Ob Sprachassistent oder Tablet: Die Digitalisierung ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Auch Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen sind zunehmend digital unterwegs. Für die Selbstbestimmtheit und Integration der Bewohner*innen hat das enorme Vorteile: In Kontakt bleiben mit Kindern und Enkeln? Dank FaceTime kein Problem. Mal wieder die alte Lieblingsserie schauen? Irgendein Streamingdienst wird’s schon haben. Das eigene Zimmer mit einer Ring Kamera überwachen? Äh…Moment mal!
Zum Hintergrund
In einem Pflegeheim hatte ein Bewohner in seinem Zimmer ohne vorherige Absprache mit der Heimleitung eine Videokamera installiert, um sein Zimmer überwachen zu können, nachdem er den Verdacht hatte, aus seinem Zimmer sei gestohlen worden. Da vor allem Mitarbeitende regelmäßig das Zimmer des Bewohners betreten müssen, wurden diese unfreiwillig zu Darsteller*innen im „Film“ des Bewohners.
Dieser Fall aus unserem Berateralltag wirft aus datenschutzrechtlicher Sicht spannende Fragen auf: Ist eine Videoüberwachung in diesem Kontext zulässig? Welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein? Und welche Rolle spielt dabei das Hausrecht in Heimen?
Anwendbarkeit der DSGVO
Zunächst ist zu klären, ob die DSGVO in diesem Fall überhaupt Anwendung findet. Gemäß Art. 2 Abs. 1 DSGVO gilt diese grundsätzlich für die „ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten“– unabhängig davon, ob es sich beim Verarbeiter um eine natürliche oder eine juristische Person handelt. Im vorliegenden Fall hat der Heimbewohner die Videokamera in seinem Zimmer installiert und betrieben. Da er allein über die Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung entschieden hat, ohne, dass das Pflegeheim als Einrichtung hierüber Kenntnis hatte, ist er alleiniger Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO.
Liegen weitere Ausnahmefälle hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO vor? In Frage kommt insbesondere Art. 2 Abs. 2 S. 1 lit. c DSGVO. Demnach findet die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch natürliche Personen zu rein persönlichen oder familiären Handlungen (Haushaltsausnahme). Da das Zimmer des Pflegeheimbewohners regelmäßig von Mitarbeitenden zur Durchführung der Pflegemaßnahmen betreten werden muss und die Videoaufnahmen gerade auf die Aufzeichnung „fremder“ Personen abzielen, kann hier schon keine ausschließlich private Datenverarbeitung zu persönlichen oder familiären Zwecken vorliegen. Die DSGVO ist somit anwendbar.
Mögliche Rechtsgrundlagen für die Videoüberwachung
Nachdem geklärt ist, dass die DSGVO anwendbar ist, braucht es für die Videoüberwachung eine Rechtsgrundlage. In Frage kommen hier Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO und Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a DSGVO.
Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO – Berechtigtes Interesse
Verarbeitungen von personenbezogenen Daten können auf ein berechtigtes Interesse gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO gestützt werden. Das setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung des berechtigten Interesses des Verantwortlichen erforderlich ist. Gleichzeitig dürfen die Interessen der betroffenen Personen nicht überwiegen.
In unserem Fall ist das Interesse des Heimbewohners klar: Durch die Videoüberwachung seines Zimmers wollte der Bewohner sein Eigentum vor weiteren Diebstählen schützen. Grundsätzlich wird der Schutz von Eigentum laut der Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen der Datenschutzkonferenz (DSK) als berechtigtes Interesse eingestuft.
Erforderlichkeit der Videoüberwachung zum Schutz vor Diebstahl
Im Rahmen der Interessenabwägung muss jedoch auch die Erforderlichkeit der Videokamera als Maßnahme zum Schutz des Eigentums geprüft werden. Die Maßnahme ist dann erforderlich, wenn kein milderes Mittel ersichtlich ist, das ebenso effektiv ist. Hier kämen gleich mehrere Alternativen in Betracht: So könnte das Pflegeheim den Bewohner*innen beispielsweise abschließbare Schränke oder Tresore für Wertsachen zur Verfügung stellen. Diebstähle könnten so, anders als bei Anfertigung von Videoaufnahmen des/der Täter*in, von vornherein verhindert werden – ganz ohne Datenverarbeitung.
Zudem können Heimbewohner einen Anspruch auf einen eigenen Zimmerschlüssel haben: Pflegebedürftige Menschen verlagern mit Einzug in ein Pflegeheim regelmäßig ihren Lebensmittelpunkt dorthin. Laut einem Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entsteht für das eigene Zimmer auch grundsätzlich ein Hausrecht für die Bewohner*innen. Diese können demnach frei darüber entscheiden, wer ihr Zimmer betreten darf – das gilt auch für das Heimpersonal. Zur Wahrung dieses Rechts ist unter Umständen auf Wunsch der Bewohner*innen ein Zimmerschlüssel bereitzustellen, sofern das Zimmer in Gefahrensituationen trotzdem geöffnet werden kann. Hierdurch kann der Kreis der Zugangsberechtigten stark reguliert werden, was im Vergleich zu einer Videoüberwachung als deutlich milderes Mittel einzustufen ist. Ein Diebstahl durch andere Bewohner*innen könnte so ausgeschlossen werden; ein Diebstahl durch Mitarbeitende mit Zimmerschlüssel hingegen nicht.
Somit kann sich der Bewohner in unserem Fall aufgrund der mangelnden Erforderlichkeit nicht auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO berufen.
Abwägung der Interessen des Verantwortlichen und der Betroffenen
Doch auch ohne Vorliegen eines milderen Mittels dürften die Interessen sowie der Schutz der Grundrechte der betroffenen Personen regelmäßig überwiegen. Neben den Mitarbeitenden des Pflegeheims gehören auch alle weiteren Personen, die das Zimmer des Bewohners betreten, zum Kreis der Betroffenen. Dazu zählen andere Bewohner*innen und Besucher*innen.
Allen Betroffenen steht zunächst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu, wonach jede Person selbstbestimmt über die Preisgabe und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten entscheiden kann. Die Betroffenen dürften ein grundlegendes Interesse daran haben, nicht ohne Weiteres bei der Arbeit oder im privaten Kontext gefilmt zu werden.
Ob dieses Interesse schutzwürdiger ist als das Interesse des Bewohners, hängt laut DSK von der Eingriffsintensität ab, welche sich unter anderem anhand der betroffenen Personenkreise bemisst.
Sobald in unserem Fall andere Bewohner*innen des Pflegeheims das Zimmer des Verantwortlichen betreten, besteht aufgrund der Umstände das Risiko, dass auch Gesundheitsdaten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO i. V. m. Art. 4 Nr. 15 DSGVO verarbeitet werden. Dabei gehören diese Daten zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten, die besonderen Schutz genießen. Zudem zählen pflegebedürftige Menschen laut einer Studie im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit zu den vulnerablen Personengruppen.
Auch auf den Schutz von Arbeitnehmenden ist laut DSK-Orientierungshilfe besonders zu achten, sofern diese von einer Videoüberwachung zumindest teilerfasst sind – was hier durch die Erfüllung der Pflegeaufgaben in den Zimmern der Bewohner*innen der Fall ist.
Angesichts der erörterten milderen Mittel, der Größe des Kreises von möglichen Betroffenen und der Eingriffsintensität dürften im vorliegenden Fall die Interessen der Betroffenen überwiegen.
Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO – Einwilligung
Als weitere mögliche Rechtsgrundlage könnte die Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a DSGVO herangezogen werden.
Laut der Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen der DSK ist ein solches Vorhaben aus diversen Gründen nur schwer umzusetzen. In der Natur von Pflegeheimen liegt es, dass regelmäßig neue Bewohner*innen einziehen und neue Mitarbeitende eingestellt werden. Der verantwortliche Bewohner müsste somit ständig darauf achten, ob von jeder neuen Person auch eine wirksame Einwilligung gemäß Art. 4 Nr. 11 DSGVO vorliegt und einen entsprechenden Nachweis anfertigen. Besonders schwierig wird es dann, wenn der Bewohner sich nicht in seinem Zimmer befindet und neue Mitarbeitende, z. B. um die Bettwäsche zu wechseln, das Zimmer betreten. Denn das bloße Betreten eines Raumes stellt laut DSK noch keine wirksame Einwilligung dar. Darüber hinaus treffen den Bewohner umfangreiche Informations-, Dokumentations- und Rechenschaftspflichten. Unabhängig von der Rechtsgrundlage gemäß Art. 6 Abs. 1 DSGVO müssten unter anderem Hinweisschilder angebracht werden und die Aufnahmen nach Widerruf der Einwilligung gelöscht werden. Bei nicht erteilter Einwilligung muss vor Betreten des Zimmers die Kamera ausgeschaltet werden. In der Summe scheint es nicht realistisch, dass alle Pflichten durch den Bewohner eingehalten werden können. Das Risiko eines Datenschutzverstoßes wäre hier entsprechend hoch, sodass die Verarbeitung faktisch nicht auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a DSGVO gestützt werden könnte.
Exkurs: Mögliche Straftatbestände – Anwendbarkeit StGB
Neben der hohen Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß gegen das Datenschutzrecht könnten darüber hinaus auch Straftatbestände erfüllt sein. Gemäß § 201 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, wenn jemand unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einem Tonträger aufnimmt. Zudem könnte auch § 201a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB einschlägig sein, da es hier konkret um Videoaufnahmen geht. Dies setzt jedoch eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches der abgebildeten Person voraus. Ob mögliche Straftatbestände erfüllt sind, muss daher konkret in jedem Einzelfall neu geprüft werden.
Fazit
Pflegeheime sehen sich immer öfter mit technischen Assistenten oder heimlich installierten Videokameras durch Bewohner*innen konfrontiert. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist eine solche Videoüberwachung nur unter strengen Voraussetzungen zulässig, die realistisch von den verantwortlichen Bewohner*innen nicht erfüllt werden können. Pflegeheime können, z. B. im Heimvertrag oder in der Heimordnung, zur Prävention von Datenschutzvorfällen Regelungen zur Nutzung von Videokameras treffen. Dabei müssen diese Regelungen jedoch immer die Grundrechte und insbesondere das Hausrecht der Bewohner*innen angemessen berücksichtigen.
TkB
13. Dezember 2024 @ 9:56
Ich stimme der Argumentation im Artikel nicht zu, da sie wesentliche Aspekte außer Acht lässt. Der Schutz der Privatsphäre im Pflegeheimzimmer lässt sich durchaus aus Artikel 1 GG (Schutz der Würde des Menschen) ableiten. Zwar genießt ein Pflegeheimzimmer nicht denselben Schutz wie eine Wohnung nach Artikel 13 GG, doch stellt es einen geschützten Rückzugsraum dar. Dies wird durch die Heimgesetze der Bundesländer zusätzlich gestärkt, die die Privatsphäre und Selbstbestimmung der Bewohner berücksichtigen.
Das berechtigte Interesse eines Heimbewohners, sein Eigentum vor Diebstahl zu schützen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass demente Mitbewohner häufig unbeabsichtigt Zimmer anderer Bewohner betreten und Gegenstände mitnehmen. Diese Problematik unterstreicht die Notwendigkeit effektiver Schutzmaßnahmen. Der Vorschlag, Wertsachen nur durch abschließbare Schränke zu sichern, greift zu kurz, da dies die Bewegungsfreiheit und Würde des Bewohners einschränken kann.
Die klare Ausschilderung einer Videoüberwachung und deren Ausrichtung auf den Schutz des Eigentums halte ich für eine verhältnismäßige Maßnahme, sofern sie den Datenschutz berücksichtigt. Eine Videoüberwachung sollte nicht pauschal ausgeschlossen werden, sondern als Mittel betrachtet werden, um berechtigte Interessen der Bewohner zu wahren – im Einklang mit den Grundrechten und unter Berücksichtigung technischer und organisatorischer Datenschutzmaßnahmen.
Klara Wittwer
17. Dezember 2024 @ 10:14
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie sprechen einige sehr wichtige Aspekte an, vor allem in Bezug auf die Menschenwürde und den Schutz der Privatsphäre. Da das Thema immer mehr an Relevanz gewinnt, sollte genau diese Diskussion vielmehr Präsenz im öffentlichen Diskurs einnehmen. Dabei dürfen jedoch auch die Grundrechte anderer Heimbewohner*innen und Mitarbeitenden in Pflegeheimen nicht außer Acht gelassen werden. Hier sind unter anderem die Heime dazu angehalten, in Abwägung der verschiedenen Grundrechtsperspektiven, geeignete Lösungen zu finden – ein Beispiel von vielen wurde in diesem Beitrag vorgeschlagen – sicherlich kommen hier auch weitere Maßnahmen in Betracht.