Der Dokumentarfilm „Pre-Crime“ von Monika Hielscher und Matthias Heeder feierte bei den Hamburger Filmfestspielen Premiere und lief nun in mehreren Kinos an. Während der Film „Minority Report“ von Steven Spielberg aus dem Jahre 2002 einst noch eine düstere Zukunft der Verbrechensbekämpfung aufzeigte, soll „Pre-Crime“ die technische Entwicklung in den letzten Jahren bzw. die daraus entstehenden Gefahren für die Bevölkerung näher behandeln und die Thematik der Allgemeinheit zugänglich machen.

Dabei nehmen die Regisseure in ihrem gemeinsamen Werk die moderne Polizeiarbeit unter die Lupe, wie sie vermehrt in den USA (Chicago und Fresno) und England (Grafschaft Kent) rege Anwendung findet. Anhand von Algorithmen und neuester Überwachungsmethoden, die auch soziale Netzwerke und zusätzliche Quellen („Links“) einbeziehen, entstehen aktuelle Risikoanalysen zu Verdächtigen und Verbrechensszenarien.

In Chicago führte dies beispielsweise zu einer „Strategic Subject List“ (auch „Heat List“ genannt), auf der Opfer und Täter auf Grund einer nicht näher dargelegten Beziehung zu einem begangenen Verbrechen landen können und dann möglicherweise ein Leben lang im Visier der Behörde stehen. So wurde es jedenfalls an dem Betroffenen im Film, Robert McDaniel veranschaulicht, der nach eigenen Angaben beim Konsum von Cannabis und Glückspiel ertappt wurde und nun laut der Berechnung 215-mal mehr Gefahrenpotenzial aufweise als der Durchschnittsbürger. Die bereits bestehenden 400 Personen der Liste erhielten sodann postalisch oder durch einen persönlichen Besuch den Bescheid, dass sie auf dieser Liste und somit unter Beobachtung der Polizei stünden.

Andernorts wie in der englischen Grafschaft Kent wird an vergleichbaren Methoden der Verbrechenvorhersage gearbeitet. Und auch die bayerische Polizei setzt in München moderne Verfahren ein, um auf interaktiven Maps tagesaktuelle Problemkreise zu zeichnen, in denen beispielsweise Einbrüche häufiger auftreten.

Trotz dieser durchdachten Bezugspunkte lässt der Film leider viele Fragen offen und springt von einem Ort zum anderen. Ein französischer Wissenschaftler erklärt etwa zur Hälfte des Films, dass die von der Polizei angewandten Methoden allein auf solchen Daten beruhen würden, die von Anzeigeerstattern der Polizei gemeldet worden wären. Insgesamt sei das Bild dadurch verzerrt. Und ein anderer Forscher sieht in jeder Berechnung mögliche Unvollständigkeiten. Auf offenkundige Fehler im Verfahren wie auch Risiken bei der fehlerhaften Eingabe (Kontrolle) wird mit keinem Wort eingegangen.

Es bleibt bei unkonkreten Floskeln

So verrennen sich die Macher des Films in Oberflächlichkeiten und zeitgemäßen Floskeln. Denn die Akteure, unter anderem Anwälte oder der Regisseur in persona, ziehen sich auf allgemeingültige Erklärungsversuche zurück, beispielsweise dass „Likes“ und „Tweets“ in den sozialen Netzwerken jede Risikoanalyse beeinflussen würden – und Unternehmen uns Menschen immer mehr Statistiken zuordnen. Die elektronischen Gegebenheiten der Gegenwart erleichtern diese Formeln gewiss, werden aber nur vage vorgestellt.

Wollen wir in einer Welt leben, in der der Einzelne anhand von Algorithmen und seinen Interaktionen mit einem Wert berechnet wird, stellt eine Interviewpartnerin zur Diskussion. Diese rhetorische Frage darf durchaus gestellt werden, aber fußt die Wirtschaft nicht längst auf diesen Methoden der personalisierten Angebote und Inhalte? Sodann untermauert sie Ihre These: Wer bei Facebook z.B. Britney Spears und Desperate Housewives „liken“ würde, gelte möglicherweise zu einer Wahrscheinlichkeit von 72 Prozent als „Homosexuell“ – Doch was ist mit den weiteren 28 Prozent? Dabei sind die tatsächlichen Prozesse von Tracking, Verhaltensanalysen und Big Data in der Realität schon um einiges ausgereifter als diese Plattitüde aufzeigen soll. Aber was hat dies alles mit der Polizeiarbeit zu tun?

Dabei verkennen die Macher die Wirklichkeit: Predictive Policing kommt seit einigen Jahren hierzulande in verschiedenen Bundesländern zum Einsatz und wurde bzw. wird zurzeit evaluiert. Die bisherigen Ergebnisse stellen die Wirksamkeit zumindest teilweise in Frage. Eine aktuelle Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht stellt keine erkennbare Verminderung der Wohnungseinbrüche durch den Einsatz der Analysesoftware „PRECOBS“ fest. Gerade aber solche Evaluationen werden in dem Dokumentarfilm mit keinem Wort erwähnt. Belege für die im Film aufgestellten Behauptungen wie auch konkrete Statistiken/Untersuchungsergebnisse bleiben die Regisseure schuldig.

Vielmehr kommen Situationen zutage, die zumindest in Deutschland eher weniger häufig auftreten. Unter dem Motto: Wer die falschen Freunde hat, passt sich denen irgendwann an. Die damit einhergehende Vorverurteilung und Diskriminierung wird dann wiederum aber nicht thematisiert. „Pre-Crime“ wirkt nicht zu Ende gedacht.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen wie z.B. die Rechtsgrundlage für die Personenkontrolle bzw. Erhebung und Verarbeitung der personenbezogenen Daten der „Betroffenen“ oder allgemein die Frage nach dem Personenbezug (Sind es alles nur anonymisierte Daten?) wird gänzlich ausgeblendet. Ob und inwiefern der Datenschutz betroffen ist, hängt hiervon aber maßgeblich ab. Vielmehr wird das deutsche Recht trotz der deutschen Beteiligung an dem Film praktisch gar nicht dargestellt, sondern primär nur das Vorgehen gegen Verdächtige in den USA oder England, was sich zum Teil grundlegend vom deutschen Rechtsstaat unterscheidet. Manch dargestellte Szenarien wären hier undenkbar.

Stattdessen findet eine Vermischung von der mutmaßlichen Polizeiarbeit mit Fiktion und dem Computerspiel „Watch Dogs“ statt, die an der Realität der Bilder zweifeln lässt. Geht es hierbei noch um tatsächliche Berechnungsmodelle der Kriminologie oder sind wir schon ins Hollywood-Kino eingetaucht?

So ist es nicht verwunderlich, dass es die eigentlich spannenden und an den Beobachtungen anknüpfenden Theorien z.B. zur „self-fulfilling prophecy“ gar nicht erst auf den Plan der Regisseure schafften. Dabei wäre es doch interessant zu überlegen, ob und inwiefern der als vermeintlich zukünftiger „Täter“ eingestufte Betroffene wie z.B. Robert McDaniel nicht irgendwann doch in die Straffälligkeit auf Grund der Vorhersage gedrängt wird und sich das mutmaßlich berechnete Szenario nicht dadurch selbst erst erschafft und verwirklicht.

Davon abgesehen: Stadtpläne mit aufgemalten sozialen Brennpunkten, Polizeipatrouillen und Abhörmaßnahmen gab es auch schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts als an Smartphones und „Big Data“ noch gar nicht zu denken war.

Insgesamt schafft es die Doku „Pre-Crime“ daher trotz aktueller Fragestellungen und interessanter Ansatzpunkte nicht zu überzeugen und lässt vor allem die Datenschützer enttäuscht zurück.