Können Plattformen wie Twitter Putschinstrumente werden?

Digitale Plattformen können aufgrund ihrer Kommunikationsmacht Massen von Menschen auch über Ländergrenzen hinweg erreichen und beeinflussen. Unter der Kontrolle charismatischer Figuren nimmt die virtuelle Realität eine eigene Dimension an, die zu einer gefährlichen Waffe werden kann und in der Lage ist, das Herz der demokratischen Institutionen zu erschüttern. Die Ereignisse rund um das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 können u.a. in Verbindung mit den Tweets vom (noch) Präsidenten Trump gebracht werden, insbesondere angesichts der Tatsache, dass mehr als 87 Millionen Menschen dem Präsidenten auf dessen Account @realDonaldTrump folgten. Nach den Ausschreitungen, die Mr. Trump sein zweites Amtsenthebungsverfahren einbrachten, wurde das Konto des US-Präsidenten von Twitter dauerhaft gesperrt. Darüber hinaus können die zuständigen amerikanischen Institutionen entscheiden, ob sie die Vorkommnisse als Putschversuch bewerten. Wie kann es geschehen, dass der amtierende Präsident der ältesten (durchgehenden) Demokratie der Welt einen bewaffneten Aufstand hervorruft, um ein legitimes Wahlergebnis zu kippen, unter anderem indem er Fake News twittert und wie lässt sich vermeiden, dass solche Scheinwahrheiten den Online-Diskurs bestimmen?

Haben Unternehmen aus dem Silicon Valley mehr Macht als die Staaten?

 Demokratien sind stark, wenn sie in der Lage sind, die institutionellen Gewalten (Exekutive, Legislative und Judikative) zu trennen und ins Gleichgewicht zu bringen. 1787, während einer Sitzung des Unterhauses des englischen Parlaments, rief Edmund Burke den auf der Pressetribüne sitzenden Parlamentsreportern zu: „Ihr seid die vierte Gewalt!„. Das England des 18. Jahrhunderts war das erste Land, in dem die Rolle der Presse als wesentliches Instrument für die Bildung der öffentlichen Meinung deutlich wurde. Nach Burkes Interpretation erfüllt die Presse ihre wichtige Funktion neben den anderen drei konstituierenden Gewalten des Staates von denen sie klar getrennt ist. In einem demokratischen Staat unterstützen freie Medien, egal ob traditionell oder nicht, die Meinungsbildung, indem sie für pluralistische und unabhängige Informationen sorgen. Die Hauptrisiken für die Demokratie als Folge eines unsachgemäßen Umgangs mit dieser Gewalt sind die politische Kontrolle der Medien bzw. die Zentralisierung der Medien in den Händen einer kleinen Gruppe von Personen oder Unternehmen, die Informationen nach ihren eigenen Vorstellungen filtern, manipulieren, erstellen und entfernen können. Renommierte Autoren wie Noam Chomsky bezeichnen dieses System als „Konsensfabrik“. Sind die Entscheidungen der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen, die „@realtime“ Millionen von Menschen erreichen und bewegen können eine Privatsache? Darf ein User im Namen der Meinungsfreiheit tweeten was er will? Wer darf überhaupt entscheiden, was in den sozialen Netzwerken gepostet wird – die Plattformbetreiber, die Regierungen? Nach welchen Kriterien?

Make Constitutions great again

Die Verfassungen aller modernen Demokratien, wenn auch in unterschiedlichen Formen und unterschiedlichem Ausmaß, legen die Kompetenzen und Grenzen der drei klassischen Gewalten fest. Im Mittelpunkt steht das friedliche Zusammenleben der Bürger unter dem Dach der Rechtssicherheit, die auf den (historisch über Jahrhunderte gewachsenen) verfassungsmäßigen Grundrechten fußt. Die vierte Gewalt stützt sich grundsätzlich und verfassungsrechtlich auf die Meinungsfreiheit (von Journalisten und Nutzern), was auch richtig ist. Doch auch die Meinungsfreiheit kennt ihre Grenzen, die sowohl vom Gesetzgeber als auch von der Verfassungslehre anerkannt sind. Sie ist niemals absolut. Ein verfassungsrechtlich garantiertes Gut kann ein anderes, ebenfalls verfassungsrechtliches Gut nicht verdrängen oder gefährden. Die freie Meinungsäußerung kann und darf z.B. nicht das Leben und die Sicherheit von Menschen oder Institutionen gefährden. Insbesondere Personen, die hohe institutionelle Positionen bekleiden, sollten in diesem Sinne verfassungsrechtliche Sensibilität besitzen. Fünf Menschen sind in Washington ums Leben gekommen. War es also richtig von Twitter, Trumps Konto zu sperren? Die Frage müsste wohl eher lauten, warum hat Twitter so lange damit gewartet? Die Antwort liegt auf der Hand: Medien sind durch wirtschaftliche Interessen geprägt. Verlage müssen sich z.B. überlegen wie sie das Blatt verkaufen und Internetplattformen sind auf Follower-Zahlen fokussiert. Im Grunde dreht es sich um Profit. Das Grundproblem ist, dass die „Terms of Service“ von Internetplattformen wie Twitter, Facebook & Co. Rechtsakte privater Natur sind, die nicht durch öffentliches Recht geregelt werden, auch wenn sie tatsächlich von öffentlichem Interesse sind. Die Verabschiedung eines Gesetzes durch das Parlament oder die Beurteilung durch ein Gericht sind Entscheidungen, die im Interesse der Allgemeinheit Regeln und Prinzipien des (öffentlichen) Rechts folgen. Die Entscheidung des Twitter-Vorstands, ob ein Konto gesperrt wird, ob zu Recht oder zu Unrecht, geht einen anderen Weg: Sie folgt den Interessen des Konzerns und wird nicht durch verfassungsorientierte Kriterien geleitet. Die jüngsten Geschehnisse in Amerika aber auch die Ermittlungen rund um extremistische Gewalttaten in Deutschland haben uns schmerzlich vor Augen geführt, welchen Einfluss soziale Medien auf das Gemeinwohl und die allgemeine Sicherheit haben. Aus diesem Grund ist der Gesetzgeber in der Pflicht hier unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit regulierend einzugreifen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches die große Plattformbetreiber verpflichtet sicherzustellen, dass strafbare Falschnachrichten und andere „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde entfernt oder gesperrt werden, ist bei Weitem nicht ausreichend.

Die Herausforderungen sind nicht nur technischer, sondern vor allem politischer Natur. Es geht nicht nur darum Inhalte zu löschen, Filterblasen umzusetzen und Strafen zu verhängen, sondern darum, die Rolle und Verantwortung der Plattformbetreiber und die Spielregeln festzulegen mit Rücksicht auf die Auswirkungen auf die Gesellschaft und zu definieren wie Institutionen und Zivilgesellschaft mitwirken können. Es gibt dann kaum Raum für das Hausrecht. Das Thema ist keine privatrechtliche Sache und es geht über das Recht auf freie Meinungsäußerung hinaus. Die Staaten sollten konkrete internationale Lösungen finden, um Internetplattformen in ein institutionelles Gefüge einzubinden, bevor es zu spät ist. Ob dies mit dem „Digital Service Act“ der Europäischen Union gelingt, werden wir sehen.