Wenn alle davon träumen, warum steuert der NRW-Verbraucherminister Johannes Remmel dann dagegen an? Dieser hat angekündigt, schärfere Gesetze gegen die Praxis individueller Preise prüfen zu lassen. Hier finden Sie unser Prüfergebnis:

Was ist das Problem beim sog. Dynamic Pricing

Das digitale Preisschild in Online-Shops macht es möglich, Preise im Sekundentakt anzupassen. Für eine nachfragegerechte Preisgestaltung sind viele Szenarien bereits Realität. Über die Vorreiterbranche – Fluggesellschaften – hatten wir schon berichtet. Ein Flug soll morgens 298,73 € und abends 317,33 € kosten. Zudem hat Amazon hier vermehrt Schlagzeilen produziert. Bei einem Elektroprodukt soll es zu 275 Preisänderungen innerhalb von drei Tagen gekommen sein. Bei einer Kamera soll Amazon Preisschwankungen von 240 Prozent am Markt getestet haben: von 700 € bis zu 1686,60 €. Dies kann nur als großes Experiment verstanden werden, um die Randbereiche auszuloten.

Wer sich jetzt sicher fühlt und auf den Media Markt um die Ecke setzt, der muss leider enttäuscht werden, hier sind die dynamischen Preise auch angekommen. In Ingolstadt soll eine Waschmaschine am Montagabend noch 499 € kosten und am nächsten Morgen schon 50 € weniger. Auch andere Handelsketten sind hier aktiv. Eine technische Voraussetzung hierfür, die elektronischen Preisschilder, sind Ihnen vielleicht schon mal ins Auge gefallen.

Als Zwischenstand muss festgehalten werden: Gegen dynamische Preise ist das deutsche Datenschutzrecht machtlos. Traurig aber war: Bier und Chips kosten Samstagabend wohl bald mehr als Dienstagmittag. Autofahrer kennen das Gefühl schon vom regelmäßigen Gang an die Tankstelle.

Individuelle Preise

Auf extrem schwankende Preise kann man sich vielleicht noch einstellen. Zumindest leiden alle gleichermaßen darunter. Was aber, wenn diese Technologie jetzt näher an den Kunden heranrückt? Schon heute sind Kundenkarten (Kaiser’s in Berlin) im Einsatz, um dem Käufer mit individuellen Rabattaktionen im Laden das Leben zu erleichtern. Es braucht keine große Phantasie, um die Nutzung zu Lasten des Kunden kippen zu lassen, wenn mein Supermarkt mein Kaufverhalten (die Customer-Journey) der letzten Monate analysiert. Hierbei sind nicht nur die gekauften Produkte interessant für eine Preisentscheidung, sondern auch mein Verhalten im Shop. Ein Tracking wäre z.B. über die W-LAN-Kennung des Handys (Wi-Fi-Sniffing) ohne weiteres möglich. Auch mit der Gesichtserkennung zur Stimmungsanalyse und zum Abgleich mit dem Social-Media- Profil soll bereits experimentiert worden sein.

Weitere plastische  Beispiele:

Allein das letzte Beispiel zeigt, in welchem Maße das Thema bereits um sich greift. Ein Kurzurlaub kann um bis zu 329 € teurer kommen, nur weil ein anderes Gerät zur Buchung verwendet wird.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit

Die datenschutzrechtliche Situation stellt sich bei diesen Verfahren als äußerst komplex dar und hängt vom jeweiligen Datenverarbeitungsvorgang ab. Folgende Leitplanken bestehen grundsätzlich für den E-Commerce:

Sofern Daten nicht personenbezogen – anonym – sind, trifft das Datenschutzrecht keine Vorgaben. Eine Differenzierung der Preise nach Browser- und App-Nutzern ist daher möglich. Kritisch ist nur, ab welchem Punkt aus den übersandten Daten zum Verbindungsaufbau (z.B. Browsertyp, Betriebssystem, installierte Plugins) personenbezogene Daten werden, sog. Browserfingerprint. Es ist die genaue Datenverarbeitung im Einzelfall zu analysieren. Darüber hinaus muss der Kunde über die Datenverarbeitung informiert werden, § 13 Abs. 1 TMG. Zwar gilt die Belehrungspflicht nur für „personenbezogene Daten“, jedoch kennt das Gesetz eine Ausnahme, § 13 Abs. 1 S. 2 TMG:

„Bei einem automatisierten Verfahren, das eine spätere Identifizierung des Nutzers ermöglicht und eine Erhebung oder Verwendung personenbezogener Daten vorbereitet, ist der Nutzer zu Beginn dieses Verfahrens zu unterrichten.“

Bei den meisten E-Commerce-Webseiten ist die Identifizierung des Nutzers bei einer Bestellung ohne weiteres möglich. Der individualisierte Preis, einschließlich der dazu erhobenen Daten, wird daher zu einem späteren Zeitpunkt zu einem personenbezogenen Datum. Der Nutzer muss daher schon früher ausdrücklich und umfassend belehrt werden.

Erfolgt die Verarbeitung unter einem Pseudonym (z.B. Cookie), welches ein Kundenprofil und damit eine weitere „Personalisierung“ ermöglichen würde, sind die Regelungen des § 15 Abs. 3 TMG einzuhalten:

  • Belehrung in der Datenschutzerklärung über die Verarbeitung sowie über ein Widerspruchsrecht.
  • Sofern ein Besucher der Profilbildung widerspricht, muss technisch gewährleistet werden, dass künftige Besuche nicht mehr erfasst werden und die bereits vorhandenen Daten gelöscht werden.
  • Die Pseudonymisierung darf nicht aufgehoben werden.

Die IP-Adresse sollte nicht als Pseudonym verwendet werden, da teilweise vertreten wird, dass es sich hierbei um ein personenbezogenes Datum handelt.

Bei Verstoß gegen die oben genannten Unterrichtungspflichten, sowohl bei anonymen als auch bei pseudonymisierten Daten, ist die Erhebung der Daten rechtswidrig und eine weitere Verarbeitung ist rechtlich problematisch. Ferner drohen Bußgelder nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 TMG i.d.H. von 50.000,- Euro.

Sofern eine Datenverarbeitung darüber hinaus personalisiert erfolgt, z.B. die bisherige Bestellhistorie einbezogen werden soll oder Trackingdaten dem Kundenaccount zugeordnet werden, ist die ausdrückliche Einwilligung einzuholen, § 13 Abs. 2 TMG. Solche Profile haben für Unternehmen naturgemäß die höchste Aussagekraft, unterliegen aber auch den höchsten Anforderungen. Da die Datenschutz-Grundverordnung 2018 für die Einwilligung teilweise strengere Vorgaben treffen wird (Kopplungsverbot zwischen Einwilligung und Vertragsschluss), ist es ratsam, schon heute aber nicht nur auf eine Einwilligung des Betroffenen, sondern gleichzeitig auf eine kreative Vertragsgestaltung zu setzen. Die Kundenbeziehung zum App-Nutzer sollte damit z.B. als „Shopping-Club-Mitgliedschaft“ verstanden werden, in welcher der Kunde einen Anspruch darauf hat, angepasste Angebote und Rabatte zu erhalten. Dies könnte durch entsprechende Einstellungsmöglichkeiten im Account ergänzt werden, bei denen der Kunde Angebotsparameter (z.B. Abendmode, HotDeal, bestimmte Marken) selbst festlegen kann. Auch wenn Lösungen teilweise konstruiert wirken, wird man es ohne eine entsprechende Argumentation schwer haben, Einwilligungslösungen rechtlich halten zu können.

Bei einer Datenverarbeitung im Supermarkt der analogen Welt finden die Regelungen des TMG keine Anwendung. Eine generelle Privilegierung gemäß dem § 15 Abs. 3 TMG für pseudonymisierte Daten besteht hier nicht. Die derzeitigen Strategien der meisten Händler scheinen aber ohnedies auf eine individuelle Kundenbindung über Kundenkarten und Apps zu setzten. Der Schwerpunkt sollte daher hier auf Einwilligungslösungen liegen.

Wettbewerbs-/ Kartellrecht

Darüber hinaus verbleibt bei der datenschutzrechtlichen Lösung des Problems der dynamischen und individualisierten Preise ein Aspekt unberücksichtigt: Die extreme Schwächung der Verhandlungssituation des Verbrauchers, indem Drucksituationen vom Unternehmen erkannt und ausgenutzt bzw. der Preisvergleich unmöglich wird. Vorgaben können daher auch aus dem Wettbewerbs- und Kartellrecht hergeleitet werden.

Diese neue Druck- bzw. Verhandlungssituation führt uns zur Binsenweisheit jedes erfolgreichen Vertragsschlusses zurück:

  • beide Parteien haben eine Verhandlungsspanne,
  • es kommt nur zu einem Vertrag, sofern sich die Spannen überlappen.

Bisher bestand eine ausgeglichene Situation zwischen den Vertragspartnern, da Sie die Verhandlungsspanne und Motivation des anderen nicht kannten, insbesondere, da sich diese auch ständig verschieben kann, z.B.:

  • Aufenthaltsort, Zeitfenster und das logistische Potential des Kunden – vorhandene gleichgeeignete Alternativen, z.B. wenn man vor dem Treffen mit Freunden noch schnell eine Flasche Wein besorgen will,
  • Markentreue des Kunden,
  • Finanzielle Leistungsstärke des Kunden,
  • Lagerbestand und Lagerkapazitäten ,
  • Gewinnbeteiligungen, Provisionszahlungen, Mindestumsätze.

So bestand bisher noch Raum für individuelles Verhandlungsgeschick. Damit ist jetzt Schluss. Die Stärke der eigenen Verhandlungsposition bestimmt sich nach der individuellen BATNA (Best Alternative To a Negotiated Agreement). Was ist meine beste Alternative neben dem vorliegenden Angebot? Der Verkäufer kennt diese bereits und passt das Angebot entsprechend an. Wenn der Kunde bestimmte Einkäufe in regelmäßigen Abständen tätigt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Kunde nur wenig Preise vergleicht und wenige Alternativen hat bzw. nutzt. Ähnlich alternativlos kann die Situation sich kurz vor Ladenschluss an einem Samstag darstellen. Preise liegen dann an der oberen Schmerzgrenze des jeweiligen Kunden – in der ganz konkreten Situation. Das freut den Kapitalisten, aber auch den Sozialisten. Endlich Preise, die sich an der finanziellen Leistungsstärke des Einzelnen orientieren. Keine Steuerprogression, sondern eine Preisprogression.

Das Datenschutzrecht stellt gegen dynamische Preise kein wirksames Gegenmittel dar – bezüglich individueller Preise nur in manchen Fällen (s.o.). Auch aus anderen Rechtgebieten sind klare und spezifische Vorgaben nicht erkennbar. Grundsätzlich besteht kein Zwang zur Preiskontinuität im deutschen Recht. Aussichtsreich erscheint allein – neben dem Datenschutzrecht – das Wettbewerbsrecht.

Einschränkungen könnten nach § 3 Abs. 2 UWG bestehen. Danach wären die Preisanpassungen unlauter, wenn sie dazu geeignet sind, dass wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. D.h. die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, wird spürbar beeinträchtigt. Der Verbraucher wird zu einer Entscheidung veranlasst, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Schnelle wechselnde Preisänderungen oder die Kopplung an Gerätetypen, machen es dem Verbraucher, z.B. durch den Einsatz von Preissuchmaschinen, unmöglich, einen vergleichbaren Marktpreis überhaupt zu bestimmen. Dies gilt erst recht, sofern Unternehmen nur noch auf individuelle Preise setzen. Zudem wird der Handlungsspielraum bzw. die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers gegen Null reduziert, sofern das Unternehmen aufgrund der gesammelten Informationen ganz genau weiß, wo die kundenspezifische Schmerzgrenze liegt (unzulässige Beeinflussung durch Ausnutzung einer Machtposition, § 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG).

Der Durchschnittsverbraucher wird zudem davon ausgehen, dass Preise allgemeinverbindlich sind und Individualität erst durch Preisnachlässe hergestellt wird. Die fehlende Belehrung über eine Preisdifferenzierung könnte daher gegen Nr. 19 (Anhang zu § 3 UWG) verstoßen, indem der Verbraucher über die allgemeinen Marktbedingungen getäuscht wird.

Darüber hinaus ließen sich noch andere Anknüpfungspunkte im Wettbewerbsrecht finden. Juristisch aufgearbeitet, geschweige denn entschieden ist das Thema im Wettbewerbsrecht bisher noch nicht.

Hoffnung kann man ebenso ins Kartellrecht setzen. Tankstellenpreise unterlagen lange dem gleichen Marktverhalten. Der Gesetzgeber hat hier versucht, z.B. mit § 47k GWB entgegenzusteuern (Marktbeobachtung im Bereich Kraftstoff).

Fazit

Dynamische und individuelle Preise sind schon heute Realität. Datenschutzrechtliche Vorgaben richten sich nach der konkreten Datenverarbeitung. Hauptproblem ist die Feststellung, ab wann „personenbezogene Daten“ verarbeitet werden. Sofern Unternehmen über die bloße Differenzierung nach Browsertypen und Endgeräten hinausgehen, werden Widerspruchs- und Einwilligungslösungen unumgänglich. Es darf nicht vergessen werden, darüber hinaus die Entwicklung im Wettbewerbs- und Kartellrecht zu beobachten, da Vorgaben auch aus diesem Bereich gut vertretbar sind. Das Wettbewerbs- und Kartellrecht scheint mithin das beste Spielfeld für eine gesetzgeberische Initiative zu sein, um dem Verbraucher auch in Zukunft eine transparente und informierte Entscheidung zu ermöglichen.