Der Hamburger Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI), Prof. Dr. Johannes Caspar, erließ vor wenigen Tagen eine Anordnung auf Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 15.000 Euro gegen die ebenfalls in Hamburg ansässige Auskunftei Bürgel Wirtschaftsinformationen GmbH & Co. KG. Hiergegen wandte sich das Unternehmen, einer der Hauptwettbewerber der SCHUFA, vor dem Amtsgericht Hamburg (Az.: 233 OWi 12/17), blieb jedoch erfolglos. Mittlerweile legte es Beschwerde ein.
Das Wirtschaftsinformationsunternehmen Bürgel hatte einem Online-Händler auf die Bonitätsanfrage den Scoringwert des Betroffenen mitgeteilt. Obgleich die Auskunftei zu diesem Kunden keinerlei Daten und Informationen hatte, teilte sie dem Unternehmen allein auf Grundlage dessen Wohnadresse nach dem sogenannten Geo-Scoring, den berechneten Wert mit. Diese Zahl bemisst unter anderem die Kreditausfallwahrscheinlichkeit des Einzelnen und kann maßgeblich für den Vertragsabschluss bzw. das Vertragsverhältnis sein.
Mithin stellt bereits dieser Vorgang eine Übermittlung eines personenbezogenes Datum nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dar.
Das Scoring wird wie folgt in § 28b BDSG definiert:
„Zum Zweck der Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses mit dem Betroffenen darf ein Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten des Betroffenen erhoben oder verwendet werden, wenn die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des bestimmten Verhaltens erheblich sind [..]“.
Derartige Berechnungen setzt auch die SCHUFA ein und sie sind ein längst etablierter Bestandteil im Wirtschaftssystem.
Der Wohnort sagt alles
Entgegen den komplexen Berechnungen war im vorliegenden Fall allein der Wohnort entscheidend für die mutmaßliche Kreditwürdigkeit des Käufers. Die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Betroffenen wurde dabei nicht berücksichtigt.
Wohnt der Betroffene beispielsweise in einer sozial schwächeren Wohngegend bei Nachbarn mit schlechter Zahlungsmoral, kann der daraus resultierende (negative) Scoringwert bereits den Kaufvertrag verhindern. Schließlich geht der Verkäufer ungern Verträge mit mutmaßlich zahlungsschwachen Kunden ein.
Die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Nicht nur Onlineshops, sondern auch lokale Geschäfte nehmen bei Kreditratenkäufen wie z.B. im Rahmen großangekündigter Aktionen („24 Monate Ratenkauf ohne zusätzliche Kosten“) zumeist eine Bonitätsauskunft vor. Beim Autokauf oder Hausbau spielt die Bonität ohnehin einen ausschlaggebenden Faktor. Und auch Versicherungsunternehmen greifen unter anderem auf das Geo-Scoring zurück, weswegen die Beiträge zur KFZ-Versicherung bei Kunden in manchen Stadtteilen höher als auf dem Lande oder in ruhigeren Gegenden der Gutbetuchten ausfallen können.
Vor diesem Hintergrund der naheliegenden sozialen Diskriminierung durch das Geo-Scoring wurde die einschlägige Vorschrift aus dem Bundesdatenschutzgesetz (§28b BDSG) mit der BDSG-Novelle im Jahre 2009 dahingehend zu Gunsten der Betroffenen geändert, dass sich der Scoringwert nicht mehr allein aus der Adresse (Wohngegend) berechnen lassen darf, sondern auch weitere Daten miteinfließen müssen. Die allein aus der Wohngegend abgeleitete vermutete Bonität einer Person hält Prof. Dr. Johannes Caspar für ordnungswidrig. Deswegen fiel das angeordnete Bußgeld in Höhe von 15.000 Euro auch vergleichsweise hoch aus.
Scoring nach der DSGVO
Der Hamburger Datenschützer hält die Datenschutzbehörden mit Blick auf die bevorstehende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ab dem 25. Mai 2018 für zukünftig noch besser gerüstet. Zwar sieht die DSGVO keine vorteilhaftere Regelung der Bonitätsprüfung bzw. der Scoring-Berechnung der Auskunfteien vor, jedoch deutlich höhere Bußgelder von bis zu 2 bzw. bis zu 4 Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes vor. Dies können bei größeren Unternehmen schon empfindliche Bußgelder im Millionenbereich sein, was zu einer deutlich höheren Abschreckungswirkung führen könnte.
Gleichwohl enthält der Art. 22 DSGVO eine Öffnungsklausel, wonach der deutsche Gesetzgeber im BDSG-Neu, das sich derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren befindet, nationale Vorschriften zum Scoring treffen kann. Dies hat er auch getan. Denn der derzeitige Entwurf enthält in § 31 BDSG-Neu mit dem derzeitigen Recht vergleichbare Regelungen zum Scoring. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BDSG-Neu dürfen „für die Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts nicht ausschließlich Anschriftendaten genutzt wurden“. Das Vorgehen der Bürgel Wirtschaftsinformationen wäre also demnach in Zukunft ausdrücklich unzulässig.
Manuel
12. April 2017 @ 9:23
Spannender Fall! Wäre aber interessant zu wissen, wie ein solcher Fall überhaupt rausgekommen ist.