Am 1.8.2017 hat am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Praxistest zur Videoüberwachung begonnen, der von Anfang an heftig kritisiert wurde.

Nun wurde zum Jahresabschluss eine erste Bewertung der Testergebnisse veröffentlicht. Darin zieht das Bundesministerium des Inneren (BMI) eine positive Bilanz.

„Bei 70 Prozent und mehr haben wir eine positive Erkennung der Gesuchten – das ist ein sehr guter Wert“, sagte der Innenminister.

Schnell zeigt sich jedoch, dass dies keineswegs ein gutes Ergebnis ist. Vielmehr werden die Unzulänglichkeiten der Technik deutlich.

Wie gut sind 70 Prozent?

Die positive Erkennung von 70% der gesuchten Personen bedeutet nur, dass von 10 Gesuchten, die die Kamera erfasst, auch 7 Personen korrekt erkannt werden. Das klingt zwar gut, ist aber eigentlich recht leicht zu erreichen. Am besten hat es Prof. Florian Gallwitz, Professor für Medieninformatik an der Technischen Hochschule Nürnberg, erklärt. Dieser meint, dass ein würfelnder Schimpanse ein besseres Ergebnis erzielen könnte als die 70% des Kamerasystems am Bahnhof Südkreuz. Für jeden Reisenden am Bahnhof wird gewürfelt. Bei einer 1 darf er weitergehen, bei 2-6 wird er verhaftet. Damit werden 83,3% der Passanten verhaftet, aber eben auch 83,3% der Terroristen. Das ist ein sehr guter Wert.

Der Fehler

Wie man hier sieht, ist die Frage nach der Fehlerquote des Systems viel interessanter.  Wie viele Personen werden fälschlicherweise für eine gesuchte Person gehalten und damit falsch erkannt. Diese Frage ist für jeden Reisenden am Südkreuz spannend, wenn er nicht zu Unrecht von der Polizei verhaftet werden will.

Das BMI hatte die Zahlen hierzu immer wieder korrigiert. Zu Letzt hieß es dann:

„Richtig ist: Bisher wurde in durchschnittlich weniger als 1% der positiv erkannten Fälle eine Person irrtümlich einem Datensatz in der Datenbank zugeordnet.“

Weniger als 1% klingt erstmal gut, aber wenn man bedenkt, wie viele Reisende den Bahnhof nutzen, sieht es anders aus.

Die Bahn teilt mit:

Mit täglich über 100.000 Reisenden und Besuchern ist der Bahnhof Berlin Südkreuz der drittgrößte Fernbahnhof der Hauptstadt.

Mit diesen Daten kann man nun nachrechnen, wie gut das System tatsächlich funktioniert. Detailliert wurde dies auch schon gemacht (z. B. hier oder hier)

Aber vollziehen wir es selbst nach:

Die Mehrheit dieser 100.000 Reisenden dürften keine Terroristen, sondern unschuldige Reisende sein. Nehmen wir nun eine Fehlerquote von nur ca. 0,5% an, so bedeutet dies, dass pro Tag 500 Personen fälschlicherweise als gesuchte Person erkannt wird. Selbst wenn am Tag 100 gesuchte Verbrecher den Bahnhof nutzen, würden von Diesen nur 70 Personen erkannt werden.

Am Ende des Tages haben wir 570 Verhaftungen, davon 500 Unschuldige und nur 70 Verbrecher. So gesehen liegt die Erfolgsquote (bei 70 von 570 Verhaftungen) nur noch bei ca. 12%

Wenn das System also einen Alarm auslöst ist nur in ca. 12% der Fälle auch wirklich eine gesuchte Person im Bild. In den meisten Fällen, nämlich 88%, ist die Person überhaupt nicht auf der Fahndungsliste.

Ein solches System kann man kaum als Erfolg bezeichnen. Wahllos Menschen auf der Straße verhaften und dann überprüfen, ob sie vielleicht Verbrecher sind, würde genauso funktionieren. Womit wir wieder beim Schimpansen mit dem Würfel sind.

Der Traum von der umfassenden Videoüberwachung und Gesichtserkennung, die es ermöglicht Jeden immer und überall zu beobachten und zu finden, scheint eine kindliche Allmachtsphantasie zu sein, die sich nicht nur im Fernsehen oder Kino immer wieder Bahn bricht. Praktikabel und sinnvoll wird sie dadurch dennoch nicht.