Wir haben uns bereits mit den datenschutzrechtlichen Anforderungen der Masern-Impfpflicht befasst.
Der jüngst erschienene 33. Tätigkeitsbericht der Bayerischen Aufsichtsbehörde für den Datenschutz widmete sich u. a. mehreren Beschwerden zur Weitergabe ärztlicher Atteste von Schulen an Gesundheitsämter im Zusammenhang mit Masernschutzimpfungen (www.datenschutz-bayern.de/tbs/tb33/k8.html#8.2).
Anlass für eine Beschwerde von Eltern war in einem Fall, dass die Erziehungsberechtigten für ihren Sohn bei dessen Realschule eine „ärztliche Impfunfähigkeitsbescheinigung“ vorgelegt hatten. Das ärztliche Attest sei dann aus Sicht der Eltern in unzulässiger Weise an das Gesundheitsamt weitergegeben worden.
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz (BayLfD) hat daraufhin Erkundigungen bei der Realschule und beim Gesundheitsamt eingeholt, die ergaben, dass das Gesundheitsamt seitens der Schule über Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises unterrichtet wurde. Das ärztliche Attest war in der Folge allerdings vom Gymnasium an das Gesundheitsamt übermittelt worden, an das der Schüler in der Zwischenzeit gewechselt war.
Das Gesundheitsamt hatte zuvor alle Schulen in seinem Zuständigkeitsbereich schriftlich dazu aufgerufen, ihnen vorgelegte Atteste über Kontraindikationen gegen die Masernimpfung an das Gesundheitsamt weiterzuleiten, da ansonsten die Schulen verantwortlich für die Richtigkeit der Atteste seien. Um den Schulen den Arbeitsaufwand für die Prüfung der Atteste und die Verantwortung hierfür abzunehmen, hatte das Gesundheitsamt den Schulen angeboten, die vorgelegten Atteste an das Gesundheitsamt zu übermitteln.
§ 20 Abs. 9 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht eine Verpflichtung der Schülerinnen und Schüler vor, ihrer Schule vor Beginn der dortigen Betreuung einen Nachweis über die Masernimpfung zu erbringen. Wird der Nachweis nicht erbracht bzw. bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, hat die Schule unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die Einrichtung befindet, in Kenntnis zu setzen.
Unter welchen Voraussetzungen darf das Gesundheitsamt unterrichtet werden?
Die Bayerische Aufsichtsbehörde hat für die Übermittlung der Masernschutz-Atteste an das Gesundheitsamt die folgenden Voraussetzungen aufgestellt:
- Zunächst wird vom Gesetzgeber für die Übermittlungsbefugnis keine umfassende medizinisch-inhaltliche Überprüfung des vorgelegten Nachweises durch die Schule vorausgesetzt. Hierzu sei die Schule auch nicht in der Lage. Allerdings müssen aus Sicht des Gesetzgebers Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit oder Echtheit bestehen. Ohne diese Zweifel sei eine Schule nicht berechtigt, auf Grundlage von § 20 Abs. 9 S. 2 Variante 2 und 3 IfSG personenbezogen Daten an das Gesundheitsamt zu übermitteln. Dabei muss die Schule konkrete Gründe für die Zweifel haben. Zweifel können z. B. dann bestehen, wenn der den Nachweis erbringende Arzt in einer weit entfernten Stadt tätig ist. Die Aussage, „ich habe Zweifel“ genügt nach Ansicht der Aufsichtsbehörde hingegen nicht, weil andernfalls die gesetzliche Regelung ins Leere liefe.
- Weiterhin hob der BayLfD hervor, dass eine Übermittlung des Attestes an das Gesundheitsamt grds. nicht zulässig ist. Es darf nur eine Mitteilung über das Bestehen der Zweifel seitens der Schule erfolgen. Wenn ein Gesundheitsamt über bestehende Zweifel benachrichtigt wird, stehen ihm die in § 20 Abs. 12 IfSG eingeräumten Ermittlungsbefugnisse zu.
- Nach Auffassung der Aufsichtsbehörde ist die Schule verantwortlich für die Datenübermittlung. Ihr obliegt die Prüfung, ob nach den für sie geltenden Vorschriften eine Übermittlung personenbezogener Daten zulässig ist. Dies gilt auch, wenn eine andere Behörde – wie hier das Gesundheitsamt – zur Datenübermittlung aufruft.
Der BayLfD stellt weiterhin im Wesentlichen darauf ab, ob begründete Zweifel an der Richtigkeit des Attestes bestehen oder nicht: Wenn keine begründeten Zweifel bestehen, darf nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften nicht benachrichtigt werden. Wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit des Attestes bestehen, muss das Gesundheitsamt nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften hierüber in Kenntnis gesetzt werden. Eine Haftung der Schule für die Richtigkeit des Attestes ist für die Aufsichtsbehörde nicht ersichtlich. Auch wenn begründete Zweifel bestehen, darf die Schule das Attest nicht an das Gesundheitsamt übermitteln.
Welche Maßnahmen hat die Aufsichtsbehörde ergriffen?
Die Bayerische Aufsichtsbehörde sah sich deshalb zu folgenden Maßnahmen veranlasst: Die Realschule hatte keine Zweifel an der Richtigkeit oder Echtheit des vorgelegten Attestes begründet, so dass die Voraussetzungen für eine personenbezogene Benachrichtigung nicht gegeben waren. Es wurde aufgrund dessen ein Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1, Abs. 2 und 3 DSGVO konstatiert und die Realschule dazu aufgerufen, den datenschutzrechtlichen Vorschriften stärker Rechnung zu tragen.
Ähnlich verhielt es sich bei dem Gymnasium, das das Attest an das Gesundheitsamt geschickt hatte. Auch hier wurden die bestehenden Zweifel von der Schule gegenüber dem Gesundheitsamt nicht begründet, so dass der BayLfD die Voraussetzungen des § 20 Abs. 9 S. 2 IfSG als nicht erfüllt ansah. Der Umstand, dass erhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Echtheit des Attestes vorlagen, wurde nicht als ausreichend angesehen. Auch wenn entsprechend Zweifel gegeben waren, so sah die Aufsichtsbehörde keine Übermittlungsbefugnis für das Attest an das Gesundheitsamt. Im Ergebnis wurde auch hier ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1, Abs. 2 und 3 DSGVO festgestellt und das Gymnasium angehalten, die datenschutzrechtlichen Vorgaben besser umzusetzen.
Ebenso wurde das Gesundheitsamt über die Rechtslage aufgeklärt und gebeten, seine Aussagen gegenüber den Schulen zu korrigieren, was im Nachgang erfolgt ist.
Fazit
Der vorliegende Fall zeigt, dass die Masernschutzatteste über Kontraindikationen auch datenschutzrechtliche Implikationen haben, wenn es – wie hier – um die Übersendung der Atteste an das Gesundheitsamt geht. Die zugrundeliegende Regelung in § 20 Abs. 9 IfSG ist relativ eindeutig, was die Mitteilung von Zweifeln zu den Masern-Attesten an das Gesundheitsamt betrifft. Im Gegensatz zu den Ländergesetzen zur öffentlichen Gesundheitsverwaltung handelt es sich beim IfSG um eine bundesgesetzliche Regelung, die entsprechend für alle Bundesländer gleichermaßen gilt.
Die Atteste der Schülerinnen und Schüler beinhalten mit den Kontraindikationen sensible Gesundheitsdaten. Die Bayerische Aufsichtsbehörde hat die datenschutzrechtlichen Anforderungen für die Prüfung der Masernschutz-Atteste nun im Tätigkeitsbericht für das Jahr 2023 konkretisiert und die beteiligten Schulen und das Gesundheitsamt entsprechend unterrichtet. Auf diese Weise wurde für mehr Rechtsklarheit im Verhältnis der Schulen und dem Gesundheitsamt gesorgt, was grds. zu begrüßen ist. Gleichwohl dürfte die tatsächlich an den Schulen gelebte Praxis hinsichtlich der Masernschutz-Atteste nicht immer den dargestellten datenschutzrechtlichen Anforderungen der Aufsichtsbehörde genügen.