Patientinnen und Patienten haben das Recht, vom Arzt oder Krankenhaus eine Kopie ihrer Patientenakte zu erhalten. Das ergibt sich aus § 630 g BGB. Gleichzeitig haben sie diesen Anspruch auf eine vollständige Kopie ihrer Akte aufgrund Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Die Pflicht, eine Patientenakte zu führen, und ihr Inhalt ist in § 630 f BGB geregelt. Die Kopie muss kostenlos sein (wir berichteten darüber). Man kann seine Patientenakte auf Papier bekommen, oder eine elektronische Kopie (§ 630 g Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 S. 3 DSGVO).
Es gibt allerdings Fälle, in denen eine Ärztin oder ein Psychotherapeut sich weigern können, Informationen herauszugeben, nämlich, „soweit der Einsichtnahme (…) erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen“ (§ 630 f BGB). Die Beschränkung, Informationen an die betroffene Person selbst „wegen erheblicher therapeutischer Gründe“ nicht herauszugeben, wird nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO als zulässig angesehen, zumindest wenn sie nicht zu weit geht (Paal/Pauly/Paal DS-GVO Art. 23 Rn.41, Kühling/Buchner/Bäcker DS-GVO Art. 23 Rn. 30; anderer Meinung: LfD Hessen, Verhältnis des Auskunftsrechts nach Art. 15 DS-GVO zum Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte nach § 630g BGB). Auch der aktuelle Verordnungsentwurf der EU-Kommission für einen „europäischen Datenraum für Gesundheitsdaten“ sieht in Art. 3 Abs. 3. eine entsprechende Ausnahme vom dort formulierten Anspruch vor, sofort eine Kopie aller eigenen medizinischen Daten zu erhalten.
Geschichte, Art der Einsichtnahme
Das Nicht-Herausgeben ärztlicher Aufzeichnungen an die betroffene Person war bis in die 1970er Jahre Standard. Seitdem wurden zum einen die Anforderungen an medizinische Dokumentation erhöht, zum anderen die Rechte der Betroffenen gestärkt. Eine klare Pflicht zur medizinischen Dokumentation, zum Beispiel von Operationen, gibt es erst seit 1978, wobei ein Großteil der ärztlichen Aufzeichnungen damals noch vom Einsichtsrecht ausgenommen war. 1988 war es bereits umgekehrt, ein richterrechtlicher Anspruch auf vollständige Herausgabe der Patientenakte war die neue Regel. Für die psychiatrische Behandlung wurden aber weitreichende Ausnahmen zugelassen, wenn die behandelnde Person ein Risiko vorträgt, wonach sich die therapeutische Situation des Betroffenen durch die Offenlegung voraussichtlich verschlechtert. Die Anforderungen an die Darlegung des Risikos wurden gering angesetzt, damit nicht über diesen Umweg die betroffene Person doch erfährt, was man ihr vorenthalten darf.
In der Begründung des Gesetzes von 2012, mit dem die §§ 630 a – 630 h ins BGB eingefügt wurden, findet man schon restriktivere Formulierungen:
„Bestehen (…) Zweifel daran, ob der gesundheitliche Zustand des Patienten die Einsichtnahme seiner Patientenakte zulässt, ohne dass eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung des Patienten zu befürchten ist, so darf der Behandelnde die Einsichtnahme nicht per se verweigern. Erforderlich ist vielmehr eine Entscheidung im Einzelfall unter Abwägung sämtlicher für und gegen die Einsichtnahme sprechenden Umständen im Hinblick auf die Gesundheit des Patienten. Möglicherweise kommt eine durch den Behandelnden unterstützende oder auch begleitende Einsichtnahme in Betracht; auch könnte eine dritte Person dem Patienten vermittelnd für die Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden. Maßgebend sind die Umstände im Einzelfall.
Hier wird eine bedeutende Modifikation des Anspruchs auf Einsichtnahme in die Patientenakte angesprochen, nämlich die Umstände der Einsichtnahme. Zum einen kann dem Patienten eine vom Arzt begleitete Einsichtnahme angeboten werden, zum anderen die begleitete Einsichtnahme mit einer Vertrauensperson. Die vom Arzt begleitete Einsichtnahme erfüllt auch die aktuellen datenschutzrechtlichen Anforderung (Art. 12 Abs. 1 DSGVO), dass die Informationen in „einfacher und leicht zugänglicher Form“ gegeben werden müssen, also so, dass der Betroffene sie verstehen kann. Das kann die Teilnahme eines Arztes oder, bei Behinderungen, einer Hilfsperson bei der Einsichtnahme erforderlich machen.
Dass „eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“, geschuldet wird, (Art. 15 Abs. 3 DSGVO), bzw. dass „der Patient (…) auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen“ kann (§ 630 g Abs. 2 BGB), könnte bei „erheblichen therapeutischen Gründen“ nach § 630 g Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 lit. i DSGVO ausgeschlossen sein, und die begleitete Einsichtnahme allein zulässig. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Sterbehilfe-Entscheidung 2020 deutlich gemacht, dass ein „Schutz eines Menschen vor sich selbst“ eigentlich nur die Entscheidungsfreiheit sichern darf, nichts anderes. Eine „Bevormundung“, wie jemand zu leben oder zu sterben habe, ist nicht zulässig.
Fallgruppen
- Schwere oder terminale Krankheit. Früher hat man Patienten zum Beispiel bei Krebs im Endstadium die Diagnose nicht mitgeteilt, sondern nur die Angehörigen informiert. Das ist m. E. mindestens seit der Sterbehilfe-Entscheidung des BVerfG nicht mehr haltbar. Wenn die betroffene Person in diesem Fall nach einer begleiteten Einsichtnahme in die Patientenakte darauf besteht, eine Kopie zu erhalten, muss sie diese bekommen.
- Psychiatrische Diagnosen wie z. B. paranoider Wahn, oder die sog. Rentenneurose. Hier muss man unterscheiden, was der Grund für die Vorenthaltung der Patientenakte sein soll.
- Es kann sich darum handeln, dass das Vertrauensverhältnis des Patienten zum Behandler und eventuell zu weiteren Personen gestört oder zerstört wird, wenn ein Patient seine Diagnose erhält, solange er keine volle Einsicht in seine Krankheit und Therapiebedürftigkeit hat. Bei einer Paranoia kann die Offenlegung dazu führen, dass die Therapeutin oder der Psychiater vom Patienten dem „Feindeslager“ zugeordnet werden und der Patient die Therapie abbricht. In so einem Fall erscheint die Vorenthaltung der Akte notwendig.
- Es kann befürchtet werden, dass bei einem traumatisierten Patienten durch die Konfrontation mit dem in der Akte dokumentierten Geschehen eine Re-Traumatisierung auftritt. Hier erscheint es sinnvoll, im ersten Schritt eine begleitende Einsichtnahme durchzuführen. Der Patient hat aber das Recht, sich zu re-traumatisieren, wenn er es will.
- Verweigerung der Einsichtnahme in die Akte eines Kindes durch die Eltern, im Fall von Kindesmisshandlungen, bei denen die Eltern als Täter in Frage kommen. Hier geht es nicht um den Schutz der betroffenen Person vor sich selbst, sondern um ihren Schutz vor anderen Personen. Es ist zu berücksichtigen, dass das Einsichtsrecht der betroffenen Person dient, hier also dem Kind, „um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu können“ (DSGVO, Erwägungsgrund 63).
Begründung der Nicht-Herausgabe
Gemäß § 630 g Abs. 1 S. 2 BGB ist die Ablehnung der Einsichtnahme zu begründen. Es ist also erforderlich, in jedem Fall dem Patienten gegenüber offen mit der Verweigerung der Einsichtnahme umzugehen. Ein „Frisieren“ der Akten, so dass diese gewisse Teile nicht mehr enthalten, ist unzulässig, jedenfalls wenn es um die Einsichtnahme des Betroffenen selbst geht.
Von den Behandelnden wird somit das Kunststück gefordert, die Verweigerung der Einsichtnahme nachvollziehbar zu begründen, ohne aber mitzuteilen, was der Patient gerade nicht erfahren soll. Auch deshalb ist die begleitete Einsichtnahme vorzuziehen, wann immer sie vertretbar erscheint.