Während sich in Europa der Datenschutz spätestens seit der Verabschiedung der Europäischen Datenschutz-GrundVO (EU-DSGVO) immer größerer Akzeptanz erfreut, wird Großbritannien künftig einen weiteren Schritt in Richtung „Totalüberwachung“ gehen.
So stimmten vor wenigen Tagen mit 444 Abgeordneten des britischen Parlaments die überwiegende Mehrheit für das geplante Überwachungsgesetz „Investigatory Powers Bill“, das unter anderem den nationalen Internet Service Providern die Speicherung von IP-Adressen und weiteren Daten der Nutzer für ein Jahr auferlegen und darüber hinaus den britischen Geheimdiensten neue, weitgehende Befugnisse hinsichtlich Überwachungsmaßnahmen einräumen soll.
Und wie nun bekannt wurde arbeitet das britische Innenministerium derzeit an einem neuen Zentralrechner, der die Daten sämtlicher Bürger und sich im Land befindlichen Ausländer sammeln und eine sekundenschnelle Filterung bzw. Auswertung der daraus entstehenden Personenprofile zulassen soll. Rund 65 Millionen Menschen sind dann hiervon betroffen.
Zwar sind öffentliche Überwachungssysteme in England längst üblich im Stadtbild, jedoch werden die gesammelten Informationen derzeit nur eingeschränkt miteinander verknüpft. Eine übergreifende Auswertung ist deswegen bislang (mutmaßlich) nicht möglich. Mit dem neuen, vereinheitlichten System, aufbauend auf automatischen Algorithmen dürften zunehmend mehr Daten des Einzelnen an einem Ort gespeichert und miteinander verbunden werden.
Riesige Datenmengen werden zentralisiert
Unter den gesammelten Informationen befinden sich zahlreiche personenbezogene Daten wie das Geburtsdatum, der berufliche Werdegang, Krankheitsmeldungen, Reisedaten ins Ausland oder auch das bezogene Einkommen des Einzelnen. Diese teils sensiblen, personenbezogenen Daten genießen in Deutschland einen besonderen Schutz und sind nur unter strengen Voraussetzungen und zweckgerichtet zu erheben, speichern und zu verwenden. Die (anlasslose) Bildung von personenbezogenen Profilen und die uferlose Speicherung von Daten gilt es gar möglichst zu vermeiden, wie es bereits in der wegweisenden Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts zur „Vorratsdatenspeicherung“ angeklungen ist (Vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010, Az.: 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08).
Hinzu kommen in Großbritannien ebenso die Daten von der Überwachung des Straßenverkehrs durch ein modernes System, dass die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen (ANPR) automatisch ausliest und speichert. Irgendwann einmal soll es eine landesweite Abdeckung ermöglichen. Wer sich mit seinem PKW durch die Großstädte des Landes bewegt, wird bereits jetzt schon mehrmals pro Stunde unter Angabe des Standortes gescannt.
Vergleichbare Systeme der automatischen Nummernschilderkennung wurden in Deutschland bereits vor einigen Jahren durch die Polizei getestet bzw. eingesetzt und in den Folgejahren von den nationalen Gerichten überwiegend für unzulässig erachtet (Vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008, Az.: 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07), da sie unter anderem Bewegungsprofile abbilden und gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen (Art. 2 Abs. 1, 1. Abs. 1 GG) verstoßen würden. Die Polizei in Bayern setzte jedoch weiterhin unter gewissen Umständen in den letzten Jahren auf derartige Anlagen im Straßenverkehr und soll pro Monat rund 8 Millionen Fahrzeuge ablichten.
In Großbritannien sieht es hingegen anders aus: Eine Vielzahl der relevanten Daten wird ohnehin schon von den jeweils zuständigen Behörden wie der britischen Finanzbehörde, dem zentralen Grundbuchamt oder der staatlichen Gesundheitsstelle umfangreich gesammelt. Neu ist jedoch die durch die Pläne des Innenministeriums erreichte Zusammenlegung der massenhaften Informationen mit der zielgerichteten Profilbildung der sich im Land aufhaltenden Personen, die derzeit nur aufwendig und zeitintensiv möglich ist. Auch dürften vermutlich die einzelnen Stellen und Behörden ihrerseits einen größeren Zugriff auf die Datenbanken erhalten als es bisher der Fall ist.
Die Terrorismusbekämpfung als das oberste Ziel
Das britische Innenministerium begründet die erweiterte Installation eines zentralen Rechenzentrums mit dem angegebenen Ziel der Bekämpfung von Terrorismus und der Kriminalität. Letztlich soll auf diese Weise auch mehr Sicherheit gewährleistet werden, wenn die Polizei oder Geheimdienste innerhalb weniger Augenblicke Personenprofile von Verdächtigen erstellen und nach bestimmten Kriterien abgleichen können. Aber gewiss spielt auch das Bestreben nach Kostenreduzierung und der Verbesserung bestehender Überwachungssysteme eine beachtliche Rolle.
Innerhalb der Gesellschaft mehren sich die kritischen Stimmen hinsichtlich dieser angestrebten Totalüberwachung in Echtzeit. Gefordert werden beispielsweise klare Regelungen, wer den Zugriff und in welchem Umfang auf die in Zukunft anwachsenden Datensammlungen erhalten wird. Es ist davon auszugehen, dass sich die Proteste noch ausweiten werden, wenn die Einführung der sensiblen Gesundheitsdaten oder die Einkommensverhältnisse in das zentralisierte System droht. Ob dies allein durch das Argument der „Terrorismusbekämpfung“ gegenüber der Opposition und vor allem den betroffenen Bürgern zu rechtfertigen ist, kann bezweifelt werden.