Wir haben uns in der Vergangenheit mehrfach mit den Möglichkeiten beschäftigt, die Stimmanalysen im Hinblick auf die Beurteilung des Gesundheitszustands eines Menschen bieten (vgl. hier und hier).

Die Möglichkeiten einer Stimmanalyse werden immer ausgefeilter, wie eine Veröffentlichung von Emily Anthes bei spektrum.de ergeben hat. Die nachfolgend zusammengefassten Fortschritte bei der Stimmanalyse zur Diagnose von Erkrankungen haben auch datenschutzrechtliche Implikationen, die am Ende dieses Blogbeitrags erörtert werden sollen.

Möglichkeiten der Stimmanalyse bei der Erkennung von COVID-19

Der Beitrag von Emily Anthes verdeutlicht, dass Stimmanalysen auch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zum Einsatz kommen. Ausgangspunkt hierfür ist eine Smartphone-App des Sprachanalyse-Unternehmens Vocalis Health, das zusammen mit dem israelischen Verteidigungsministerium Freiwillige um eine Stimmprobe gebeten hat. Mithilfe der App sollen chronisch obstruktive Lungenerkrankungen im Anfangsstadium erkannt werden, die durch Anzeichen von Atemnot beim Sprechen indiziert werden.

In ähnlicher Weise soll nun auch bei COVID-19 verfahren werden, indem positiv getestete Personen die App einmal täglich aktivieren und in ihr Telefon sprechen. Dabei sollen die Teilnehmer laut hörbar ein Bild beschreiben und von 50 bis 70 zählen. Anschließend vergleichen die maschinellen Lernsysteme von Vocalis die Aufnahmen mit den Stimmen, deren COVID-19-Test negativ war. Auf diese Weise lässt sich ein für COVID-19 charakteristischer Stimmabdruck anfertigen. Inzwischen erfolgt eine weltweite Testung der App im Hinblick auf die Erkrankung. Man möchte dabei keine Diagnosen zur Verfügung stellen, die über jeden Zweifel erhaben sind, sondern die Krankenhäuser bei der Einstufung von Verdachtsfällen unterstützen. Es sollen Personen erkannt werden, die eine dringende Testung benötigen, in Quarantäne gebracht werden müssen oder einer direkten medizinischen Versorgung bedürfen. Mithilfe künstlicher Intelligenz soll die App beim Kampf gegen COVID-19 unterstützend wirken. Tal Wenderow, Präsident und Vorstandsvorsitzender von Vocalis betont dabei, dass der Ansatz nicht invasiv sei und kein Medikament darstelle. Es werde nichts verändert, sondern es sei für die Betroffenen nur erforderlich, zu sprechen.

Inzwischen gibt es mindestens drei weitere Forschungsgruppen, die an ähnlichen Projekten arbeiten. Dabei geht es um die Analyse von Audioaufnahmen hustender COVID-19-Patienten und um Algorithmen zur Erkennung, ob ein Sprecher eine Gesichtsmaske trägt.

Möglichkeiten der Stimmanalyse bei der Erkennung anderer Erkrankungen

Der Sprechvorgang bedeutet ein komplexes Zusammenspiel aus Atmung, Lautbildung über die Stimmbänder und den regulatorischen Prozessen des Gehirns und des Nervensystems, an dessen Ende die Wortbildung des Sprechers steht. Krankheiten können in diese Systeme eingreifen und die Sprache verändern, woraus sich bei der Diagnostik wertvolle Erkenntnisse gewinnen lassen.

Wissenschaftler haben hierfür große Zahlen von Stimmproben in Rechner eingespeist, um mithilfe künstlicher Intelligenz Sprechmerkmale gesunder und kranker Personen unterscheiden zu können. Begonnen hat die Forschung auf diesem Gebiet mit der Parkinson-Krankheit, die Auswirkungen auf das Sprechen hat, indem viele Erkrankten nach medizinischen Erkenntnissen gedämpfter oder weicher sprechen.

Sprachbasierte Biomarker können auch zur Erkennung neurodegenerativer Erkrankungen eingesetzt werden, z.B. bei Alzheimer-Erkrankten. Kanadische Forscher haben auf Grundlage von Sprechproben sprachliche Unterschiede bei möglicherweise an Alzheimer erkrankten Menschen und gesunden Menschen feststellen können. Bei erkrankten Menschen werden in der Regel kürzere Wörter, ein kleineres Vokabular und abgehackte Sätze verwendet. Ebenso werden von den Patienten Inhalte häufiger wiederholt. Die Erfassung von Sprachmerkmalen bei Alzheimerpatienten ist dabei mit einer derartigen Genauigkeit möglich, dass nach den Worten des Wissenschaftlers Frank Rudzicz von der Universität Toronto im Ergebnis eine Art Fingerabdruck der Demenz entsteht. Ziel dieses Untersuchungsansatzes ist es, neurodegenerative Erkrankungen möglichst schon im Frühstadium zu erkennen.

Aber nicht nur neurodegenerative Erkrankungen sind für die Forschung zur Stimmanalyse relevant. Auch neuronal bedingte Entwicklungsstörungen bei Kindern lassen sich über typische Sprachmuster feststellen. Ebenso lassen sich psychische Erkrankungen wie Depressionen und bipolare Störungen nach Aussagen von Wissenschaftlern anhand von Sprechmustern in Erfahrung bringen, da sich der Gemütszustand eines Menschen auch auf die Stimme niederschlägt.

Selbst Herzerkrankungen können sich nach Erkenntnissen der Wissenschaft auf die Stimmfrequenz auswirken, wobei der Zusammenhang hier nach den Aussagen des Kardiologen Amir Lerman bislang nicht geklärt ist.

Ebenso spielt bei der Stimmanalyse eine Rolle, unter welchen Bedingungen die Aufnahmen gemacht werden. Finden diese mit Unterstützung hochwertiger Mikrofone in einem Labor statt, konnte beispielsweise eine Depression mit einer Genauigkeit von 94 Prozent erkannt werden. Werden die Aufnahmen allerdings mit Smartphones in einer alltäglichen Umgebung gemacht, so lag die Genauigkeit bei weniger als 75 Prozent, so das Ergebnis einer Studie.

Datenschutzrechtlicher Rahmen bei der Stimmanalyse

Wie so oft, unterliegen die technischen Möglichkeiten der Stimmanalyse einem großen Fortschritt und Wandel, während die datenschutzrechtliche Handhabung dieser Entwicklung schwer zu greifen scheint.

Grundsätzlich sind bei den vorgenannten Auswertungsmöglichkeiten Gesundheitsdaten der Patienten und Probanden betroffen. Damit bewegen wir uns im Bereich des Art. 9 Abs. 2 lit. a) Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), der eine ausdrückliche Einwilligung für die Verarbeitung von besonderen personenbezogenen Daten, also auch von Gesundheitsdaten vorsieht. Die Einwilligung muss dabei transparent sein und den Informationspflichten des Art. 13 DSGVO genügen. Es muss also insbesondere deutlich werden, zu welchem Zweck die Stimmanalyse erfolgt, wem die Daten zur Verfügung gestellt werden, wo und für wie lange diese gespeichert werden und welche technischen und organisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Stimmaufzeichnungen getroffen werden. Zu den technischen und organisatorischen Maßnahmen i.S.v. Art. 32 DSGVO können z.B. eine wirksame Verschlüsselung oder eine Pseudonymisierung der Aufnahmen, aber auch ein dokumentiertes Berechtigungskonzept und eine Protokollierung für den Zugriff auf die sensiblen Daten der Sprecher zählen.

Den Betroffenen muss deutlich gemacht werden, dass sie anhand von anonymen Stimm- und Sprachmustern in Verbindung mit Zusatzinformationen ggf. identifiziert werden können. Auch muss bei der Stimmaufzeichnung sichergestellt werden, dass keine Privatgespräche der untersuchten Personen aufgezeichnet werden.

Wenn bei der Stimmauswertung künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt, muss die Datenschutzinformation gem. Art. 13 Abs. 2 lit. f) DSGVO auf das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung und den zugrundeliegenden Algorithmus mit dessen Auswirkungen für die Betroffenen hinweisen. Die vorgenannten Punkte wären im Sinne eines privacy by design-Ansatzes gem. Art 25 Abs. 1 DSGVO bereits bei der Konzeption einer Stimmanalyse-App zu berücksichtigen.

Es besteht nicht zuletzt das Risiko, dass die Stimmen von Kunden, Bewerbern oder Mitarbeiter von Arbeitgebern oder Versicherungen bereits bei der telefonischen Kontaktaufnahme ohne eine Einwilligung ausgewertet werden. Auf diese Weise wäre eine Vorauswahl bei der Anbahnung von Kunden- oder Arbeitsverhältnissen denkbar, die diskriminierende Ausmaße annehmen könnte.

Fazit

Auch wenn wir uns im Bereich der Stimmanalyse noch in einem relativen Neuland bewegen, so sind die denkbaren Auswirkungen dieses methodischen Ansatzes mannigfaltig. Einmal mehr wird dabei der rechtliche Regulierungsrahmen von der technischen Entwicklung überholt.

Abgesehen von den oben dargestellten Informationspflichten, dem Erfordernis einer Einwilligung und dem privacy by design-Ansatz fehlt es in der DSGVO und im Bundesdatenschutzgesetz derzeit an einem konkreten Regulierungsrahmen, um den aufgezeigten Möglichkeiten des Missbrauchs einer Sprachanalyse wirksam zu begegnen.

Schließlich befindet sich auch die medizinische Forschung in einem neuen Wirkungsbereich, der einen breiten Praxistest erfordert. Der Mehrwert für die Früherkennung von Krankheiten lässt sich dabei allerdings nicht von der Hand weisen. Deutlich wird in jedem Fall, dass die menschliche Stimme weitaus mehr über den Gesundheitszustand eines Menschen verrät, als bisher angenommen. Hier gilt es, eine ethisch ausgewogene Balance zwischen den technischen Möglichkeiten der Stimmauswertung und den Persönlichkeitsrechten der betroffenen Probanden bzw. Patienten zu finden.