jeder Nutzer gegenüber dem Betreiber WhatsApp Inc. bei der Aktivierung bzw. bei der Erst-Einrichtung von WhatsApp die ausdrückliche Bestätigung ab, dass er rechtlich dazu befugt sei, d.h. entsprechend umfassend autorisiert sei, dem Betreiber diese Daten von all diesen anderen Personen laufend für die weiteren, in den AGB unscharf beschriebenen Zwecke von WhatsApp zur Verfügung zu stellen.“

Die hierbei relevante Klausel in den AGB von WhatsApp lautet konkret:

Informationen, die du zur Verfügung stellst

Deine Account-Informationen. Um einen WhatsApp-Account zu erstellen, gibst du deine Mobiltelefonnummer an. Du stellst uns regelmäßig die Telefonnummern in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung, darunter sowohl die Nummern von Nutzern unserer Dienste als auch die von deinen sonstigen Kontakten. Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Nummern zur Verfügung zu stellen.“

Inwiefern ein unbedarfter Nutzer, der erstmals die App installiert und sich auch nicht alle Berechtigungen/Nutzungsbedingungen durchliest, die Bedeutung dieser vertraglichen Regelungen versteht, sei einmal dahingestellt.

Gleichzeitig legt das Gericht nahe, einen konkreten Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zu verneinen. Im Übrigen kann ohnehin die Anwendbarkeit des BDSG infrage gestellt werden, da dieses nach dem hiesigen Verständnis des Anwendungsbereiches (Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG) nicht greift, wenn „die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten [..] ausschließlich für persönliche und familiäre Tätigkeiten [erfolgt].“

Die Datenschutz-Grundverordnung sieht in Art. 2 Abs. 2 lit. c) DSGVO eine vergleichbare Abgrenzung vor.

Etwas anders dürfte sich indes ergeben, wenn der Benutzer geschäftliche Kontaktdaten im Wege seiner dienstlichen bzw. geschäftlichen Nutzung des Mobiltelefons im Adressbuch besitzt und dann WhatsApp installiert. So würden geschäftliche Kontaktdaten seiner Kunden, Geschäftspartner oder Patienten an WhatsApp übermittelt werden, was wohl dann auch nicht mehr dem rein privaten Bereich zuzuordnen ist. Die genannte Ausnahme im Anwendungsbereich des BDSG würde nun wohl nicht mehr greifen. Also Selbstständige und Angestellte müssten bei der geschäftlichen Nutzung ihres Dienst/Firmen-Handys mit Verstößen nach dem BDSG rechnen.

Insoweit springt das Gericht – etwas überraschend – auf das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als ein Schutzrecht im Rahmen der unerlaubten Handlung nach dem allgemeinen Zivilrecht (§ 823 Abs. 2 BGB) anerkannt ist. Wird ein solches Schutzrecht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, stehen dem Geschädigten grundsätzlich Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Unterlassen zu, die vor den Zivilgerichten geltend zu machen sind.

So ignoriert das Gericht die Wertung des Gesetzgebers (vgl. § 1 BDSG) und nimmt eine unerlaubte Handlung des Kindes durch den privat begangenen Verstoß gegen das „Datenschutz-Grundrecht“ aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG an. In der Konsequenz stehen Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Unterlassen der Geschädigten im Raum, obwohl das spezialgesetzliche Datenschutzrecht (in Form des BDSG) eindeutig keine Anwendung im ausschließlich privaten Lebensbereich erfährt.

  1. Sind die AGB von WhatsApp überhaupt zulässig?

Ein weiterer naheliegender Gedanke betrifft die Frage, ob die AGB von WhatsApp Inc. hierzulande überhaupt zulässig sind. Seitenlange, juristische Ausführungen bis hin zur versteckten, weitreichenden Einräumung von Nutzungsrechten an sämtlichen Inhalten oder aber Einverständniserklärungen dürften womöglich einer AGB-Prüfung nicht standhalten. Und daran sind diese nun mal zu messen (Vgl. LG Berlin, Urteil vom 30.4.2013 – 15 O 92/12). Die genannte Klausel, dass der Nutzer von WhatsApp während der Installation bestätigt, die Erlaubnis zum Datenabgleich von allen Personen aus seinem Kontaktbuch eingeholt zu haben, kann aus guten Gründen kritisiert werden. Im Ergebnis wird dadurch die Verantwortlichkeit auf den Nutzer abgewälzt, der doch eigentlich nach dem Datenschutzrecht als schützenswert gilt.

Insgesamt muss aus den Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärungen transparent, verständlich und erkennbar hervorgehen, welche konkrete Datenverarbeitung zu welchem Zwecke erfolgt (Vgl.  § 13 TMG, aber auch Art. 12 Abs. 1 DSGVO). Die Beschreibung hat sich sprachlich und optisch an den Besonderheiten der Zielgruppe zu orientieren, in Falle von unter Kindern weitverbreiteten Anwendungen könnte eine kindgerechte Sprache (Erwägungsgrund 58 der DSGVO) und übersichtliche Beschreibung der Prozesse zu fordern sein.

Genügen die auf dem Display des Smartphones angezeigten AGB von WhatsApp den gesetzlichen Anforderungen? Zweifel sind gewiss angebracht. Eine abschließende Klärung dieses spannenden Themas steht immer noch aus.

  1. Sind jetzt Abmahnungen möglich?

Im Ergebnis sind daher Abmahnungen theoretisch denkbar, indem ein möglicherweise Geschädigter den „Täter“ außergerichtlich (und damit kostensparsamer als mit einer Klage) auf eine begangene Rechtsverletzung hinweist und Unterlassen oder Schadensersatz begehrt. Da stehen dann gut und gerne ein paar hundert Euro an Anwaltskosten im Raum – und viele Privatpersonen lassen sich von derartigen anwaltlichen Schreiben beeindrucken und bezahlen die Rechnung. Gleichwohl bestehen zahlreiche Bedenken an der Erfolgsaussicht und Sinnhaftigkeit einer solchen Rechtsstreitigkeit.

Wie soll der Betroffene davon erfahren, dass eine (im Zweifel ihm unbekannte) dritte Person WhatsApp installiert? Und wenn der Betroffene ebenfalls WhatsApp nutzt, hat er nicht selber dadurch in die Weitergabe der Kontaktdaten an WhatsApp eingewilligt, zumindest nach deren AGB? Dann wäre seine Abmahnung gegen einen anderen Nutzer wohl rechtsmissbräuchlich.

Dazu müssten weitere Anforderungen nach den Vorschriften zum deliktischen Handeln (insbesondere Vorsatz oder Fahrlässigkeit) durch die Installation eines Messenger-Dienstes auf dem privaten Smartphone erfüllt sein. Die meisten Nutzer akzeptieren zwar die AGB, ohne sich die konkreten technischen Prozesse vor Auge zu führen. Doch für die Annahme eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Rechtsverstoßes dürfte dies trotzdem nicht ausreichen. Mithin steht es jedem Gericht frei, eine andere Entscheidung zu treffen.

Privatpersonen dürften daher von Abmahnungen verschont bleiben. Im Geschäftsverkehr kann es anders aussehen – Da sollten sich Unternehmen aber ohnehin interne Regelungen zur IT-Sicherheit und zur Verwendung von WhatsApp überlegen.

  1. Überzogene Elternpflichten?

Zu guter Letzt kann darüber diskutiert werden, ob die Entscheidung in der Konsequenz zu überzogenen Sorgfaltspflichten der Eltern führen mag. Die Eltern sind angehalten, sich über die technischen und rechtlichen Risiken der Handy-Nutzung regelmäßig zu informieren und ihre Kinder, ebenso wie beim Surfen und Filesharing im Internet (Vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az.: I ZR 7/14 (Tauschbörse II)), auf mögliche Rechtsverstöße und deren rechtliche Konsequenzen hinzuweisen. Gleichwohl mag dies gewiss auch die Aufgabe der Schulen sei. Insofern kann bei dieser Entscheidung des AG Bad Hersfeld verständlicherweise im Bereich der „Digitalerziehung“ von einem Novum in der Rechtsprechung gesprochen werden.

Insgesamt sollte das Urteil dazu anregen, sich die Risiken und datenschutzrechtlichen Vorgänge von WhatsApp einmal mehr bewusst zu machen.