In den verschiedensten Fachzeitungen und Vortragsprogrammen wird derzeit das Thema Industrie 4.0 erwähnt, doch eine Erklärung, was damit gemeint ist, ist nur selten zu finden.

Auch innerhalb der Unternehmen und Branchenverbände scheint der Begriff nicht einheitlich verwendet zu werden, heißt es doch beispielsweise auf der Plattform Industrie 4.0 in einer Presseerklärung vom 14.04.2014: „Industrie 4.0 gehört zu den innovationspolitischen Leitthemen, doch der Begriff wird vielfältig interpretiert und nicht immer richtig verstanden und gebraucht.“

Verschiedene Definitionen

Daher gibt es auch eine Vielzahl an mehr oder weniger konkreten Definitionen.

Gablers Wirtschaftslexikon definiert: „“Industrie 4.0″ ist ein Marketingbegriff, der auch in der Wissenschaftskommunikation verwendet wird, und steht für ein „Zukunftsprojekt“ der deutschen Bundesregierung. Die sog. vierte industrielle Revolution zeichnet sich durch Individualisierung bzw. Hybridisierung der Produkte und die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in die Geschäftsprozesse aus.“

Die Zeitung mittelstand DIE MACHER schriebt auf der Themenseite zu Industrie 4.0: „Industrie 4.0 ist ein Megatrend, an dem kein Produzent vorbei kommt. Denn Deutschlands Smart Factories der Zukunft lösen nichts Geringeres als eine Revolution aus: Reale und virtuelle Welt, Mensch und Maschine werden noch stärker verschmelzen – und ständig miteinander kommunizieren. Intelligente Roboter finden eigenständig Lösungen. Und das im laufenden Fertigungsprozess – um auf Kundenwünsche oder ein verändertes Marktumfeld noch schneller zu reagieren als bisher.“

Auch von Produktanbietern wird der Begriff Industrie 4.0 anscheinend frei interpretiert. So wird z.B. eine Maschinensteuerung aus der Cloud als Lösung für Industrie 4.0 angeboten. Oder es werden die Begriffe Internet of Things und Industrie 4.0 gleichgesetzt und eine Internetverbindung für alle Maschinen gefordert.

Der Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0 definierte den Begriff 2014:„Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen.

Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie bspw. Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.“

Die umfassendste Definition bietet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): „Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 zielt darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein. Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-) Produktion. Kunden und Geschäftspartner sind direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden. Die Produktion wird mit hochwertigen Dienstleitungen verbunden. Mit intelligenteren Monitoring- und Entscheidungsprozessen sollen Unternehmen und ganze Wertschöpfungsnetzwerke in nahezu Echtzeit gesteuert und optimiert werden können.“

Während also im Kontext von Industrie 4.0 häufig über vermeintlich neue Technologien, intelligente Systeme und eine neue industrielle Revolution gesprochen wird, zeigt sich doch gerade in der Definition des BMBF, dass es eigentlich um etwas anderes geht: Oft sind die Technologien in ihren Grundformen längst vorhanden und werden, wie im Weiteren gezeigt, auch schon genutzt. In der Industrie 4.0 geht es daher vielmehr darum, die vorhandenen Technologien in neuen Bereichen anzuwenden, um die eigenen Produktions- und Geschäftsprozesse zu optimieren und zu verändern. Industrie 4.0 ist damit keine technische Revolution, sondern eher eine Weiterentwicklung und Anpassung bestehender Geschäftsprozesse unter Verwendung der in anderen Bereichen längst eingesetzten Technologien. Diese werden dabei konsequenter als bisher genutzt, um in allen Geschäftsbereichen und allen Businessprozessen eine Optimierung der Produktion oder Dienstleistungen zu erzielen. Zu diesem Zweck werden Daten in Echtzeit zur Entscheidungsfindung bereitgestellt.

Die wichtigste Frage bei der Beschäftigung mit Industrie 4.0 muss dabei lauten: „Warum? Was soll mit Industrie 4.0 erreicht werden?“ Dies kann je nach Unternehmen z. B. die Zentralisierung von Support- und Überwachungstätigkeiten oder die Ausrichtung auf schnellere und effizientere Individualproduktionen („Losgröße 1“) sein. Erst wenn klar ist, welches Ziel verfolgt werden soll, kann man durch das Zusammenfügen technischer Bausteine und die Anpassung bestehender Prozesse zu einer sinnvollen Nutzung von Industrie 4.0 kommen.

Provokant gesagt,

Industrie 4.0 ist die sinnvolle Nutzung von Echtzeitdaten aus vernetzen Systemen durch alle Geschäftsbereiche und alle Businessprozesse zur Optimierung der Produktion oder Dienstleistung.

Auf dem Weg zur Industrie 4.0

Viele Technologien aus dem Umfeld von Industrie 4.0 sind bereits vorhanden. Unter dem Schlagwort CIM (Computer-integrated manufacturing) wurde bereits in den 1980ern die Einführung und Nutzung von IT-Systemen in der Produktion diskutiert. Die damaligen Bestrebungen hatten jedoch nur geringe, praktische Auswirkungen und sind, nicht zuletzt wegen der unzureichenden technischen Basis, gescheitert. Dennoch fühlen sich viele Anlagenbauer, Betreiber und Mitarbeiter in der Produktionstechnik bei der Diskussion um Industrie 4.0 an diese Zeit erinnert.

Auch wenn die hohen Ziele von CIM seinerzeit nicht erreicht werden konnten, hat die IT indes vielerorts Einzug in die Produktionsbereiche gehalten. So sind vernetzte Produktionsanlagen und abgestimmte Produktionsabläufe bereits Normalität. Sie stellen einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Industrie 4.0 dar.

Die Nutzung von IT- und Kommunikationssystemen bei der Produktion soll dabei nicht dem Selbstzweck dienen, sondern, wie im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt, verschiedene Verbesserungen erzielen und wird zugleich von weitreichenden Änderungen begleitet.

Zu den Verbesserungsmöglichkeiten gehört dabei z. B. eine Produktion der Losgröße 1, d.h. der automatisierten Herstellung von Unikaten. Individuelle Anforderungen der Kunden sollen zeitnah und im regulären Produktionsablauf realisiert werden können. Dieses Konzept hat sich z. B. im Bereich der Müsliproduktion bereits bewährt.

Angestrebt werden ferner weitergehende Fernwartungsmöglichkeiten. So können im Idealfall nicht nur Mitarbeiter schnell per Fernzugriff den Status einer Maschine oder einer Prozesssteuerung kontrollieren; auch ein Maschinenhersteller oder Wartungs-Dienstleister kann im Problemfall schnell eingreifen. So werden zentralisierte Supportabteilungen, Standortübergreifende Steuerungen und damit aufeinander abtgestimmte Betriebsprozesse möglich.

Neue Möglichkeiten

In der Produktion wird im Kontext von Industrie 4.0 häufig die Idee des intelligenten Werkstücks, das seine Produktion selbständig steuert, hervorgehoben. Statt zentraler Vorgabe durch ein Steuerungssystems wird die Produktion dezentral von Werkstück und beteiligten Maschinen organisiert.

Durch eine verstärkte Verbindung der Produktions- und Prozesstechnik mit den klassischen Office-IT-Systemen können z.B. Daten über die Produktionsleistung schneller in ERP-Systemen genutzt und Aufträge ohne Zeitverlust – direkt – an die Fertigung übergeben werden. In der gewerblichen Produktion würden stattdessen z. B. genauere Zahlen über den erwarteten Lieferzeitpunkt vorliegen oder Zeitverluste von der Auftragserteilung zum Produktionsbeginn verkürzt werden können.

Diese Form der Integration wird in der Prozesstechnik gerade im Bereich des SmartGrids, der intelligenten Stromversorgung, immer wieder als Vorteil herausgestellt. Indem den Stromversorgern umfassende Daten über die aktuelle eigene wie auch private Stromerzeugung und die aktuellen, lokalen Strombedarfe vorliegen, möchten sie die Auslastung der Netze besser steuern und die Produktion noch besser auf die Bedarfe abstimmen.

Auch die Einbindung von Lieferanten und Logistikern ist ein denkbarer Vorteil, da auf diesem Wege die heute schon genutzten Just-in-Time-Deliveries von Ausgangs- und Teilprodukten noch besser gesteuert und geplant werden können und zugleich nicht nur mögliche Liefertermine aus der Produktion bekannt wären, sondern auch schon freie Kapazitäten bei einem Logistikpartner geprüft werden können.

Bei der Anpassung der Prozesse und der umfassenden Einführung von neuen technischen Ansätzen in den Betrieben muss auch die Einbindung der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Diese müssen geschult und qualifiziert werden, da etablierte Abläufe ganz neu angelegt und Mitarbeiter nach langjähriger Tätigkeit plötzlich mit der Nutzung von neuen, komplexen Systemen konfrontiert werden.

„Generell werden sich alle Beschäftigten der mittleren Qualifikationsstufe höheren Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforderungen stellen müssen, da das Zusammenspiel und die Vernetzung von technischen Systemen in den Gesamtprozessen zunehmen werden. Besonders für die geringqualifizierten Mitarbeiter wird jedoch der Gestaltungsspielraum in ihrer Arbeit abnehmen. Denn Sie haben zukünftig weniger Eingriffsmöglichkeiten in den Arbeitsprozess und müssen häufig die vorgegebenen Arbeitsschritte nur noch abarbeiten.“ (Windelband, L. (2014). Zukunft der Facharbeit im Zeitalter „Industrie 4.0“. Journal of Technical Education (JOTED), Jg. 2 (Heft 2), S. 138-160.)

Diese Beispiele zeigen, dass Industrie 4.0 nicht nur die stärkere Vernetzung von Systemen beinhaltet, sondern vielmehr eine Anpassung von Geschäftsprozessen, Betriebsabläufen und ganzen Businessmodellen nach sich ziehen kann.

Abgrenzung

Im Fokus der Diskussionen steht häufig die rein technische Vernetzung der Systeme. Dadurch ergibt sich eine thematische Nähe zum Thema Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). Dennoch sind die beiden Begriffe nicht identisch. Auch ist Industrie 4.0 kein Teilgebiet des IoT, da neben der Technik der SmartFactories auch die Anpassung der Geschäftsprozesse zu Industrie 4.0 gehört. Umgekehrt beinhaltet IoT auch Themen außerhalb von Industrie 4.0 wie z. B. Connected Car, SmartHome oder Smart Grid. Somit haben die beiden Themen im Bereich der Smart Factory eine Schnittmenge, beinhalten aber jeweils noch weitergehende Themen.