In der letzten Woche hatten wir über die EuGH-Breyer-Entscheidung berichtet. Der EuGH hat sich hierbei zur Frage des Begriffs des personenbezogenen Datums am Beispiel der IP-Adresse geäußert. Seitdem ist eine Diskussion um die Folgen des Urteils entbrannt. Patrick Breyer ist Kläger im Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland und stellt seine Sicht auf die EuGH-Entscheidung wie folgt dar:

„Grundsätzlich kein Datenschutz für IP-Adressen? Irrtum! 

Seit Jahren wird darüber gestritten, ob Daten über unser Surfverhalten im Internet („Logfiles“) dem Datenschutz unterliegen oder nicht. In diesem Blog wurde die Meinung vertreten, der EuGH habe in meinem Fall dem weiten (absoluten) Begriff des personenbezogenen Datums eine Absage erteilt. Einen Personenbezug habe der EuGH nur angenommen, wenn der Telemedienanbieter eine IP-Adresse identifizieren könne, beispielsweise durch Einsicht in die Akten eines Strafverfahrens.

Der Verfasser dürfte einem Irrtum unterlegen sein. Der Gerichtshof hat keineswegs entschieden, dass das Datenschutzrecht nur dann gelte, wenn die speichernde Stelle selbst den Betroffenen identifizieren könne (sogenannter relativer Begriff des Personenbezugs).

In Abs. 47 des Urteils wird der Personenbezug vielmehr daraus hergeleitet, dass sich Internet-Portalbetreiber anhand der in Surfprotokollen (Logfiles) enthaltenen IP-Adressen zulässigerweise –beispielsweise im Fall von “Cyberattacken” – “an die zuständige Behörde … wenden” können, damit diese die erforderlichen Informationen vom Internetzugangsanbieter anfordert und die Strafverfolgung einleitet. Die französische und englische Sprachfassung des Urteils ist an dieser Stelle deutlicher als die deutsche Übersetzung, deswegen habe ich Berichtigung beantragt. Der Urteilsspruch selbst stellt aber auch in der deutschen Fassung klar darauf ab, ob es dem Betreiber möglich ist, den Anschlussinhaber anhand der Verbindungsdaten des Zugangsanbieters “bestimmen zu lassen”. Dies ist – beispielsweise im Fall einer Strafanzeige – stets der Fall, unabhängig davon, ob ein Akteneinsichtsrecht des Betreibers besteht oder nicht.

Nicht gefordert wird also, dass der Anbieter selbst eine IP-Adresse identifizieren oder die Identität in Erfahrung bringen kann. Gut so, denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss auch vor falschem Verdacht, unberechtigten Abmahnungen, Datenklau, Datenverlust und Datenmissbrauch schützen.

Maßgeblich ist nach dem Urteil allein, ob Mittel bestehen, die vom Webseitenbetreiber vernünftigerweise eingesetzt werden können, um die Person identifizieren zu lassen (nicht: selbst zu identifizieren), siehe Abs. 48 der Urteilsgründe. Durch Vertragsklauseln lassen sich die rechtlichen Mittel zur Übermittlung von IP-Adressen an Strafverfolgungsbehörden nicht ausschließen, denn die Übermittlungsbefugnis besteht kraft Gesetzes (§§ 15 Abs. 5, 14 Abs. 2 TMG). Auch das Recht zur Erstattung einer Strafanzeige ist ein staatsbürgerliches Recht, welches vertraglich nicht wirksam abbedungen werden kann. Darauf dürfte es allerdings nicht ankommen, weil Polizei und Justiz Logfiles auch ohne Strafanzeige des Anbieters anfordern können.

Personenbezogen sind auch nicht nur IP-Adressen, von denen strafbare Handlungen ausgegangen sind. Eine rechtliche Möglichkeit zur Identifizierung besteht schon bei Verdacht einer Straftat, welcher auch zu Unrecht bestehen kann. Außerdem ist es Telemedienanbietern nicht möglich, vorherzusehen und auszusondern, welche IP-Adressen im späteren zeitlichen Verlauf einmal übermittelt und identifiziert werden. Um diese Daten von einer Protokollierung auszunehmen, muss die Speicherung insgesamt unterbleiben. Diese Sichtweise ist dem Datenschutzrecht nicht fremd, sondern entspricht der Auffassung der europäischen Aufsichtsbehörden.

Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung betont, darf die Internetnutzung nicht inhaltlich festgehalten und damit rekonstruierbar bleiben. Als Generation Internet haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten. Unser Leben wird immer digitaler, aber es darf damit nicht immer gläserner werden.“