Das Landesarbeitsgericht München hat mit Urteil vom 12. Juni 2025 (Az. 2 SLa 70/25) entschieden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer internen Compliance-Untersuchung keinen Anspruch auf Herausgabe einer vollständigen Kopie des Untersuchungsberichts nach Art. 15 DSGVO haben. Stattdessen besteht lediglich ein Einsichtsrecht in den Bericht, soweit dieser personenbezogene Daten enthält. Das Urteil schafft Klarheit im Spannungsfeld zwischen Datenschutz, Hinweisgeberschutz und arbeitsrechtlicher Transparenz.

Vorgeschichte

Die Klägerin war seit 2015 in leitender Funktion bei der Beklagten beschäftigt und bezog zuletzt eine Jahresvergütung von rund 179.600 Euro zuzüglich Aktienanteilen. Während ihrer Elternzeit erhielt die Compliance-Abteilung der Beklagten über eine Ombudsfrau mehrere Hinweise auf problematisches Führungsverhalten der Klägerin. Es wurde ihr unter anderem ein einschüchternder und respektloser Führungsstil vorgeworfen.

Daraufhin leitete die Beklagte eine interne Untersuchung ein. Diese mündete in einen Abschlussbericht vom 31. Januar 2024 sowie eine überarbeitete Fassung vom 6. Februar 2024. Der Bericht enthielt detaillierte Aussagen von Hinweisgebern und rechtliche Bewertungen. Die Beklagte verweigerte der Klägerin die Herausgabe des vollständigen Berichts mit dem Hinweis auf den Schutz der Hinweisgeber, auf Geschäftsgeheimnisse sowie auf das Risiko einer unzulässigen Ausforschung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.

Die Klägerin machte geltend, sie habe Anspruch auf eine Kopie des Berichts gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO, hilfsweise auf Einsichtnahme in die Unterlagen. Das Arbeitsgericht München gab ihr zunächst vollumfänglich Recht.

Entscheidung des LAG München

Das LAG änderte das Urteil der Vorinstanz teilweise ab. Es verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Einsicht in den Abschlussbericht vom 6. Februar 2024 zu gewähren, wies den weitergehenden Antrag auf Herausgabe einer Kopie jedoch ab. Die Kosten des Rechtsstreits wurden gegeneinander aufgehoben.

Das Gericht ließ die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu, soweit es um den Anspruch auf Überlassung einer Kopie ging.

Nach Auffassung des LAG besteht kein Anspruch auf Überlassung des vollständigen Dokuments. Art. 15 DSGVO gewährt Betroffenen das Recht auf Auskunft über ihre verarbeiteten personenbezogenen Daten und auf eine Kopie dieser Daten, nicht jedoch auf Herausgabe ganzer Schriftstücke, die darüber hinaus rechtliche Bewertungen, Einschätzungen oder Aussagen Dritter enthalten.

Der Zweck des Auskunftsrechts besteht darin, Betroffenen die Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten zu ermöglichen. Dafür genügt die Mitteilung oder Einsicht der relevanten Daten. Ein Anspruch auf vollständige Dokumentkopien besteht nur dann, wenn eine bloße Einsichtnahme nicht ausreicht, um die Betroffenenrechte effektiv wahrzunehmen.

Im vorliegenden Fall sei es ausreichend, dass die Klägerin Einsicht in den Bericht nehmen könne. Dadurch könne sie erkennen, welche Daten über sie gespeichert wurden und zu welchem Zweck.

Darüber hinaus bejahte das Gericht ein Einsichtsrecht aus arbeitsrechtlichen Vorschriften, insbesondere § 26 Abs. 2 Satz 1 SprAuG in Verbindung mit § 83 BetrVG. Der Bericht sei Teil der Personalakte, da er Informationen über das Verhalten und die Leistung der Klägerin im Arbeitsverhältnis enthalte.

Ein vollständiger Ausschluss der Einsicht aufgrund von Hinweisgeberschutz oder Geschäftsgeheimnissen sei nicht gerechtfertigt. Diese Interessen könnten durch geeignete Schwärzungen gewahrt werden. Das Gericht stellte klar, dass Hinweisgeberschutz nach § 8 HinSchG nicht automatisch greift, wenn es sich nicht um Meldungen im Sinne des Hinweisgeberschutzgesetzes handelt.

Bedeutung für die Praxis

1. Abgrenzung von Auskunft und Dokumentenkopie

Das Urteil verdeutlicht, dass Art. 15 DSGVO keinen pauschalen Anspruch auf Herausgabe kompletter interner Berichte gewährt. Maßgeblich ist, ob die betroffene Person ihre Datenrechte ohne Kopie effektiv ausüben kann.

2. Einsichtsrecht als arbeitsrechtliches Instrument

Ein Bericht über eine interne Untersuchung kann Teil der Personalakte sein. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben dann ein Einsichtsrecht, selbst wenn datenschutzrechtlich kein Anspruch auf Kopie besteht. Arbeitgeber sollten daher sorgfältig prüfen, wie Compliance-Berichte dokumentiert und archiviert werden.

3. Schutz von Hinweisgebern und Dritten

Der Schutz von Hinweisgebern bleibt ein hohes Gut, entbindet den Arbeitgeber aber nicht generell von der Pflicht zur Transparenz. Eine Einzelfallabwägung ist zwingend erforderlich. Schwärzungen oder anonymisierte Fassungen können ein praktikabler Mittelweg sein.

4. Bedeutung für Compliance und HR-Abteilungen

Das Urteil betont die Notwendigkeit, interne Untersuchungen datenschutzkonform und fair zu gestalten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass Beschuldigte angemessene Einsicht in gegen sie gerichtete Vorwürfe erhalten, ohne den Schutz Dritter zu gefährden.

5. Prozessuale Auswirkungen

Für arbeitsgerichtliche Verfahren bedeutet die Entscheidung, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwar Zugang zu relevanten personenbezogenen Daten erhalten, jedoch nicht automatisch zur gesamten internen Dokumentation. Das reduziert das Risiko einer unzulässigen Ausforschung, wahrt aber das Recht auf faire Verteidigung.

Fazit

Das Urteil des LAG München bringt eine sachgerechte Differenzierung zwischen Datenschutz und Unternehmensinteressen. Arbeitgeber müssen den Zugang zu personenbezogenen Daten ermöglichen, sind aber nicht verpflichtet, vollständige Compliance-Berichte herauszugeben. Für Arbeitnehmer eröffnet das Urteil dennoch eine effektive Möglichkeit, über das Einsichtsrecht Transparenz zu erlangen und ihre Rechte zu wahren.

Das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht wird zeigen, ob diese Auslegung des Art. 15 DSGVO Bestand haben wird.