In den vergangenen Jahren hat Deutschland große Fortschritte bei der gesetzlichen Verankerung digitaler Barrierefreiheit gemacht – sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Bereits das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) schuf ein erstes rechtliches Fundament, um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Allerdings gilt das BGG ausschließlich für öffentliche Stellen auf Bundesebene.
Darauf aufbauend wurde die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) eingeführt. Diese legt technische Anforderungen für digitale Angebote fest, die von Bundesbehörden genutzt werden.
Mit dem European Accessibility Act (EAA) erweiterte die EU im Jahr 2019 die Anforderungen an digitale Barrierefreiheit auf den privaten Sektor. In Deutschland erfolgte die Umsetzung durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das im Juli 2021 verabschiedet wurde. Es überführt die EAA-Vorgaben in nationales Recht und ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Inklusion. Die Regelungen treten teilweise am 28. Juni 2025 in Kraft und verpflichten private Unternehmen zur Einhaltung konkreter Barrierefreiheitsanforderungen. An dieser Stelle verweisen wir gerne auch auf andere Beiträge von uns, die die gesetzlichen Regelungen in Frankreich, Italien und Spanien beleuchten.
Anwendungsbereich des BFSG
Das BFSG definiert verbindliche Anforderungen an die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 auf den Markt gebracht werden. Dazu zählen unter anderem:
- Hardware-Systeme und Selbstbedienungsterminals
- Telekommunikationsdienste
- Bankdienstleistungen für Verbraucher*innen
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Von besonderer Bedeutung ist der Bereich der Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Gemeint sind dabei sämtliche Telemediendienste – etwa Websites oder Apps –, die auf den Abschluss von Verbraucherverträgen abzielen. Somit müssen Websites, Online-Marktplätze und B2C-Plattformen den Anforderungen an digitale Barrierefreiheit gemäß BFSG gerecht werden.
Zur Konkretisierung des Gesetzes wurde am 15. Juni 2022 die Barrierefreiheitsstärkungs-Verordnung (BFSGV) erlassen, die zeitgleich mit dem BFSG in Kraft tritt. Sie legt zusätzliche Anforderungen an die barrierefreie Bereitstellung von Informationen zu Produkten und Dienstleistungen fest. Unternehmen, die E-Commerce-Dienstleistungen anbieten, sind verpflichtet:
- Inhalte wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust zu gestalten,
- eine Barrierefreiheitserklärung zu veröffentlichen, die klar beschreibt, wie die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt werden,
- diese Erklärung in barrierefreiem Format und an gut sichtbarer Stelle bereitzustellen.
Barrierefreiheitsstandards: EN 301 549 und WCAG
Das BFSG verweist nicht auf ein spezifisches technisches Regelwerk, stellt aber klar, dass der europäische Standard EN 301 549 als maßgeblich gilt. Dieser orientiert sich an den internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, Level AA und bietet Unternehmen eine verlässliche Grundlage zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit.
Ausnahmen und Sonderregelungen
Trotz des weitreichenden Geltungsbereichs des BFSG gibt es Ausnahmen:
- Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz unter 2 Millionen Euro sind grundsätzlich vom BFSG ausgenommen – mit Ausnahme bestimmter Produktgruppen.
- Produkte und Dienstleistungen, die ausschließlich für den B2B-Bereich entwickelt wurden oder rein intern ohne öffentlichen Zugang genutzt werden, fallen nicht unter die Regelung.
- Unternehmen können sich unter Umständen auf eine Unverhältnismäßigkeit berufen, wenn Barrierefreiheitsanforderungen zu grundlegenden Veränderungen des Produkts oder zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würden.
Durchsetzung und Sanktionen bei Verstößen
Wer die gesetzlichen Vorgaben des BFSG nicht erfüllt, muss mit Bußgeldern von bis zu 100.000 Euro rechnen. Darüber hinaus können aufsichtsrechtliche Maßnahmen verhängt werden – etwa Verkaufsverbote oder Einschränkungen beim Bereitstellen von Produkten und Dienstleistungen. Das unterstreicht die hohe Relevanz der rechtzeitigen und vollständigen Umsetzung.
Digitale Barrierefreiheit in der Praxis: Ihre nächsten Schritte
Die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen nach dem BFSG ist kein Selbstläufer. Unternehmen stehen vor rechtlichen, technischen und organisatorischen Herausforderungen. Folgende Maßnahmen sind jetzt entscheidend:
- Ihre Website und digitalen Services müssen an den Standard EN 301 549 und die WCAG 2.1 angepasst werden.
- Sie benötigen eine transparente und zugängliche Barrierefreiheitserklärung.
- Ihre Mitarbeitenden sollten geschult und sensibilisiert werden.
- Die fortlaufende Anpassung an neue regulatorische Entwicklungen ist unerlässlich.
Neben der Vermeidung rechtlicher Risiken stärkt eine barrierefreie Website auch Ihre Reputation und eröffnet neue Zielgruppen. Wer digitale Barrieren abbaut, baut Vertrauen auf – und schafft Wettbewerbsvorteile.
Ihr Partner für rechtssichere Barrierefreiheit
Die Anforderungen des BFSG sind komplex – wir machen sie für Sie handhabbar. Unser interdisziplinäres Team unterstützt Sie ganzheitlich: vom Audit über die Erstellung barrierefreier Inhalte bis hin zur rechtssicheren Konformitätserklärung.
Kontaktieren Sie uns, wenn Sie Ihre Pflichten im Bereich digitale Barrierefreiheit verstehen, umsetzen und strategisch in Ihre Marktposition integrieren möchten.
Magdalena Aliaga-Willrich, Volljuristin
E-Mail: maliaga@datenschutz-nord.de
Tel: +49 40 593 61 60-429
Wenn Ihre Anfrage die Barrierefreiheit internationaler Websites betrifft, helfen Ihnen unsere Kolleginnen der FIRST PRIVACY gerne weiter:
Dr. jur. Verónica Miño
E-Mail: vmino@first-privacy.com
Tel: +49 421 69 66 32-887