Corona-Krise: Erfahrung aus der Rechtspraxis

Die aktuelle Corona-Pandemie stellt unsere Gesellschaft in nahezu sämtlichen Bereichen auf eine Belastungsprobe. Und Krisen haben stets einen interessanten, bisweilen alarmierenden Nebeneffekt: Bestehende Regelungen werden hinterfragt und das Recht des Einzelnen soll dem Schutz der Allgemeinheit untergeordnet werden. Da denkt das eine oder andere Unternehmen über Fragen an Mitarbeiter nach, die vor Corona undenkbar gewesen wären. Andere haben Ideen zur Reformierung des Datenschutzrechts oder auch der Strafprozessordnung (z. Bsp. die Verlängerung der Unterbrechungsfrist gem. § 229 StPO).

Neben rechtlichen Fragen gibt es ganz praktische Probleme:

Viele Beschäftigte sind, soweit es möglich ist, im Home-Office tätig und nutzen vielfach Video- und Telefonkonferenzen, um den Kontakt zu Kunden und betriebsintern aufrechtzuerhalten.

Diese Möglichkeit steht selbstverständlich nicht allen Unternehmen offen, insbesondere dort, wo man direkt vor Ort oder im unmittelbaren Kundenkontakt stehen muss, man denke an die Bäckerei, den Klempner, den öffentlichen Personennahverkehr oder sämtliche Bereiche in der Gesundheitsfürsorge, nur um einige zu nennen.

Auch die Judikative, also die Gerichte, steht vor diesem Dilemma, denn die steigenden Verfahrenszahlen lassen eine Corona-bedingte Suspendierung der Gerichtstätigkeit nicht wirklich zu.

Während einige Gerichte unbeirrt an der Durchführung der mündlichen Hauptverhandlung festhalten (man denke an die mündliche Hauptverhandlung vom 17.03.2020 vor dem Landgericht München I, die ein Verteidiger zum Anlass nahm, im Hinblick auf die stark vertretene Öffentlichkeit in der Verhandlung (O-Ton: „Hochrisikoveranstaltung“) Strafanzeige gegen Teile des Gerichts wegen des Verdachts der versuchten Körperverletzung aufgrund des Infektionsrisikos zu erstatten), haben die meisten Gerichte in vielen OLG-Bezirken die Termine zur mündlichen Verhandlung abgesagt und langfristig verschoben. Zuweilen werden Termine bis in den August verlegt. Einige Arbeitsgerichte in Niedersachsen gehen aktuell neue Wege: Die Gütetermine nach § 54 ArbGG werden im Rahmen von Video- oder Telefonkonferenzen durchgeführt. So wird sichergestellt, dass die Verfahren trotz der derzeitigen Situation gefördert werden. Um es klarzustellen, diese „Termine“ werden im Einvernehmen der Parteien durchgeführt und etwaige Vergleichsvorschläge bedürfen der späteren Protokollierung gem. § 278 Abs. 6 ZPO. Neu ist dieser Gedanke nicht, hat er doch mit dem § 128a ZPO bereits Eingang ins Gesetz gefunden. Allerdings war die praktische Relevanz dieser Norm „vor Corona“ äußerst gering. Anfragen bei den einzelnen Gerichten haben Ende 2019 ein sehr unterschiedliches Bild wiedergegeben. Die Landgerichte Berlin und Hannover setzten bereits regelmäßig auf Video-Verhandlungen, während andere Gerichte bisweilen keinerlei Erfahrungen mit Video-Verhandlungen hatten. Voraussetzung für die Video-Verhandlung ist ein kompatibles Videokonferenzsystem. Hier gibt es aber mittlerweile marktübliche Systeme mit einer hohen Allgemeinkompatibilität, so dass dies kein echtes Hindernis (mehr) darstellt. In der Praxis wird zumeist Skype für Business eingesetzt, bei denen das Gericht die Konferenz administriert und den Parteien entsprechende Einladungslinks elektronisch (per Mail) übermittelt.

Um den Öffentlichkeitsgrundsatz einzuhalten, soll die Videoübertragung in den Sitzungssaal übermittelt werden.

Bei den derzeitigen Erfahrungen ist der Anwendungsbereich in der Praxis dennoch begrenzt: Jede Verhandlung mit hochstreitigem Inhalt, jedes Verfahren, das emotional „geladen“ ist, aber auch dort, wo es auf die persönliche Interaktion ankommt, wird sich schwerlich durch Videoübertragung darstellen lassen.

Jeder Forensiker wird zustimmen, dass eine Beweisaufnahme, insbesondere mit Zeugenvernehmung im Rahmen der Video-Verhandlung nahezu unmöglich ist, auch weil die potentiell intensive Befragung „gegnerischer“ Zeugen und Befragungstaktiken (bei sich widersprechenden Zeugen) sich kaum verwirklichen lassen.

Aber die Möglichkeit, Gerichtsverhandlungen per Skype durchzuführen, beinhaltet datenschutzrechtliche Fragen, die der dringenden Klärung bedürfen:

In der Vergangenheit kam es zu bedenklichen Vorgängen bei der Nutzung von Skype, wie der Transkribierung von Skype-Mitschnitten durch Auftragnehmer in China. Nunmehr bedient man sich umfangreicher Einwilligungen der Nutzer. Im Gerichtsverfahren verfängt aber der Gedanke der Einwilligung nicht, da hier die Daten der Parteien verarbeitet werden, während aber die Nutzer der Video-Verhandlung regelmäßig nicht die Parteien, sondern die Prozessbevollmächtigten oder Sachverständige sind. Und der Prozessbevollmächtigte kann nicht wirksam in die Verarbeitung der Daten der Partei durch Dritte einwilligen, auch weil seine Vollmacht dies nicht umfasst. Der Anwalt darf einwilligen, dass seine Daten verarbeitet werden, auch darf er die Daten dem Gericht zur Durchführung des Rechtsstreits übermitteln. Aber ist damit auch die Übermittlung der Daten in einen Drittstaat, wie oben dargestellt, legitimiert? Dies dürfte schwerlich zu bejahen sein.

Bisher drängten diese datenschutzrechtlichen Fragen nicht, weil die praktische Relevanz gering war. Da aber nunmehr Video-Verhandlungen nolens volens an Relevanz gewinnen werden (müssen), werden die Gerichte gezwungen sein, die datenschutzrechtliche Konformität des Verfahrens sicherzustellen.

Insbesondere wird die Justiz sicherstellen müssen, dass die Daten nicht in Drittstaaten übermittelt werden und dass etwaige Auftragnehmer die Daten nicht zu eigenen Zwecken nutzen dürfen. Die Umsetzung dieser Anforderung verspricht im Hinblick auf die beteiligten Unternehmen und den U.S. Cloud-Act spannend zu werden.