So beginnt so mancher Witz in den USA (wie dieser: Knock, Knock! Who’s there? Ken! Ken who? Ken I come in?)
Wer allerdings heutzutage wissen möchte, wer vor der Haustür steht, bedient sich einer Türklingel, die neuerdings eine Videoaufzeichnungsfunktion hat, die die aufgezeichneten Bilder entweder in das Smart Home-System übermittelt oder direkt auf das Smartphone überträgt. So kann man auch gerade unterwegs sein oder am Strand im Urlaub sitzen und live beobachten, wer gerade geklingelt hat. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen schlechten Scherz, sondern um ein Millionengeschäft.
Mit einer solchen videofähigen Türklingel lässt sich schnell und einfach prüfen, wer, wann vor der eigenen Tür steht: Wird mein Paket geliefert? Ist der Besuch schon da? Steht ein ungebetener Gast vor meiner Tür? Und was macht eigentlich der Nachbar schon wieder vor meinem Haus? All das bekommt man schnell und einfach auf sein Smartphone gesendet; allerdings könnten die Daten auch gespeichert werden.
Amazons Tochterfirma, Ring mit Sitz in Kalifornien, ist Hersteller von smarten Videokameras, Türklingeln und weiteren diversen Smart Home-Technologien. Der gleichnamige Türklingel-Dienst ist in den USA mittlerweile Marktführer in diesem Millionengeschäft.
Mit dem Protect-Plan-Plus-Abonnement (eines von mehreren Abonnements) erhalten Kund*innen für nur 10 Euro im Monat (auch in Europa) das rundum „Sorglospaket“ der Sicherheitsüberwachung: Bewegungsaktivierte Benachrichtigungen, Echtzeit-Videos mit Live-Videofunktion, Personenerfassung (zusätzlich mit Benachrichtigung, wenn eine Person erfasst wurde), Videos mit einer Speicherdauer von bis zu 180 Tagen (Standardeinstellung laut Handbuch sind 30 Tage), man kann bis zu 50 Videos gleichzeitig herunterladen und mit den Lieben teilen und wenn das eigene Netz mal ausfällt, wird ein Mobilfunk-Reservesystem für Ring angeboten, damit keine Daten verloren gehen. Mit einem Ring Protect-Abonnement werden die Videos in der Cloud gespeichert und sind daher von verschiedenen Geräten aus jederzeit abrufbar, können allerdings auch jederzeit gelöscht werden.
Ring setzt also auf ständige Verfügbarkeit und wirbt mit Sicherheit; so schreiben sie in ihrem Handbuch: Mit der Ring-App auf Ihrem Smartphone, Tablet oder Computer haben Sie die vollständige Kontrolle über die Sicherheit Ihres Zuhauses (vgl. hier).
Es bleibt die Frage, wessen Sicherheit hier eigentlich im Fokus steht? Die der Nachbarschaft und der Hausbesitzer*innen oder die Sicherheit der Daten? Oder wird möglicherweise nicht doch unrechtmäßig in ein Grundrecht Dritter eingegriffen, wenn eine solche Türklingel auf die beschriebene Weise genutzt wird?
Wer ist überhaupt aus datenschutzrechtlicher Sicht für die Datenverarbeitung verantwortlich?
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit aus Baden-Württemberg, Dr. Stefan Brink, hat in seinem 37. Datenschutz-Tätigkeitsbericht des Jahres 2021 das Thema Türklingelkamera aufgegriffen. Darin schreibt er:
Immer wieder mussten wir darauf hinweisen, dass nicht dem Hersteller, sondern den Betreiber*innnen die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit obliegt. Verbraucher*innen haben oftmals nicht im Blick, dass einige der erhältlichen Kamerasysteme für den „Weltmarkt“ produziert werden, sodass die Kamerasysteme zum Teil nicht mit datenschutzfreundlichen Voreinstellungen versehen sind, weil die DSGVO als europäisches Recht für diese Hersteller nicht den (alleinigen) Maßstab darstellt.
Datenschutzrechtlich Verantwortliche sind also all diejenigen, die diese Türklingel an ihrer Haustür anbringen und die Daten verarbeiten. Beispielsweise wäre der Mieter, der sich die Ring Türklingelkamera anbringt der Verantwortliche und nicht der Vermieter des Mehrfamilienhauses.
Dürfen Verantwortliche im Privatbereich denn nicht alles filmen was sie möchten?
Nach Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO ist die DSGVO zwar nicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten „durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ anwendbar. Wie weit das sogenannte Haushaltsprivileg reicht, ist allerdings umstritten (wir berichteten).
Bei den oben beschriebenen Türklingelkameras handelte es sich bei der am häufigsten eingesetzten Technik um Kamerasysteme, die auch eine Datenspeicherung umfasst. In diesen Fällen sollte man wissen, dass diese Art der Klingelkamera aus rechtlicher Sicht mit einer privaten Videoüberwachung gleichzusetzen ist. Damit muss diese Videoüberwachung sich an den gesetzlichen Grundsätzen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO messen und nach diesem Maßstab bewerten lassen. Damit findet das sogenannte Haushaltsprivileg in den Fällen, in denen auch der öffentliche Raum gefilmt wird keine Anwendung. Der Landesdatenschutzbeauftragte aus Baden-Württemberg hat in seinem 37. Tätigkeitsbericht des Jahres 2021 auf eine Vielzahl von Beschwerden und Anfragen von und gegen Anwender*innen hingewiesen und festgestellt, dass die Türklingelkamerasysteme in vielen Fällen unzulässig betrieben wurden (vgl. 37. Datenschutz-Tätigkeitsbericht des Jahres 2021, S. 107). Insbesondere ist die Speicherdauer von Daten bei Videoüberwachungen relevant. Grundsätzlich gilt, dass personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen sind, sobald sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen; eine Speicherdauer von bis zu 72 Stunden ist in der Regel zulässig. Damit sind die Standardeinstellungen bei Ring von 30 Tagen und die möglichen 180 Tage Speicherdauer aus datenschutzrechtlicher Sicht hierzulande unzulässig. Manche Türklingelkameras erfassen zudem nicht nur den Nahbereich der Haustür, sondern auch den vollständigen Gehweg über die gesamte Gebäudefront – und damit den öffentlichen Raum.
Wie sich Türklingelkameras datenschutzkonform einsetzen lassen, wurde von der Datenschutzkonferenz (DSK), dem Gremium der unabhängigen deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder in ihrer Orientierungshilfe zur „Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“ beschrieben.
Erfassen digitale Tür- oder Klingelkameras den öffentlichen Raum, können sie nur mit bestimmten technischen Einstellungen eingesetzt werden. Unbedenklich ist ein System, das eine Bildübertragung erst nach Betätigung der Klingel ermöglicht, eine dauerhafte Speicherung der Bildaufnahmen ausschließt, räumlich nicht mehr abbildet, als ein Blick durch einen Türspion gewähren würde, und das die Übertragung nach einigen Sekunden automatisch unterbricht. Eine dauerhafte und anlasslose Bildübertragung öffentlicher Räume muss technisch ausgeschlossen sein. Ein System, das in Wohnbereichen sowohl als Überwachungs-, als auch als Tür- und Klingelkamera eingesetzt, d.h. durch Bewegung, manuell oder per Smartphone aktiviert werden kann (ggf. ein Pre-Recording einsetzt) und dabei den öffentlichen Raum erfasst, erfüllt die rechtlichen Anforderungen an eine Videoüberwachung öffentlicher Räume in der Regel nicht.
Eine Nutzung von Türklingelkameras ist auch dann unzulässig, wenn Hausmitbewohner*innen, Nachbar*innen oder Mieter*innen überwacht werden können, wenn sie beispielsweise im Erfassungsbereich der Türklingelkamera gefilmt werden, wenn sie den Müll zu entsorgen, das Haus betreten oder verlassen oder einfach vor der Tür mit Gästen sprechen. Eine derartige Überwachung ermöglicht bei einer dauerhaften Erfassung eine Verhaltenskontrolle und greift damit erheblich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen ein.
Was geschieht überhaupt mit den Daten?
Sorgen bereitet dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit aus Baden-Württemberg ein Videotürklingelsystem, das die Aufnahmen in „Clouds“ speichert. Zu solchen Cloudanbietern gehören auch die Produkte des Tech-Giganten, Amazon.
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit aus Baden-Württemberg führt in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht aus:
Zwischenzeitlich verfügen viele, häufig auch sehr preisgünstige Produkte, über eine solche Speicherfunktion, wobei damit in vielen Fällen eine Datenübertragung ins EU-Ausland einhergeht. Zwar hat die EU-Kommission infolge des sogenannte „Schrems-II- Urteils“ vom 16. Juli 2020 (Rechtssache C-311/18) am 4. Juni 2021 neue Standardvertragsklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer erlassen. Dennoch haben Verantwortliche auch nach diesen neuen Klauseln umfangreiche rechtliche und tatsächliche Sorgfaltspflichten, die Privatpersonen kaum erfüllen können. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind daher vor allem solche Systeme vorzugswürdig, die gerade keine dauerhafte Speicherung der Bildaufnahmen vornehmen. Deshalb: Augen auf beim Türklingelkamerakauf!
Sind die Daten sicher, wenn sie gespeichert werden?
Das Handelsblatt berichtete am 19.09.2022 darüber, dass es möglicherweise Herausgaben von Daten ohne Zustimmung der Nutzer*innen an Ermittlungsbehörden auch in Deutschland gegeben haben soll und die Videoaufnahmen von Amazon-Klingeln zu Beweismaterial werden könnten. Ein solches vorgehen wäre nicht neu und ist schon von einem andren Tech-Giganten, Tesla bekannt. Wir berichteten.
Ein Amazon-Sprecher soll gegenüber dem Handelsblatt erwähnt haben, die Daten würden weitergegeben, wenn die Strafverfolgung eine unmittelbare Bedrohung nachweisen könne und die Zeit dränge (vgl. unseren Beitrag zur Verpflichtung des Fahrzeugherstellers Mercedes Benz Navi-Daten an die Ermittlungsbehörden herauszugeben). Laut dem Handelsblatt soll sich Amazon nicht dazu geäußert haben, wie oft bereits in Deutschland Videoaufnahmen oder andere persönliche Daten an die Polizei oder andere Behörden übergeben worden seien. Dennoch soll sich der Baden-Württembergische Datenschutzbeauftragte, Dr. Stefan Brink gegenüber dem Handelsblatt besorgt über den Umgang der Amazon-Tochter Ring mit personenbezogenen Daten geäußert haben.
Wie man mit den durch Ring gespeicherten Daten in den USA umgeht, ist hinreichend bekannt. Dort gibt es eine eigens für Aufnahmen von Ring Überwachungskameras ins Leben gerufene Pannen-Show namens Ring Nation. Die von der Komikerin Wanda Sykes moderierte und von MGM Television (seit 2022 Teil des Amazon Konzerns) produzierte Serie zeigt virale Videos, die über Telefone, Haussicherheitskameras und intelligente Türklingeln aufgenommen wurden und vor allem mit Videos von Ring gespeist werden. So etwas wäre hierzulande unzulässig: Nach den Anforderungen der DSGVO müssten diese Betroffenen darin eingewilligt haben, die Daten auf diese Weise zu verarbeiten. Aber auch in den USA gab es harsche Kritik zum Umgang mit den Daten, die Ring generiert und für TV-Serien Zwecke nutzt und ungefragt an US-Ermittlungsbehörden herausgegeben haben soll (vgl. hier und hier).
Fazit
Nimmt die Videoüberwachung durch Privatpersonen langsam überhand?
Von Hauskatzen, die mit Mikrokameras ausgestattet durch die Nachbarschaft streifen (wir berichteten), über Autos, die im Wächtermodus mit einer 360°-Überwachung die Fahrzeugumgebung mit bis zu 250 m Reichweite filmen (wir berichteten) oder gleich den gesamten Straßenverkehr filmen (wir berichteten) bis hin zur Überwachung vor den Haustüren durch Türklingelkameras.
Tesla-Halter*innen mit kameraausgestatteter Hauskatze und mit Ring Türklingel an der Haustür wären somit bei der Informationsbeschaffung kaum mehr Grenzen gesetzt. Sie könnten die Kinder ausspionieren, den ersten Kuss nach dem ersten Date vor der Haustür live beobachten und im Familienchat teilen oder sie könnten für die nächste Nachbarschaftsklage vom Strandkorb aus dem Urlaub Beweise sichern, die Einbrecher*innen live beim Aufbrechen der Tür ertappen, den Hund, der am Tesla seine Notdurft verrichtet überführen und minutiös Buch führen, wann die Post zugestellt wurde.
Fest steht in jedem Fall: Vor Gebrauch informieren und prüfen!
Wer den öffentlichen Bereich überwacht, den Privatbereich verlässt oder Dritte filmt, muss den Datenschutz beachten! Beispielsweise muss diese Form der Videoüberwachung den betroffenen Personen gegenüber transparent gemacht werden. Es ist insbesondere darüber zu informieren, welche Bereiche zu welchen Zwecken und auf welcher Rechtsgrundlage überwacht werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Daten datenschutzkonform verarbeitet, übermittelt und gelöscht werden. Das bedeutet, dass ggf. ein Hinweisschild aufgehängt werden müsste, Betroffenenrechte geltend gemacht werden könnten und möglicherweise datenschutzrechtliche Verträge mit der Amazon-Tochter Ring geschlossen werden müssten. Andernfalls liefe man Gefahr, möglicherweise Post von der Aufsichtsbehörde zu bekommen und sich ggf. Gedanken über ein Bußgeld machen zu müssen.