Im April 2024 wurde nach zähen Verhandlungen und zahlreichen Kompromissen zwischen den Mitgliedstaaten mit großer Mehrheit im EU-Parlament die europäische Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) verabschiedet. Im Juli 2024 trat die Richtlinie nach Zustimmung des EU-Rats formal in Kraft.

Doch nicht einmal ein Jahr später plant die EU-Kommission die Anwendung der Richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht auszusetzen und die Frist um ein weiteres Jahr – auf 2028 – zu verlängern. Zudem erwägt die Kommission bereits vereinbarte Regelungen erneut zu überprüfen und möglicherweise zugunsten der Wirtschaft abzumildern. Als Hauptgründe für diesen Sinneswandel werden die schwächelnde Konjunktur in der EU, der globale Wettbewerbsdruck und der Ruf nach Bürokratie-Abbau angeführt. Die EU-Kommission äußerte sich zu diesem Vorhaben in einer Pressemitteilung vom 26. Februar 2025.

Was genau plant die EU-Kommission mit dem Kurswechsel?

Mit dem Vorschlag zur Aufweichung der bereits beschlossenen Regelungen verfolgt die EU-Kommission das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ein unternehmensfreundliches Umfeld zu schaffen – mit Fokus auf Wachstum, Innovation und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU. Ein zentraler Punkt des Vorschlags ist die spätere Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten. Ursprünglich sollten Unternehmen bereits ab 2027 zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten verpflichtet werden, nun soll dies erst ab Juli 2028 der Fall sein. Darüber hinaus wurden die Schwellenwerte für die Anwendung des Gesetzes nach oben korrigiert. Nach der neuen Planung sollen Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 900 Mio. Euro die Anforderungen ab Juli 2028 erfüllen. Für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 450 Mio. Euro sollen die Regelungen erst ab Juli 2029 gelten.

Ziel dieser Änderungen ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Netto-Jahresumsatz von bis zu 40 Mio. Euro zu entlasten und stattdessen größere Konzerne stärker in die Pflicht zu nehmen. Die EU-Kommission sieht vor allem große Unternehmen als potenzielle Verursacher negativer Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte, da sie von Umweltverstößen und Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten profitieren könnten.

Lockerungen der Berichtspflichten geplant

Auch für betroffene Unternehmen gibt es Aussicht auf weitere Erleichterungen: Statt wie ursprünglich vorgesehen die gesamte Lieferkette auf mögliche Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltstandards zu überprüfen, sollen Unternehmen künftig nur noch ihre direkten Lieferanten kontrollieren müssen. Zusätzlich soll der Nachweis über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre erbracht werden. Falls diese Änderungen in die endgültige Richtlinie aufgenommen werden, würde dies eine erhebliche Aufweichung der Berichts- und Dokumentationspflichten bedeuten. Doch damit nicht genug: Die Kommission plant auch die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen einzuschränken, die gegen Vorschriften des Lieferkettengesetzes verstoßen. Zudem könnte die behördliche Durchsetzung der Regelungen gelockert werden.

Auswirkungen auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Unabhängig von der europäischen Lieferkettenrichtlinie haben einige EU-Mitgliedstaaten bereits nationale Regelungen eingeführt, darunter auch Deutschland. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist bereits seit Januar 2023 in Kraft. Zunächst galt es für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, seit Januar 2024 liegt die Schwelle bei 1.000 Beschäftigten.

Durch die europäische Lieferkettenrichtlinie müssten die nationalen Regelungen an die EU-Vorgaben angepasst werden, um die Harmonisierung innerhalb der EU sicherzustellen. Falls die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen tatsächlich in die Richtlinie aufgenommen werden, hätte dies allerdings kaum Auswirkungen auf das LkSG. Der Grund: Die ursprünglich strengeren EU-Regelungen, die eine Verschärfung des deutschen Gesetzes erfordert hätten, sollen nun abgeschwächt werden.

Lediglich eine Anpassung des deutschen LkSG an neue Klimaschutzverpflichtungen wäre erforderlich. Ob diese Novellierung bis Juli 2026 umgesetzt wird, bleibt jedoch abzuwarten. Bis dahin gelten die bestehenden Regelungen des LkSG weiterhin uneingeschränkt, auch wenn in der politischen Debatte zunehmend Stimmen laut werden, die eine Abschwächung oder gar Abschaffung der Sorgfaltspflichten fordern.

Globale Auswirkungen auf Menschen und Umwelt

Die EU-Lieferkettenrichtlinie sollte nicht nur den Rechtsrahmen innerhalb der EU harmonisieren, sondern vor allem die Menschenrechte stärken und den globalen Umweltschutz verbessern. Nach zähen Verhandlungen und der finalen Annahme der Richtlinie schien dieses Ziel zunächst erreicht. Doch mit dem neuen Vorstoß der EU-Kommission droht eine verwässerte Version des Gesetzes. Die geplanten Lockerungen entlasten nicht nur KMU, sondern auch große, global agierende Unternehmen, die von geringeren Berichts- und Sorgfaltspflichten profitieren würden. Zwar könnte diese Entwicklung zu einem Bürokratieabbau führen, doch sie birgt auch erhebliche Risiken: Ohne eine zivilrechtliche Haftung für mittelbare Verstöße in der Lieferkette könnten Unternehmen nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Damit würde der Schutz von Menschenrechten und Umwelt nicht mehr gesetzlich erzwungen, sondern allein von einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen abhängen – mit ungewissen Folgen.

Ob der von der EU-Kommission vorgeschlagene Änderungsentwurf zur bereits verabschiedeten EU-Lieferkettenrichtlinie letztlich berücksichtigt wird, ist derzeit noch unklar, da sowohl das Parlament als auch der Rat darüber entscheiden müssen. Allerdings dürfte die Zustimmung – angesichts der vorgebrachten Gründe – nur noch Formsache sein, sodass zumindest mit einer abgeschwächten Version des Gesetzes zu rechnen ist.

Für deutsche Unternehmen, die bereits jetzt die Anforderungen und Pflichten des LkSG erfüllen müssen, wird sich durch den Vorschlag vorerst nichts ändern, da die bestehenden Regelungen weiterhin uneingeschränkt für Unternehmen, die in den Anwendungsbereich fallen, gelten. Abzuwarten bleibt, inwieweit sich die EU-Lieferkettenrichtlinie durch den Vorstoß der Kommission endgültig verändert. Auch hier steht eine finale Entscheidung von Parlament und Rat noch aus. Im Sinne der betroffenen Menschen sowie der Umwelt bleibt zu hoffen, dass die Richtlinie nach den weiteren Abstimmungsrunden zumindest in einer wirkungsvollen Form umgesetzt wird – und nicht als „zahnloser Tiger“ EU-weit in Kraft tritt. Denn davon hätten weder die Unternehmen noch die Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, oder die Umwelt einen Nutzen.

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