Wer diese Trophäen erhält, kann sich nichts darauf einbilden – ganz im Gegenteil. Die Rede ist von den „Big Brother Awards“. Über die „Big Brother Awards“ entscheidet jährlich eine Jury aus Bürgerrechtlern. Vergeben werden die Preise an Firmen, Organisationen oder Politiker, denen Datenmissbrauch, ein lockerer Umgang mit Datenschutzbestimmungen, deren Umgehung oder Aufweichung vorgeworfen werden. So auch wieder dieses Jahr am 29.04.2022 in Bielefeld mit der Besonderheit, dass sogar ein Preis für ein Lebenswerk vergeben wurde.

Hier die würdigen Preisträger in einer Einzellaudatio

Das Bundeskriminalamt

Stellvertretend für die Polizei darf sich das Bundeskriminalamt über den Platz an der Spitze in der Kategorie Behörden und Verwaltung freuen. Wie Laudator Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz erklärt, werden personenbezogene Daten in einer Weise verarbeitet, „dass unter Umständen Opfer auf einmal zu Tätern gemacht werden.“ Das Problem sei nämlich, dass Dateien entgegen verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben nicht oder unzureichend gekennzeichnet würden. Sie enthalten keine Informationen zur Rolle einer Person, ob sie also Täter, Opfer oder Zeuge ist. „Dadurch besteht die Gefahr, dass Millionen Menschen von der Polizei oder anderen Behörden fälschlicher Weise als Straftäter behandelt werden,“ so Thilo Weichert. Ein Leistungsnachweis für den Spitzenplatz? Als im Juli 2017 in Hamburg der G20-Gipfel stattfand, wurden 32 Presseakkreditierungen zurückgewiesen, weil „Straftäter“ – so die Bundesregierung – sich hierüber den Zutritt ins Innerste dieses Gipfels erschleichen wollten. Darunter ein Fotograf, dessen Führungszeugnis zwar blütenweiß war, der aber 18 polizeiliche Dateneintragungen vorwies, u.a. wegen „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ in der Kategorie „politisch motivierte Kriminalität“. Er hatte fotografiert, während in seiner Nähe ein Feuerwerkskörper explodiert war. Die Einträge lagen teilweise 14 Jahre zurück.

Die Bundesdruckerei

Die Bundesdruckerei sichert sich den Platz an der Sonne im Bereich Technik. Es gibt tatsächlich einen Weg, um eine öffentliche Einrichtung mit Spitzentechnologie in Verbindung zu bringen, nämlich über den Datenschutz. Und es geht noch besser und unerwarteter: sogar die Blockchaintechnologie spielt eine entscheidende Rolle. Wer diese Technologie bisher nicht verstanden hat, kann es ja mal über den Umweg Datenschutz probieren:

Laut Gesetz müssen Schulzeugnisse bis Ende 2022 auch in digitaler Form vorliegen. Die ausstellende Schule sendet das digitale Zeugnis an die Bundesdruckerei. Diese generiert eine sogenannte Prüfsumme, eine Art Fingerabdruck für die Datei, und speichert ihn manipulationssicher in der Blockchain. Wird das Zeugnis künftig vorgelegt, errechnen Behörden oder Unternehmen ihrerseits die zum Dokument gehörende Prüfsumme und fragen bei der Bundesdruckerei nach, ob das Dokument echt ist: Die Prüfsumme müsste dann in der Blockchain stehen. Doch klassische, digital signierte Dokumente, die seit vielen Jahren technischer Standard sind und die von jedem mit einfacher Software geprüft werden können, erfüllen den Zweck ebenfalls. Mit ihrem System drängt sich die Druckerei als zentrale Prüfinstanz auf, an der kein Weg vorbeiführt. Niemand außer der Bundesdruckerei könne die Echtheit der Zeugnisse prüfen, was dem Konzept der Blockchain widerspreche. Die Blockchain werde als „Must-have-Technologie“ für deutsche Behörden dargestellt. Mit der Verleihung des „Big Brother Awards“ soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wofür sich eine Blockchain eignet und wofür nicht. Im konkreten Fall würden zwar nicht die Zeugnisinhalte selbst, sondern nur Prüfsummen abgespeichert. Das wäre ein „Totalschaden für den Datenschutz“. Denn die DSGVO gewährt Betroffenen zwar das Recht, über sie gespeicherte Daten löschen oder berichtigen zu lassen. Doch genau das würde eine Blockchain technisch unmöglich machen. Das „Recht auf Vergessen“ könne also nicht umgesetzt werden, so Laudator Frank Rosengart.

Lieferando

Schnell noch etwas zu Essen bestellen: wer denkt bei einer Lieferandobestellung schon an die DSGVO, gerade wenn der Magen knurrt. In der Kategorie Arbeitswelt haben die fleißigen Fahrradfahrer von Lieferando unfreiwillig alles gegeben, um in den Olymp der Datenmissbrauchs zu radeln: Lieferando erhält den „Big Brother Award“ 2022 für den Einsatz der Scoober-App, die eine umfassende Überwachung der für den Lieferdienst tätigen Fahrer ermöglicht und die zugleich personenbezogene Daten an eine Reihe von Internet-Tracker weiterleitet. Anhand dieser GPS-Daten lässt sich ein umfassendes Bild des individuellen Arbeitsverhaltens gewinnen: Wer zu schnell oder zu langsam für Lieferando unterwegs ist, wer von vorgegebenen Routen abweicht, wer verkehrt durch Einbahnstraßen fährt – oder scheinbar grundlos Pausen einlegt. Die übermittelten GPS-Daten werden auch nach der Übergabe der Bestellung weiter aufbewahrt, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestünde. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit in Baden-Württemberg, der eine Kurzprüfung der Scoober-App durchgeführt hat, stellt dazu kurz und bündig fest: „Die äußerst engmaschige Überwachung des Nutzers (Übermittlung des GPS-Standorts ca. alle 15 bis 20 Sekunden an Scoober) ist eine nicht erforderliche und damit rechtswidrige Beschäftigtenüberwachung (nach § 26 Abs. 1 BDSG und Art. 88 DSGVO).“

Klarna Bank AB.  in der Kategorie Verbraucherschutz

Wer bei Schweden nur an Ikea und Rosamunde Pilcher denkt, wird jetzt gleich aus seinen Träumen gerissen werden. Spätestens dann, wenn er in den Briefkasten blickt und dort die Schwedenpost öffnet und für eine nichtgezahlte Mahngebühr von 1,40 € zusätzlich 54 € Inkassogebühren berappen soll – wie konnte es nur dazu kommen?

In der mit großer Konkurrenz versehenden Kategorie Verbraucherschutz hat es die Klarna Bank AB geschafft, den „Big Brother Award“ des Jahres 2022 abzustauben. Insbesondere die berüchtigte Klarna-App, hat es der Jury angetan. Wer sie nicht nutzt, wird mitunter beim Klicken auf ein Sofort-Kaufen-Button auf Klarna stoßen, weil die Firma in vielen Online-Shops das Factoring übernommen hat und Ahnungslose zu ihren Bank-Konten weiterleitet. Doch Klarna ist viel mehr als nur ein einfacher Zahlungsdienstleister. Es ist auch ein Inkasso-Unternehmen, eine Endkundenbank, ein Preisvergleichsportal und eine Bonitäts-Prüfstelle, die das Kaufverhalten mit Scoring-Algorithmen erfasst. Das Unternehmen ist das viertgrößte Fintech der Welt und wird mit 10 Milliarden Dollar bewertet. Besonders auffällig soll sich die Klarna-App verhalten. Sie bleibt nach einem Zahlungsvorgang aktiv und stellt sich wie ein Browser dar. Als ein Award-Tester in einem beliebten Shop einkaufen wollte, ploppte die App auf und wollte die Zahlung übernehmen, obwohl der Shop keine Klarna-Zahlung anbietet. „Klarna drängelt sich ungebeten zwischen die Kunden und den Shop. So hätte Klarna eine Einmal-Kreditkartennummer generieren und für mich im Shop bezahlen können. Aber nun schlängelt sich auch noch Klarna ungebeten von außen rein,“ so die offizielle Begründung. Und was war jetzt mit den Inkassogebühren? Das ist tatsächlich eine bestätigte Einnahmequelle:

Wie sich das Unternehmen das Geldverdienen u.a. vorgestellt hatte, erzählte einer der Gründer, Niklas Adalberth, 2015 bei einer StartUp-Veranstaltung in Helsinki. Auf die Frage aus dem Publikum: „Machen Sie das Inkasso selbst?“ (Inkasso meint, dass Zahlungen mit härteren Bandagen eingetrieben werden), gab es diese interessante Antwort: „Ja. Das ist eine unserer Einnahmequellen. Der beste Kunde ist derjenige, der nicht direkt zahlt, sondern eine Mahnung erhält. Und wir machen das nicht unter dem Namen Klarna […]. Wir wollen unsere eigene Marke nicht ruinieren.“

Die Irische Datenschutzbehörde für ihr Lebenswerk

Was kann und was darf einfach bei einer guten Preisverleihung nicht fehlen? Richtig! Der Preis für das Lebenswerk. Und der geht dieses Jahr konkurrenzlos an die irische Datenschutzbehörde.

Die irische Datenschutzbehörde „Data Protection Commission“ (DPC) erhält den „Big Brother Award“ 2022 für eine ganze Reihe von Tricks, mit denen sie Verfahren verzögert oder Fälle ignoriert, die Datenschützer anderer Länder an sie abtreten müssen. So musste unser Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber 50 Fälle an die DPC abgeben, von denen bislang keiner entschieden ist. Die irische Datenschutzbehörde erhält den „Big Brother Award“, weil sie Beschwerden gegen IT-Konzerne, die in Irland ihren Europasitz haben, nicht schnell genug bearbeitet und das europäische Datenschutzrecht ungenügend durchsetzt. Eigentlich müssen Beschwerden unverzüglich bearbeitet werden. Aber: „Irland findet, dass vier Jahre Bearbeitungszeit immer noch unverzüglich seien“, so Digitalcourage-Gründerin Rena Tangens. Auffällig ist die Ansammlung von weltbekannten Unternehmen auf der grünen Insel: Google, Apple, Facebook und WhatsApp, Microsoft und LinkedIn, Adobe, Tiktok, Airbnb, Tinder, Twitter, Dropbox, Yahoo etc. Liegt das ausschließlich an den Kobolden, dem dunklen Bier, oder dem verschollenen Zugang zum Feenland Avalon? Vermutlich ist es viel simpler.

Behördenleiterin Helen Dixon sei ein Bremsklotz. Sie sorge dafür, dass ihre Behörde wie ein schwarzes Loch funktioniere: „Sie nimmt an fast keiner gemeinsamen Sitzung der europäischen Datenschutzbeauftragten teil. Meist schickt sie einen Stellvertreter, der dann aber nichts sagen kann oder darf,“ so Laudatorin Rena Tangens. Damit habe sie sich ebenso wie ihre gesamte Behörde den Preis für das Lebenswerk redlich verdient.