Wie bereits von uns berichtet, nutzt die Polizei in zunehmendem Maße technische Neuerungen, um die Ermittlungsarbeit zu erleichtern. Hierbei spielt mittlerweile auch die Auswertung von Big Data – besser bekannt unter dem Schlagwort „Predictive Policing“ – eine große Rolle.

Doch was genau ist „Predictive Policing“ eigentlich? Manch einer mag hierbei an den Science-Fiction-Film „Minority Report“ von Steven Spielberg aus dem Jahr 2002 denken, bei dem es um die Vorhersage künftiger Straftaten und um die Verhaftung und Verurteilung künftiger Täter ging, ohne dass diese das eigentliche Verbrechen bereits begangen haben.

Gemeint ist die vorausschauende Polizeiarbeit, also die Verwendung von Straftatenstatistiken in einem Gebiet, um voraussagen zu können, wann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit neuen Verbrechen zu rechnen ist.

Modellversuch in acht Bundesländern

„Predictive Policing“ wird in den USA bereits seit über zehn Jahren angewandt, während es in Deutschland nach wie vor in den Kinderschuhen steckt. Ein Grund hierfür ist unsere föderale Struktur, aufgrund derer derzeit in acht Bundesländern digitale Kriminalitätsvorhersagen getestet werden. Dies ergibt sich aus den Antworten des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 30.12.2016 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Demnach wird in Baden-Württemberg im Rahmen eines Pilotprojekts untersucht, wie die Softwarelösung „Precobs“ (Pre Crime Observation System) dazu beitragen kann, Wohnungseinbrüche zu verhindern. Das Landeskriminalamt Bayern (LKA) setzt die Software in gleicher Weise ein. Eine Voraussetzung für Prognosen durch Precops ist aber immer, dass Daten vergangener Taten in die Datenbank des Systems eingespeist wurden. Dies betrifft den Tatort mit Straße und Hausnummer, die Tatzeit und die Beute sowie die Vorgehensweise der Täter.

Ebenso werden in Hessen, Berlin und künftig auch in Niedersachsen Eigenentwicklungen erprobt bzw. verwendet. In Nordrhein-Westfalen hat das LKA bereits im Februar 2015 ein Projekt zum Thema „Predictive Policing“ installiert; hier wird die IBM-Software „SOSS-Modeler“ eingesetzt.

Weiterhin wird beim LKA in Hamburg im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht, welche Möglichkeiten „Predictive Policing“ bietet. In Brandenburg verfährt man ähnlich, möchte aber zunächst im Wege einer Machbarkeitsstudie die Erfolgsaussichten von „Predictive Policing“ prüfen.

Föderaler Flickenteppich bei der Verbrechensbekämpfung?

Manch einer mag sich fragen, wie die unterschiedlichen Lösungsansätze der Länder zum „Predictive Policing“ koordiniert werden. Das BMI hat im Rahmen der Kleinen Anfrage der Linksfraktion auch hierzu Stellung bezogen und erklärt etwas kryptisch, dass das Bundeskriminalamt (BKA) im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion die Entwicklungen des Ansatzes „Predictive Policing“ mit dem Ziel beobachtet, „einen Überblick über die jeweiligen Ansätze zu gewinnen, diese soweit möglich gemeinsam mit den Ländern zu bewerten sowie den Informationsaustausch zu gewährleisten, zu fördern und zu intensivieren.“ Weiterhin verwies das BMI auf eine polizeiinterne Fachtagung des BKA, die Ende November 2016 mit Vertretern aller Landeskriminalämter, der Deutschen Hochschule der Polizei sowie der Bundespolizei und des Zollkriminalamts zum Thema „Predictive Policing/Einsatz softwarebasierter Prognosemethoden“ stattfand.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter André Schulz äußerte Kritik, da das BKA hierbei nicht die Federführung innehabe und verweist auf die Kosten, die aufgrund der föderalen Struktur bei der Umsetzung des „Predictive Policing“ entstünden. Nach seiner Ansicht sollte das BKA zusammen mit ein oder zwei Bundesländern und externen Experten eine Softwarelösung für die Polizei konzipieren. Ebenso konstatierte er, dass die bisher in Australien, Großbritannien und der Schweiz verwandten Systeme nicht die Erwartungen erfüllt hätten.

André Schulz verweist auf den „Repeat Victimisation“-Ansatz aus der Kriminologie als wichtigen Bestandteil der Software. Die Annahme hierbei ist, dass Täter Orte oder bestimmte Personen mehrfach in kürzerer Zeit aufsuchen. Anstatt wie früher Stecknadeln auf einer Wandkarte zu platzieren, würde die Tatortverteilung lediglich digitalisiert und mit frei verfügbaren Informationen wie Wetter- und Feriendaten unterfüttert. Der Polizeigewerkschaftler kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei den vorliegenden Systemen nicht um eine Anwendung künstlicher Intelligenz handele, sondern die Software nicht mehr zu leisten im Stande sei, als ein gut ausgebildeter Kriminalpolizist.

Datenschutzrechtliche Aspekte

Effektiv könne „Predictive Policing“ aus Sicht von Schulz erst dann sein, wenn die Polizei aggregierte Massedaten mit personenbezogenen Daten verknüpft. Dies können Bewegungs- oder Mobilfunkdaten eines potentiellen Täters sein. Auf diese Weise besteht jedoch immer das datenschutzrechtliche Risiko, dass unbeteiligte Personen in den Fokus von „Predictive Policing“ geraten, die einen privaten oder geschäftlichen Kontakt zum Verdächtigen oder Beschuldigten hatten. Damit einhergehen würde ein massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, so dass dieser Ansatz derzeit aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weiterverfolgt wird.

Die datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber der vorausschauenden Polizeiarbeit, die wir bereits in einem früheren Beitrag erläutert haben, sind nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere die Möglichkeiten einer Re-Identifikation Betroffener durch die Verkettung ursprünglich anonymer Daten aus verschiedenen Quellen und eine Eingrenzung der im Rahmen von „Predictive Policing“ überprüften Wohngebiete kann einen Personenbezug begünstigen.

Die Datenauswertung findet mithilfe von Algorithmen statt, die nicht bekannt sind und für die es derzeit auch keine rechtliche Grundlage gibt. Ähnlich wie bei Social Media-Anwendungen (Beispiel: Facebook Graph) ist nicht transparent, wie genau und anhand welcher Kriterien die Datenauswertung eigentlich funktioniert. Nur stellt die Polizeiarbeit gegenüber Social Media-Unternehmen einen Bereich der öffentlichen Gewalt dar, für den es ausgehend von Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – sofern ein Personenbezug anhand der erhobenen Daten möglich ist –  eine justiziable Rechtsgrundlage geben müsste.

Fazit

Nach wie vor bestehen datenschutzrechtliche Risiken bei der vorausschauenden Polizeiarbeit. Die Daten müssten so anonymisiert werden, dass keine unbeteiligten Dritte von den Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung betroffen sind. Dies ist aber schwierig, weil man im Rahmen der software-basierten Verbrechensprävention oftmals im Vorfeld gar nicht genau weiß, welche Daten zu anonymisieren sind und bei welchen die Wiederherstellung eines Personenbezugs aus Ermittlungsgründen zulässig wäre. Ebenso sollte es in den Ländern wie auch bei der Bundespolizei eine gesetzliche Regelung für den Einsatz von „Predictive Policing“ geben, damit die von den Maßnahmen in unzulässiger Weise Betroffenen ihre Rechte wie z.B. Schadensersatzansprüche geltend machen können.

Aus Sicht der polizeilichen Ermittlungsbehörden ist mit den beschriebenen Modellprojekten zur vorausschauenden Polizeiarbeit ein erster Schritt gemacht. Andere Staaten, die weniger föderal geprägt sind, als dies in Deutschland der Fall ist, konnten „Predictive Policing“ allerdings bereits zu einem früher Zeitpunkt testen.

Es gibt Stimmen aus dem BKA, die anhand der Tests nur einen marginalen Rückgang der Deliktszahlen konstatieren. Für einen effektiven Einsatz der neuen Ermittlungsmethoden bedarf es nach Ablauf der zweijährigen Erprobungsphase eines einheitlichen Ansatzes, damit Bund und Länder- wie von Bundesinnenminister de Maizière gefordert – mit dem bestmöglichen System zur Verbrechensbekämpfung operieren können. Datenschutzrechtliche Risiken und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dürfen hierbei aber nicht außer Acht gelassen werden.

Wir behalten die rechtliche Entwicklung zum „Predictive Policing“ gerne weiter für Sie im Blick.