Der Einsatz von „intelligenten“ Videosystemen, die mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) versprechen, effizienter zu arbeiten, ist nicht mehr neu. Immer öfter bedienen sich auch öffentliche Stellen dieser Technologie, um ihren Aufgaben nachzukommen. So auch die Hamburger Polizei. Mit dem Einsatz hat sich der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) in seinem 32. Tätigkeitsbericht beschäftigt.

Seit 2019 wird der Hansaplatz des Stadtteils St. Georg, sowie angrenzende Straßen von der Polizei an bestimmten Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten videoüberwacht. Bereits im Jahre 2019 hat der HmbBfDI eine umfassende Prüfung der Zulässigkeit dieser Videoüberwachung vorgenommen. Da eine anlasslose Videoüberwachung regelmäßig in die Grundrechte der Betroffenen, im vorliegenden Fall Passanten und Besucher, eingreift, bedarf es zur Aufgabenerfüllung der Gefahrenabwehr einer gesetzlichen Grundlage. Diese findet sich in § 18 Abs. 3 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei. Vor diesem Hintergrund wurde u. a. festgestellt, dass es für die Videoüberwachung des Hansaplatzes und den direkt angrenzenden Straßen durch die Polizei Hamburg nicht an den Voraussetzungen mangelt. Es handele sich bei dem überwachten Bereich um eine von der Straßenkriminalität erheblich stärker betroffene öffentlich zugängliche Örtlichkeit im Vergleich zu dem übrigen Stadtgebiet.

Im Rahmen einer Presseanfrage vom 12.05.2023 wurde der HmbBfDI auf eine geplante technische Aufrüstung der Videoüberwachungsanlage der Polizei insoweit aufmerksam gemacht, dass die intelligente Videoauswertungssoftware „IVBeo“ verwendet werden soll.

IVBeo wertet die Datensätze der Kameras hinsichtlich auffälliger Bewegungsmuster wie z. B. Schlägen, Tritten oder Stürzen aus. Sobald IVBeo ein solches Muster erkennt, sorgt das System dafür, dass auf einem separaten Monitor Live-Bilder der Situation abgespielt und gleichzeitig anwesende Polizeibeamt*innen durch ein Signal auf die Gefahrensituation aufmerksam gemacht werden. Die Entscheidung, ob eine Gefahrensituation vorliegt und Einsatzkräfte entsendet werden müssen, liegt dabei immer bei den Beamten, sodass hier nicht von einer automatisierten Entscheidung gem. § 9 PolDVG auszugehen ist. Dieser sieht für Entscheidungen, die rein automatisiert getroffen werden, strenge „Spielregeln“ vor.

IVBeo lernt bei seinem Einsatz nicht selbstständig neue Muster, sondern arbeitet bei der Auswertung auf Basis der Mustererkennungen des Systemeinsatzes in Mannheim. Dort befindet sich IVBeo bereits durch die Polizei im Einsatz. Somit werden zum Training der Software keine personenbezogenen Daten aus dem Einsatz am Hansaplatz genutzt.

Der Vorteil der Software liegt in der Eliminierung von menschlichen Fehleinschätzungen: Die Software löscht irrelevante Szenen aus der Überwachung in einer logischen Sekunde und übergibt dem menschlichen Beobachter lediglich den Hinweis auf tatsächliche Störer, wohingegen menschliche Beobachter stets das gesamte Bild und damit auch viele Unbeteiligte betrachten. Zielvorstellung ist es, in Zukunft die Eingriffsintensität der Beobachtung durch die Polizei dadurch zu verringern, dass eine Beobachtung durch einen Menschen nur dann erfolgt, wenn die Software anschlägt und einen Hinweis abgibt.

Datenschutzrechtliche Einordnung:

Videoauswertungssoftwares wie IVBeo verarbeiten personenbezogene, was zu einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen führt. Dies hat zur Folge, dass für die Verwendung einer solchen Software eine Rechtsgrundlage erforderlich ist.

Die Polizei Hamburg stützt die Auswertung durch IVBeo auf § 18 Abs. 3 PolDVG. Diese Rechtsgrundlage gestattet neben der Videoüberwachung auch die Verarbeitung der Bildaufzeichnungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Die Weiterverarbeitung der Videoaufzeichnungen kann jedoch nur auf diese Rechtsgrundlage gestützt werden, wenn diese Verarbeitung nicht wesentlich tiefer in die Grundfreiheiten der Betroffenen eingreift als die Videoüberwachung selbst. Die Prüfung des HmbBfDI ergab, dass ein qualitativ intensiverer Eingriff durch die automatisierte Auswertung nicht stattfindet. Hierzu wurde u. a. ausgeführt, dass:

 „Anders als beim Einsatz anderer, komplexer Systeme, keine neue Auswertungstiefe erreicht werden soll. Die Daten sollen weder neu verknüpft noch mehrstufigen Analysen unterzogen werden. Die Eingriffstiefe ist daher im Ergebnis nicht wesentlich höher und vor allem qualitativ nicht anders zu beurteilen als die bisherige Überwachung. Es ist insgesamt die Tendenz zu entnehmen, dass das System allenfalls einen brauchbaren Assistenten darstellt.“ (Quelle: Tätigkeitsbericht Datenschutz 2023 – HmbBfDI S. 74)

Laut HmbBfDI habe sich aus den Auswertungen von IVBeo keine Hinweise ergeben, dass abweichende Bewegungsmuster durch (körperliche) Behinderungen einen relevanten Teil der Fehlerkennungen der Software ausmachen.

Nutzung des Systems zum Zwecke der Weiterentwicklung

Einer Weiterentwicklung des Systems durch das Trainieren und Lernen durch Verwendung von Realdaten u. a. von unbeteiligten Passanten auf öffentlich zugänglichen Plätzen erscheint laut des HmbBfDI zumindest für verfassungsrechtlich nicht von vornherein unmöglich. Leider hat sich der HmbBfDI nicht weiter mit der Frage beschäftigt, ob und inwiefern die Verwendung intelligenter Videoüberwachung, insbesondere zum Zweck des Lernens bzw. des Trainings der entsprechenden Software, datenschutzrechtlich durchgesetzt werden kann.

Ausblick

Der HmbBfDI beschäftigt sich in seinem Bericht zwar nur mit dem Einsatz durch öffentliche Stellen, allerdings dürfte eine Technologie, die Gesten von Personen erkennen und deuten kann, auch für den nicht-öffentlichen Bereich interessant werden. Denkbar sind beispielsweise Lösungen, die durch Gesten klassische Diebstahlshandlungen erkennen können. Allerdings müssen im nicht-öffentlichen Sektor solche Verarbeitungen in der Regel die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO erfüllen. Dieser fordert stets eine Abwägung zwischen den Interessen des Einsetzenden und dem betroffenen Personenkreis. Hier kann eine Abwägung, insbesondere wegen fehlender Verhältnismäßigkeit, auch bei gleicher oder ähnlicher Ausgestaltung, wie oben beschrieben, durchaus gegenteilig ausfallen. Daher sollte bei einem geplanten Einsatz von ähnlicher Technologie immer ausführlich geprüft werden, wie die technische Ausgestaltung ist und ob die datenschutzrechtlichen Grundsätze eingehalten werden.