Zum 20. Mal wurden vergangenen Freitag in Bielefeld die BigBrotherAwards vom Verein Digitalcourage an Unternehmen, Behörden oder Politiker verliehen, die in besonderer Weise die Privatsphäre missachten. Die Negativauszeichnung im Datenschutzbereich ist vergleichbar mit der Goldenen Himbeere in der Schauspielerei. Im Jubiläumsjahr wurden Preise in sieben Kategorien verliehen (siehe hier).

1. Geschichtsvergessenheit

Die Innenministerkonferenz erhielt den Preis für Geschichtsvergessenheit. Sie spricht sich dafür aus, auf der Basis der Steuer-Identifikationsnummer eine lebenslange Personenkennziffer einzuführen. Über die damit verbunden Risiken und datenschutzfreundlichere Alternativen haben wir hier berichtet. So wird in der Laudatio auch darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht der Einführung einer solchen Personenkennziffer bereits mehrmals aus gutem Grund widersprochen hat. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass Personenkennziffern dazu genutzt werden können Menschen zu unterdrücken.

2. Bildung

In der Kategorie Bildung wurden in diesem Jahr gleich zwei Preise verliehen. Einmal an BrainCo, ein Start-up aus dem Dunstkreis der Harvard Universität und des MIT sowie an den Leibniz-Wissenschaftscampus der Uni Tübingen. Beide versuchen über die Messung der Gehirnströme die Konzentration von Schülern zu messen und zu kontrollieren. Auch über diesen Bereich haben wir (in dem Fall muss man sagen leider) schon berichtet. BrainCo bietet EEG-Stirnbänder an, um „das Engagement der Schüler im Klassenzimmer in Echtzeit [zu] quantifizieren.“ Da gibt es für die Schüler kein kurzes Entschwinden in die Welt der Gedanken. Denn der Lehrer sieht sofort, wer nicht konzentriert ist. Frei sind die Gedanken in so einer Welt nicht mehr! Die Tübinger Forscher gehen sogar noch einen Schritt weiter und verfolgen die Augenbewegungen per Infrarotkamera. So können sie feststellen, was ein Schüler gelesen hat und was nicht. Wenn man sieht, dass solche Forschung auch in Deutschland stattfindet, kann man sich nicht mehr auf den Standpunkt stellen, dass dies ja alles ganz weit weg von uns sei. Die Sache ist gruselig und definitiv einen BigBrotherAward wert.

3. Mobilität

Autonomes Fahren – ist es nicht das, wonach wir alle streben? Sich einfach in ein Auto setzen und, quasi wie von Zauberhand, entspannt am Zielort ankommen. Doch wie kann das funktionieren? Nun, eines ist klar, ohne Assistenzsysteme, die Sensoren und künstliche Intelligenz benötigen, wird es nicht gehen. Dagegen ist erst einmal auch gar nichts einzuwenden. Kritisch wird es jedoch dann, wenn die erfassten und ausgewerteten Daten das Fahrzeug verlassen, wie beim diesjährigen Preisträger Tesla. Tesla lässt sich in den AGB weitreichende Rechte einräumen. Der Datenweitergabe kann zwar widersprochen werden, doch für den Fall lässt Tesla den Besitzer gleich wissen: „Dies kann dazu führen, dass bei Ihrem Fahrzeug eine lediglich eingeschränkte Funktionalität, ernsthafte Schäden oder Funktionsunfähigkeit eintreten.“ Besonders kritisch wurde von der Jury die Video- und Ultraschallüberwachung gesehen. Denn die Videos können gespeichert, übertragen und ausgewertet werden und zwar auch zu Werbezwecken. Wenn Menschen dauerhaft gefilmt werden und dies auch noch gespeichert wird, liegt eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung vor.

Auch die Datenschutzinformationen erfüllen die Anforderungen der DSGVO in keinster Weise. Alles zusammen für die Jury ein Grund für die Auszeichnung.

4. Digitalisierung

In der Kategorie Bildung darf sich die baden-württembergische Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Dr. Susanne Eisenmann, über die Auszeichnung „freuen“. Frau Eisenmann möchte die wesentlichen Dienste der Digitalen Bildungsplattform des Landes Baden-Württemberg von Microsoft betreiben lassen. Die Gründe, warum das keine gute Idee ist, sind vielfältig. Hier empfiehlt sich die Lektüre der Laudatio. Ein entscheidender Grund ist zweifelsfrei, dass die Geheimdienste der USA Zugriff auf Daten erhalten werden. Dazu heißt es passend in der Laudatio:

„Würden Sie, liebe Frau Eisenmann, wollen, dass ein Konzern und US-Geheimdienste wissen, was Sie in ihrer Jugend über gängige Erörterungs-Themen der 70er-Jahre in Aufsätzen geschrieben haben? Über Sterbehilfe? Abtreibung? Homosexualität? Oder Todesstrafe?“

5. Politik

Die Bundesregierung, vertreten durch die Bundeskanzlerin, erhält den BigBrotherAward 2020 in der Kategorie Politik aufgrund ihrer, nach Ansicht der Jury, rechtlichen und politischen Mitverantwortung für den völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg, der über die Satelliten- und Datenrelais-Station der US-Airbase Ramstein in der Pfalz abgewickelt wird. Nach Ansicht der Jury ist die Bundesrepublik Bestandteil des „völkerrechtswidrigen US-geführten so genannten Kriegs gegen den Terror und in alle völkerrechtswidrigen US- und NATO-Kriege und Kriegsverbrechen verstrickt“ – obwohl doch nach Artikel 26 des Grundgesetzes „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“, verfassungswidrig und mit Strafe bedroht sind.“

6. Arbeitswelt

H&M erhält den BigBrotherAward in der Kategorie Arbeitswelt. Im Oktober vergangenen Jahres berichtete die Presse, dass in einem Kundenservicecenter in Nürnberg Dossiers mit teils äußerst sensiblen personenbezogenen Daten von Beschäftigten existierten sollen. Führungskräfte sollen demnach heimlich persönliche Informationen der Beschäftigten gesammelt und anderen Führungskräften zur Verfügung gestellt haben. Dabei sollen auch sensible Daten, wie gesundheitliche Probleme, Beziehungsstatus oder Todesfälle in den Familien der Betroffenen verarbeitet worden sein.

7. Behörden

Der BigBrotherAward 2020 in der Kategorie Behörden und Verwaltung geht an den Innenminister des Landes Brandenburg, Michael Stübgen, und seinen Vorgänger, Karl-Heinz Schröter für die dauerhafte Speicherung von Autokennzeichen. In Brandenburg werden die Nummernschilder aller durchfahrenden Fahrzeuge auf der A12 in Datensätzen durch das Computerprogramm KESY gespeichert und aufbewahrt.

Eigentlich ist das gar nicht zulässig. Das Brandenburgische Polizeigesetz sieht in § 36a lediglich eine „anlassbezogene automatische Kennzeichenfahndung“ vor. D.h. eigentlich müsste jedes erfasste Kennzeichen sofort gegen eine Liste gesuchter Kennzeichen abgeglichen und danach gelöscht werden. Doch die Verantwortlichen in Brandenburg waren schlau. „Sie sorgten dafür, dass es immer eine richterliche Anordnung gegen irgendjemand gab, die eine solche Überwachung rechtfertigte.“ Nun befasst sich nach der Klage eines Autofahrers das brandenburgische Verfassungsgericht mit KESY.