Studenten der Fachhochschule Stralsund müssen jetzt sehr stark sein. Denn die Zeit der Gedanken „… ach nee, dieses Semester schreibe ich die Prüfung noch nicht. Ich schiebe die Prüfung und damit ich den Versuch nicht verschwende, lasse ich mich für den Tag krankschreiben …“ könnte bald vorbei sein.
Bei unseren Recherchen sind wir auf eine Meldung im „Spiegel“ gestoßen, wonach es der Fachhochschule Stralsund nicht mehr ausreicht, wenn die Studenten bzw. Prüflinge für ein entschuldigtes Fehlen bei einer Prüfung ausschließlich ein Attest vorlegen. Vielmehr soll der Student ein Formular von dem Arzt ausfüllen lassen, in dem unter anderem gefragt wird, an welcher Krankheit er leide, welche Symptome auftreten und wie sich dies auf die Prüfung auswirken könnte. Und das ist noch nicht alles. Zusätzlich soll der Student seinen behandelnden Arzt auch noch von der Schweigepflicht entbinden, wahrscheinlich um Rückfragen oder den Erhalt weiterer Details zur Diagnose sicherzustellen. Getreu dem Motto: Ist der Student tatsächlich krank oder simuliert er etwa nur…
Kann die Pflicht zur Verschwiegenheit des Arztes denn einfach „aufgehoben“ werden?
Grundsätzlich besteht bei bestimmten Berufsgruppen die Pflicht zur Verschwiegenheit, deren Verletzung eine Straftat darstellt gemäß § 203 Strafgesetzbuch (wir berichteten in diesem Zusammenhang immer wieder über aktuelle Probleme in diesem Bereich). Zur Umgehung dieser Strafbarkeit ist eine Offenbarungsbefugnis notwendig. Diese ergibt sich regelmäßig aus einer Rechtsgrundlage oder der Einwilligung des Betroffenen. Die Einwilligung (im Fachjargon auch Schweigepflichtentbindungserklärung genannt) ist jedoch wiederum an sehr strenge Voraussetzungen gebunden – Freiwilligkeit, Informiertheit, Schriftform, Sichtbarkeit und jederzeitige Widerrufbarkeit. Insbesondere die dabei erforderliche Freiwilligkeit der Erklärung ist hier nicht zuletzt durch die mitschwingende Möglichkeit der Bewertung der Prüfung mit „nicht ausreichend“ bei fehlender Unterschrift äußerst zweifelhaft. In der Folge könnte dies zu Problemen bei den Ärzten führen, die sich, wenn keine wirksame Einwilligung vorliegt, unter Umständen sogar strafbar machen können.
Weitere Problemfelder
Neben den Voraussetzungen, an die eine wirksame Schweigepflichtentbindungserklärung geknüpft ist, treten bei der geplanten Vorgehensweise auch noch weitere Probleme auf, wie beispielsweise:
- Was passiert mit den Daten? Wie, wo und vor allem wie lange werden diese bei der Fachhochschule aufbewahrt?
- Werden die Daten noch zu anderen Zwecken als zur Beurteilung der Prüffähigkeit genutzt, beispielsweise auch zur Einstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern?
- Wer sieht die Daten? Etwa der gesamte Prüfungsausschuss (Dozenten, Professoren und studentische Vertreter), der die Entscheidung treffen muss?
- Kann eine treffendere Entscheidung aufgrund der Kenntnis der erhobenen Daten gewährleistet werden? Kann der Prüfungsausschuss tatsächlich beurteilen, ob die Krankheit den Rücktritt rechtfertigt?
- Ist der Eingriff in die Intimsphäre der Prüflinge nicht höherwertig als der Zweck, den die Fachhochschule mit der Vorgehensweise verfolgt?
Insgesamt bestehen daher auf Seiten der Fachhochschule eine Vielzahl datenschutzrechtlicher Hürden, die es zu überwinden gilt. Kein Wunder also, dass sich Kritik bei dem Vorhaben breitmacht. So erteilt beispielsweise der Landesdatenschutzbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns der Fachhochschule eine klare Absage. „Was die FH vorhat, geht so nicht. Studenten müssen nicht die komplette Diagnose offenlegen. Das ist viel zu intim.“ Nach seiner Ansicht würden zudem alle Studenten unter einen Generalverdacht der Täuschung gestellt werden.
Teilweise schon gängige Praxis
Derartige Vorhaben sind tatsächlich kein Neuland mehr. In der Vergangenheit tauchten ähnliche, zeitweise schon praktizierte, Vorgehensweisen anderer Hochschulen, wie der TU Darmstadt, der Universität Freiburg, der Fachhochschule Bingen oder der Universität Kiel auf. Bei letzterem reagierte das Präsidium zwar, jedoch nach unserer Kenntnis ohne die Entbindung von der Schweigepflicht abschaffen zu wollen.
Einige Datenschutzbehörden reagierten bereits auf das vermehrte Aufkommen und gaben Stellungnahmen ab (hier) bzw. stellten der Hochschule ein Musterformular für die Bescheinigung der Prüfunfähigkeit bereit. In einer Stellungnahme des Hessischen Datenschutzbeauftragten stellte dieser klar, dass die Frage hinsichtlich des Umfangs der Information, den die Hochschule vom Studenten zum Nachweis der Prüfunfähigkeit bekommt, nicht abschließend geklärt ist. Fest steht aber, dass das ärztliche Attest eine Beschreibung der gesundheitlichen Beeinträchtigung enthalten soll (z.B. der Hinweis auf bestimmte Schmerzen, fiebrige Infektionen etc.) und auch Angaben zu der sich daraus für die Prüfung ergebenen Behinderung (bspw. Störung der Konzentrationsfähigkeit oder der Schreibfähigkeit. Denn allein der Prüfungsbehörde obliegt die Entscheidung der Prüfungsunfähigkeit, wozu sie Informationen benötigt, und gerade nicht dem Arzt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.08.1996 – 6 B 17/96). Diagnosen, genaue Untersuchungsmethoden oder mögliche Schlussfolgerungen dürften jedoch nicht genannt werden. Zudem darf keine, ohne konkreten Anlass bezogene, Schweigepflichtentbindungserklärung von der Prüfungskommission gefordert werden.
Im Ergebnis klare Vorgaben, die zu begrüßen sind. Daran müssten sich die Hochschulen nur noch halten.
Nach der im vorliegenden Fall geäußerten massiven Kritik hat die Fachhochschule Stralsund das Vorhaben aber erstmal gestoppt. An dieser Stelle können Studenten demnach zumindest kurz aufatmen.