Der EuGH hat in der vergangenen Woche (15.09.2016) ein Urteil zur Störerhaftung veröffentlicht.

Worum geht es?

Die Störerhaftung ist ein Thema, dem sich die Betreiber von öffentlich zugänglichen WLANs auseinandersetzen müssen. Diese können – jedenfalls in Deutschland – unter bestimmen Umständen als sog. „Störer“ in Haftung genommen werden, wenn es über den von ihnen bereitgestellten Zugang zu Rechtsverletzungen kommt.

Wie diese Gefahr bei der Nutzung von privaten WLAN-Netzwerken beseitigt werden kann, ist bereits vor einigen Jahren höchstrichterlich geklärt worden: Nach den BGH-Urteilen „Sommer unseres Lebens“ (Urt. v. 12.05.2010, Az. I ZR 121/08) und „Bearshare“ (Urt. v. 08.01.2014, Az. I ZR 169/12) gilt im Wesentlichen, dass Verbraucher, die eine Abmahnung wegen eines (angeblich) illegalen Downloads erhalten, sich damit verteidigen können, dass ihr WLAN-Anschluss durch ein Passwort gesichert ist und von anderen Mitgliedern des Haushalts genutzt wird.

Nach dem erklärten Ziel der jüngsten Änderung des § 8 Telemediengesetz sollte die Störerhaftung auch für gewerbliche Anbieter öffentlicher WLANs ausgeschlossen werden (siehe auch hier).

Nicht wenige Experten bezweifeln jedoch, dass dies mit der neuen gesetzlichen Regelung gelungen sei. Hier bleibt noch abzuwarten, wie die Gerichte die Norm auslegen werden. Momentan kann daher nicht abschließend gesagt werden, ob in Deutschland Anbieter öffentlicher WLANs in Zukunft erfolgreich als Störer in Anspruch genommen werden können (siehe auch hier).

Der EuGH hat nun Aussagen zur Auslegung derjenigen europäischen Normen getroffen, auf denen auch die deutschen Regelungen zur (Nicht-)Haftung von Access-Providern im Telemediengesetz beruhen. Diese europäischen Normen geben lediglich einen rechtlichen Rahmen vor. Sie sind grundsätzlich nicht direkt anwendbar und müssen vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber noch in nationales Recht umgesetzt werden. Dabei kommt dem nationalen Gesetzgeber also ein gewisser Umsetzungsspielraum zu.

Insgesamt sei an dieser Stelle jedoch gesagt, dass das aktuelle EuGH-Urteil einer Auslegung des deutschen Rechts durch die nationalen Gerichte dahingehend, dass eine Inanspruchnahme als Störer ausgeschlossen wird, jedenfalls nicht entgegensteht.

Zunächst nur wenig Neues

Die Nummern 1-4 des Tenors des Urteils (Volltext hier und Pressemitteilung hier) sind zunächst recht unspektakulär.

Die für Access-Provider geltenden Regelungen kommen auch dann zur Anwendung, wenn ein öffentliches WLAN von einem Gewerbetreibenden kostenfrei zur Verfügung gestellt wird und hierdurch eine Werbung für das Geschäft bezweckt wird. Der Gewerbetreibende ist dann als Diensteanbieter anzusehen (Nr. 1 des Tenors). Das „Anbieten eines Dienstes“ ist bereits dann gegeben, wenn der Zugang zum WLAN durch den Diensteanbieter geöffnet wird (Nr. 2 des Tenors). Anders als für Hostinganbieter, gilt für Access-Provider gerade nicht, dass sie rechtswidrige Informationen entfernen oder den Zugang dazu sperren müssen, sobald sie Kenntnis oder das Bewusstsein hiervon erhalten haben (Nr. 3 des Tenors). Um für Informationen nicht verantwortlich zu sein, müssen lediglich die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

Der Diensteanbieter darf

  1. a) die Übermittlung nicht veranlasst,
  2. b) den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
  3. c) die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben. (Nr. 4 des Tenors)

Hier spielt die Musik

Interessant und neu sind dann die Nummern 5 und 6 des Urteilstenors. Insbesondere zu diesen Teilen des Urteils konnte man dann in den letzten Tagen auch bereits auf einschlägigen Nachrichten-Portalen diverse, teils schwer nachvollziehbare, Interpretationen lesen.

Nach Nr. 5 schließt das einschlägige Europarecht es aus, dass ein Rechteinhaber (hier Sony) gegen den Anbieter eines öffentlichen frei zugänglichen WLANs, über das eine Rechtsverletzung stattgefunden hat (hier im Wege des „Filesharings“), einen Anspruch auf Schadensersatz haben kann. Da kein Hauptanspruch bestehen kann, besteht auch kein Anspruch auf Erstattung von Abmahn- oder Gerichtskosten, die im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entstehen bzw. entstanden sind.

Das einschlägige Europarecht schließt jedoch keine Ansprüche des geschädigten Rechteinhabers auf Unterlassung der Rechtsverletzung gegenüber dem WLAN-Anbieter aus. Hierfür kann der Geschädigte bei einem zuständigen Gericht oder bei einer zuständigen Behörde beantragen, dass eine entsprechende Unterlassungs-Anordnung erlassen wird. Die dabei anfallenden Abmahn- und Gerichtskosten kann er vom WLAN-Betreiber ersetzt verlangen.

Was bedeutet dies nun in der Praxis? Die Formulierung, die der EuGH gewählt hat („sofern diese Ansprüche darauf abzielen oder daraus folgen…“), ist nicht leicht zu verstehen. Hat der Rechteinhaber jetzt die Wahl zwischen Abmahnung oder direkter Beantragung einer Einstweiligen Verfügung? In Deutschland gilt für Urheberrechtsverletzungen weiterhin die Regelung des § 97a Abs. 1 Urhebergesetz:

„Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.“

Auch wenn es sich um eine „Soll-Vorschrift“ handelt, dürfte diese der direkten Beantragung einer gerichtlichen Anordnung entgegenstehen. Nach den Vorschriften aus §§ 935 ff ZPO muss ein Geschädigter einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft machen. Durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung kann die Wiederholungsgefahr, die eine Voraussetzung für einen Anordnungsgrund ist, beseitigt werden. Auch wenn der EuGH die europarechtlichen Regelungen hier dahingehend auslegt, dass diese es zumindest ermöglichen, direkt eine Anordnung zu beantragen, steht dem also in Deutschland wohl das nationale Recht entgegen. Somit müssten die Betreiber der öffentlichen WLANs also weiterhin abgemahnt werden und zur Unterlassung der freien Bereitstellung des Zugangs aufgefordert werden. Wie bereits ausgeführt, ist aber unklar, ob dies nach der erst kürzlich in Deutschland geänderten Rechtslage möglich ist.

Die Entwicklung bleibt hier abzuwarten.

Bereits jetzt ist zu befürchten, dass WLAN-Betreiber ihre Netzwerke durchgehend schützen werden, um sich gar nicht erst der Gefahr einer möglichen Abmahnung auszusetzen. Weiterhin ist zu befürchten, dass sich die nationalen Gerichte bei der Auslegung des neuen § 8 TMG an dem Urteil des EuGH orientieren werden und Unterlassungsansprüche gegen WLAN-Betreiber als weiterhin möglich ansehen.

Gemäß Nr. 6 des Tenors kann dem Anbieter eines offenen WLANs mittels Anordnung aufgegeben werden, dass er technische Maßnahmen ergreifen muss, um einen Schutz vor Rechtsverletzungen zu implementieren. Dies gilt auch, wenn die einzige mögliche Maßnahme das Setzen eines Passworts ist. Der Nutzer muss jedoch seine Identität offenbaren, um das Passwort zu erhalten.

Diese Passage ist nach dem oben Gesagten in Deutschland wohl nur dann relevant, wenn der Anbieter eines öffentlichen WLANs seinen Zugang trotz Abmahnung und Unterlassungsaufforderung nicht hinreichend sichert. Dies kann ihm gegenüber dann durch ein Gericht angeordnet werden. Nach Ansicht des EuGH ist insbesondere die Einrichtung eines Passwortschutzes eine wirksame Maßnahme zum Schutz vor Rechtsverletzungen über das angebotene WLAN.

In der Praxis bedeutet dies, dass die Gäste, beispielsweise eines Cafés, das WLAN-Passwort zunächst erfragen müssen. Dabei sollen sie nach Ansicht des EuGH ihre Identität offenbaren müssen, damit sie nicht anonym handeln können.

Hier stellt sich die Frage, ob es dem EuGH tatsächlich – wie die Formulierung vermuten lässt – nur um den abschreckenden Charakter der Identitätsoffenbarung geht oder ob ggf. nachvollziehbar gemacht werden soll, durch wen eine Rechtsverletzung tatsächlich begangen wurde. Sollte Zweiteres der Fall sein, wäre aber die bloße Kenntnis der Identität in den allermeisten Fällen nicht ausreichend. Viel mehr bedürfte es dann einer weitergehenden Protokollierung, wer wann das WLAN genutzt hat und welche Dateien übertragen hat. Dies wiederum soll aber laut EuGH gerade nicht zulässig sein.

Fazit

Das Urteil des EuGH ist im Grunde genommen lediglich eine Konkretisierung des Umsetzungs- und Interpretationsspielraums für nationale Gesetzgeber und Gerichte.

Das Europarecht steht der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen, dem Erlass einstweiliger Verfügungen durch Gerichte und der damit zusammenhängenden Ansprüche auf Ersatz entstandener Kosten nicht entgegen. Für nationale Gesetzgeber ist es aber nicht zwingend, diese Ansprüche in Gesetze zu schreiben. Für nationale Gerichte ist es wiederum nicht zwingend, nationale Gesetze dahingehend auszulegen, dass diese Ansprüche gegen Störer begründen.

Somit bleibt weiterhin abzuwarten, wie die neuen deutschen Regelungen des Telemediengesetzes durch die deutschen Gerichte interpretiert werden.

Viel Klarheit hat das Urteil des EuGH letztlich nicht gebracht. Wir halten Sie über die Entwicklung natürlich auf dem Laufenden.