Im vergangenen Monat sind zahlreiche renommierte Zeitungen und Zeitschriften in die Situation geraten, sich für die Qualität und die Art und Weise ihrer Berichterstattung rechtfertigen zu müssen. Ausgelöst wurde diese Situation nicht – wie man vielleicht erwarten würde – von einem Journalisten, der im öffentlichen Fernsehen eine Kritik veröffentlich hat, sondern von einem YouTube-Video, welches sich rasend schnell im deutschsprachigen Raum verbreitet hat. Autor und Produzent dieses Videos ist ein Youtuber namens Rezo.

Rezo ist ein deutscher Webvideoproduzent auf der Plattform YouTube, der sich als Musiker und Unterhaltungskünstler einen Namen gemacht hat. Über seine private Person ist wenig zu nennen: bürgerlicher Name, genaues Alter und Wohnsitz sind zwar im Laufe der Zeit publik geworden, möchte er jedoch nicht öffentlich genannt haben. Sein Hauptkanal auf YouTube hat nach aktuellem Stand 1,7 Mio. Abonnenten, sein Zweitkanal 1,4 Mio. Inzwischen ist er über die Grenzen von YouTube und Sozialen Medien hinweg bekannt.

Mediale und vor allem generationsübergreifende Aufmerksamkeit bekam er durch sein Video „Die Zerstörung der CDU“, (mehr als 17 Mio. Aufrufe), welches kurz vor der Europawahl 2019 hochgeladen wurde. In diesem knapp einstündigen Video äußert er sich zu den Themenfeldern Klimapolitik, Bildung, Urheberrecht und Drogenpolitik und kritisiert die großen, deutschen Parteien für ihren Umgang damit. Gestützt wird seine Argumentation durch ein 13-seitiges Quellenverzeichnis, welches zu jeder einzelnen seiner Aussagen eine Quelle mit Abrufdatum nennt. Was in wissenschaftlichen Arbeiten völlig selbstverständlich ist, ist im freien Journalismus normalerweise kein Standard. Diese Herangehensweise hat sich für Rezo allerdings absolut bewährt, da ihm dies eine Glaubwürdigkeit und Seriosität gesichert hat, die im Kontext von Unterhaltungsclips auf YouTube nicht unmittelbar erwartet wird.

Wie die Presse „zerstört“ wurde

Sein neuestes medienwirksames Video wurde am 31.05.2020 veröffentlicht und trägt den Titel „Die Zerstörung der Presse“. In diesem spricht er über Verschwörungstheorien rund um Corona sowie fehlerhafte Berichterstattungen der Presse und Berichte über äußerst zweifelhafte Themen. Auch zu diesem Video hat er ein umfassendes Quellenverzeichnis von 25 Seiten veröffentlicht.

Für uns aus Datenschutzperspektive sind vordergründig die Passagen interessant, in denen er Beispiele von Fällen nennt, in denen Zeitungen den Opfer- und Täterschutz weitläufig ignorieren. Der Presserat, dem sich die Mehrzahl der deutschen Verlagshäuser verpflichtet haben, besagt, dass die Berichterstattung nicht zulasten von Opfern oder Angehörigen gehen darf. Zudem betont dieser explizit, dass die Nennung der Identität von Opfern und Tätern unerheblich für die Berichterstattung eines Tathergangs ist und daher der Schutz der Identitäten gewahrt werden muss. Trotzdem kann Rezo in seinem Video zahlreiche Beispiele nennen, in denen Mord- oder Unfallopfer mit Klarnamen und sogar mit Fotos abgebildet werden.

Da diese Art der Berichterstattung keinerlei Mehrwert für die Zeitungen hat, kann den betroffenen Journalisten wohl zu Recht vorgeworfen werden, dass sie diese Informationen ausschließlich aus dem niederen Motiv des besseren Vermarktungswerts veröffentlichen. Besonders taktlos ist dabei, dass es sich bei den Betroffenen häufig um Verstorbene handelt und dass auch Minderjährige nicht verschont werden.

Weiterhin von großem Interesse sind die Fälle, in denen Journalisten sogenanntes Doxing betreiben. Unter Doxing wird das Zusammentragen und anschließende Veröffentlichen personenbezogener Daten verstanden, welches meist mit bösartigen Absichten gegenüber den Betroffenen einhergeht. Ob tatsächlich eine bösartige Absicht vorliegt, ist beim Lesen eines Artikels zumeist nicht direkt erkennbar und kann den Journalisten daher nicht unterstellt werden. Dennoch sind die Artikel, die Rezo aufzeigt, von so heimtückischer Natur, dass zumindest davon auszugehen ist, dass die Autoren wissentlich in Kauf nehmen, dass sie den Betroffenen damit schaden.

So wird von einer großen renommierten Zeitung über einen Gewerkschaftsführer berichtet, der bei vielen Deutschen in Ungnade gefallen ist. Er wird in dem Artikel als der „meist gehasste Deutsche“ bezeichnet und es wird berichtet, dass vor Kurzem ein Anschlag auf ihn verübt wurde. Im nächsten Abschnitt werden dann allerdings zahlreiche persönliche Informationen über den Mann veröffentlicht, eine genaue Beschreibung seines Wohnorts, eine Beschreibung seines Hauses, seiner Nachbarn, seines Klingelschilds (zeitweise sogar mit Bild!).

Weitere Beispiele folgen. Eine Zeitung berichtet über einen deutschen Künstler, der aus Angst vor Angriffen auf sich und seine Familie umgezogen ist. Kurze Zeit später folgt ein Artikel mit einer Beschreibung seines neuen Wohnorts, Bilder von seinem Klingelschild und von Gebäuden im Umkreis. Von einem weiteren Künstler werden sogar direkt Aufnahmen seines Grundstücks und der Nachbarhäuser unzensiert gezeigt.

Nebenbei erwähnt – Rezo zeigt die erwähnten Aufnahmen in seinem Video alle in verpixelter Form, um den Akteuren nicht unmittelbar weiter zu schaden.

Diese Beispiele lassen sich klar als Doxing einstufen. Die Journalisten wissen, dass sie den Personen damit schaden – sie erwähnen sogar selber, dass die Betroffenen von Kriminellen verfolgt werden und bereits Angriffe erleben mussten, und geben dennoch Hinweise für mögliche weitere Täter.

Dass solche Artikel existieren, ist in erster Linie der offenbar bestehenden Nachfrage geschuldet. Reißerische Schlagzeilen locken die Leser an und selbst wenn diese sich dann beim Lesen unwohl fühlen und möglicherweise auch Mitleid mit den Opfern haben, ist der Klick auf den Artikel oder das Kaufen der Zeitschrift bereits geschehen.

Ebenfalls erwähnenswert im Hinblick auf Datenschutz sind die zahlreichen Falschmeldungen, die regelmäßig von selbst ernannten „Klatschblättern“ verbreitet werden. Rezo nennt auch hierfür einige Beispiele, die alle ein ähnliches Schema verfolgen. Es handelt sich um Berichte von Prominenten, denen ohne jegliche Anhaltspunkte (und selbstverständlich ohne Belege) Handlungen und Aussagen unterstellt werden. Teilweise wurden sogar Interviews mit Personen veröffentlicht, ohne dass die Betroffenen jemals mit der Zeitung gesprochen haben. Dass sich Aussagen im Nachhinein als Unwahrheiten herausstellen, beispielsweise wenn prominenten Paaren eine Trennung, eine Schwangerschaft oder eine bevorstehende Hochzeit angedichtet wurde, ist den Zeitungen gleichgültig. Richtigstellungen über Falschmeldungen sind in den seltensten Fällen zu finden.

Meinungsfreiheit vs. DSGVO

Der Grund wieso Meldungen dieser Art überhaupt veröffentlicht werden dürfen, ist das Medienprivileg. Das Medienprivileg beruft sich auf die Meinungsfreiheit, die in Art. 5 Abs. 1 GG definiert ist und gilt sowohl für Rundfunkanstalten und Anbietern von journalistischen Telemedien, als auch für die gedruckte Presse.

In Art. 85 DSGVO „Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“ ist beschrieben, dass das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken in Einklang zu bringen ist. Obwohl jedes Bundesland bei der Umsetzung dieser Forderung eigene Entscheidungen getroffen hat, die in den Presse-, Medien- und Datenschutzgesetzen des jeweiligen Landes festgelegt sind, gilt ein Aspekt gleichermaßen für alle Länder: Die Presse ist im Rahmen einer Berichterstattung davon befreit, Einwilligungen von den Betroffenen einzuholen und Hinweise auf die Verarbeitung zu machen. Voraussetzung ist dabei, dass die Informationen ausschließlich für die Berichterstattung verwendet werden.

Dem gegenüber liegt der Berechtigungsanspruch der Betroffenen, beispielsweise wenn eine Redaktion unzutreffende personenbezogene Daten angibt. In diesem Fall können sie eine unmittelbare Berichtigung der Daten verlangen oder eine eigene Darstellung angeben. In schwerwiegenderen Fällen kann zudem mit gesetzlichen Konsequenzen gedroht werden. Verletzt der Artikel die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, kann dieser wegen Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung vor Gericht gehen. In einigen der erwähnten Fälle haben die Betroffenen diese Schritte auch angewandt und Recht bekommen. Häufig ist ihnen Allerdings ist den Betroffenen dieser Aufwand allerdings zu hoch, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass dies bloß weitere Aufmerksamkeit auf die Berichterstattung lenken würde.

Zusätzlich zu den gesetzlichen Regelungen kommen auch noch die bereits erwähnten Bedingungen des Presserats, die der Großteil der Verlage berücksichtigen müsste. Der Presserat spricht bei Verstößen eine Rüge gegen die jeweilige Zeitung aus. Weitere Konsequenzen sind allerdings nicht zu befürchten.

Ein Appell an den seriösen Journalismus

Das Lehrreiche an diesem Video von Rezo ist nicht bloß der ausführlich recherchierte Inhalt, sondern vor allem die Transparenz seiner Recherche. Zeitungsartikel, genauso wie Onlineartikel, machen in den seltensten Fällen Quellenangaben in einer so detaillierten Form. Zugegebenermaßen wäre der Aufwand für die Erstellung eines so ausführlichen Quellenverzeichnisses für jeden Artikel sicherlich unverhältnismäßig hoch. Insbesondere in Anbetracht der vielen Flüchtigkeitsfehler, die dabei passieren können – und die auch Rezo dabei nachweislich passiert sind. Mehrere Zuschauer des Videos haben kleinere Fehler in den Quellenverzeichnissen seiner Videos entdeckt und ihn darauf aufmerksam gemacht, sodass sein Team und er diese entsprechend korrigieren konnten.

Dennoch hat die Art und Weise dieses journalistischen Beitrags das Augenmerk auf die nachvollziehbaren Angaben von Quellen gelenkt. YouTube-Kanäle, die über alltägliche Ereignisse und Politik berichten und diskutieren, haben öffentlich geäußert, sich die Transparenz des Rezo-Videos zum Vorbild zu machen und von nun an zu jeder Berichterstattung Quellen zu nennen. Auch die CDU ist seinem Beispiel gefolgt und hat in ihrer Reaktion auf sein „Die Zerstörung der CDU“- Video eine offene Antwort veröffentlicht, in der sie zu einigen seiner Aussagen Stellung nimmt und jede dieser Aussagen mit Quellen belegt.

Wünschenswert wäre sicherlich, wenn zumindest die Hauptquellen für die Berichterstattung in jedem Artikel, ob in digitaler oder analoger Form, genannt werden. Auf diese Weise würden Meldungen, die ausschließlich auf Gerüchten basieren oder schlichtweg ausgedacht sind, offensichtlich als unseriös enttarnt werden und den Betroffenen viel Ärger ersparen.

In Bezug auf den missachteten Identitätsschutz ist nur zu hoffen, dass mehr Kritiker wie Rezo auf diese Problematik aufmerksam machen. Damit kann zum einen erreicht werden, dass die jeweiligen Journalisten dazu genötigt sind, sich deutlicher damit auseinanderzusetzen. Zum anderen, dass viele der Leser beim Anblick einer Schlagzeile, die offensichtlich zu Ungunsten der Betroffenen geht, eher abgeneigt sind den Artikel zu lesen.