Ja, fraglos eine steile These. Aber anders als mittlerweile gängige YouTube- oder Instagram-Posts mit Click-Bait-Titeln wie „Unglaublich – dieses Mittel wird Ihr Leben verändern“ o. ä. drängt sich bei näherer Betrachtung der neuen Rechtslage tatsächlich die im Titel genannte Bewertung auf.

Abgabenordnung und Plattformen-Transparenzgesetz

Unter dem Deckmantel einer leichteren Zuteilung öffentlicher Gelder an notleidende Bürger ist im Dezember mit dem Jahressteuergesetz 2022 die von Peer Steinbrück seinerzeit (2007) eingeführte einheitliche Steuer-ID endgültig zur umfassenden Personenkennziffer mutiert. Und das, ohne dass dies ein größeres Echo in den Medien oder selbst in unserer Datenschutz-Blase gefunden hätte. Natürlich dominieren nach wie vor Energiekrise und Ukraine-Krieg die Schlagzeilen, wieviel Aufmerksamkeit erreichen da noch Fragen zur Verwendung der Steuer-ID? Ich möchte daher in diesem Rahmen zumindest zu einer regen Diskussion und einem Meinungsaustausch anregen. Klären, ob die neuen Verknüpfungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Steuer-ID diese verfassungswidrig machen, wird am Ende vielleicht – oder hoffentlich – das BVerfG.

Kurz zum „historischen“ Hintergrund: Der Oscar der Datenschützer, der BigBrotherAward ging 2007 an den damaligen Finanz­minister Peer Steinbrück für die Einführung einer lebenslang gültigen Steuer-Identifikationsnummer für alle Einwohner*innen der Bundesrepublik. Um diese Steuer-ID erstellen und zuteilen zu können, übermittelten damals alle Meldebehörden in der Bundesrepublik Deutschland dem Bundeszentralamt für Steuern Daten aller in ihrem Zuständigkeitsbereich im Melderegister registrierten Einwohnerinnen und Einwohner.

Begründet wurde dies seinerzeit mit dem Erfordernis, „eine eindeutige Identifizierung des Steuer­pflichtigen in Besteuerungsverfahren“ zu ermöglichen. Steinbrück hatte damals explizit darauf hinge­wiesen, dass diese Steuer-ID „nie, nie und nie zu einer allgemeinen Personenkennziffer ausgebaut werden wird.“ Spätestens 2021 wurden diese Zusagen nun m. E. mit dem Registermodernisierungs­gesetz gebrochen. Denn mit Artikel 25 Abs. 7 d) des Jahressteuergesetzes 2022 wurde (u. a.) § 139b der Abgabenordnung dahingehend geändert, dass es neue Absätze 10-13 gibt, deren wortlautgetreue Wiedergabe hier den Rahmen des Lesbaren sprengen würde, sich aber relativ leicht zusammenfassen lassen:

Die Daten der privaten Bankkonten aller Bürger werden mit der Steuer-ID verknüpft

Um dies zu ermöglichen, werden die Banken verpflichtet (!), ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sie die Kontodaten ihrer Kunden (also die IBAN-Nummer und den Bank-Code BIC) an das Bundes­zentral­amt für Steuern übermitteln. Die bisher ohnehin nur noch sehr lose Zweckbindung wird hierdurch nun völlig aufgehoben: Auf die zur umfassenden Personenkennziffer gewandelte Steuer-ID werden ab 2024 geschätzt mindestens fünfzig Behörden zugreifen können. Bereichsspezifische Nutzung Anno 2007: Ade!

Jeder, dem das (wie mir) mindestens prüfungswürdig erscheint, fragt sich ggf. als Erstes, ob nicht der Bundes­datenschutzbeauftragte, der in solche Verfahren ja einbezogen wird, hierzu Einwände hatte? Prof. Kelber dazu: „Die Bundes­regierung hat mit ihrem Entwurf datenschutzrechtlich nicht den optimalen Weg gewählt.“ Ja, äh, kann man so sagen. Aber… ist das wirklich alles an Kritik? Nicht den optimalen Weg?

Nicht erst seit gestern ist bekannt, dass man solche Ziele auch mit wesentlich daten­schutz­freundlicheren Verfahren erreichen kann – so wie in Österreich, wo man auf ein verschlüsseltes Perso­nen­kennzahlsystem zurückgreift: Die eigentliche (geheime) Stammzahl liegt nur bei der Unabhängigen Datenschutzbehörde – diese generiert auf Anfrage mittels Kryptografie bereichsspezifische Nummern für unterschiedliche Behörden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Daten lassen sich nicht einfach zusammenführen. Ein solches Verfahren wurde in Deutschland offensichtlich nicht weiter geprüft.

Bereits im Jahr 2012 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) in einem ausführlichen Urteil (Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. Januar 2012, Az.: II R 49/10.) zur Recht- bzw. Verfassungsgemäßheit der Steuer-ID Stellung bezogen und diese seinerzeit – vor dem Hintergrund des damaligen Umfangs der gesetzlich genannten Zwecke – noch für verfassungsgemäß befunden (soweit diesem Gericht ein Urteil ohne Vorlage zum Bundesverfassungsgericht möglich war).

Hierbei hatte der BFH seinerzeit u. a.  auf die Verfassungsgemäßheit vor dem Hintergrund der Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgestellt und geurteilt, dass die durch § 139a und § 139b AO stattfindenden Grundrechtseingriffe gegenüber den Interessen des Gemeinwohls nicht von ausschlaggebendem Gewicht seien. Bedeutung und Tragweite (der Grundrechtseingriffe) seien „sowohl in ihrem materiellen Gehalt als auch aufgrund der vom Gesetzgeber getroffenen klaren Regelungen über die Erhebung und Verwendung der Identifikationsnummer und der gespeicherten Daten relativ gering“.

Kann diese Wertung angesichts der nun stattfindenden Verknüpfungen mit privaten Konten und der Zugriffsmöglichkeit durch eine Vielzahl von Behörden noch bestehen bleiben? Ich denke nicht, denn die damals noch als zulässig bewerteten Grenzen des Grundrechtseingriffs werden durch die jetzt erweiterten Verwendungszwecke überschritten:

Als angemessen (er Grundrechtseingriff) wurde 2012 die Nutzung noch aus dem Grunde gesehen, da sie zum damaligen Zeitpunkt lediglich der eindeutigen Identifizierung der aufgrund der Steuerpflicht erfassten natürlichen Personen diente, was, so der BFH, „für sich genommen keine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz (aufweise)“. Die mit der ID verknüpften Daten stellten

„kein Persönlichkeitsprofil des Steuerpflichtigen dar, bilden seine Persönlichkeit auch nicht teilweise ab und lassen keine Einblicke in oder Rückschlüsse auf Art und Intensität von Beziehungen, Kommunikationsverhalten und Kommunikationsinhalt, soziales Umfeld, persönliche Angelegenheiten, Interessen, Neigungen und Gewohnheiten sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu. Die Speicherung der Daten beeinträchtigt nicht die grundrechtlich geschützte Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, und ist auch nicht geeignet, ihn einzuschüchtern oder an der Ausübung von Grundrechten zu hindern.“

Letzteres, nämlich Rückschlüsse auf Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind nunmehr mit der Verknüpfung der Konten – jedenfalls mittelbar – fraglos gegeben. Dies hat meines Erachtens unwei­ger­lich auch eine unmittelbare Auswirkung auf die der Freiheit immanente Möglichkeit der Selbstbestimmung, da nunmehr stets das Wissen bzw. die Befürchtung bestehen muss, dass der Staat eine Komplettübersicht über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat. Natürlich nur zum Besten der Allgemeinheit – der Steuergerechtigkeit. Aber:

Plattformen-Transparenzgesetz macht alles noch schlimmer

Diese neue Verknüpfung kann nicht unabhängig von einer weiteren Verwendungsmöglichkeit betrachtet werden, die die vorgenannten Eingriffe m. E. in eine noch ganz andere Überwachungs-Dimension, und damit vollends in das Orwellsche Universum befördert, nämlich das sog. Plattformen-Transparenzgesetz.

Was verbirgt sich dahinter? Das Gesetz, welches im November beschlossen wurde, dient der Umsetzung der EU-Richtlinie 2021/514 aus dem März 2021 und verpflichtet (nahezu alle) „Plattform-Betreiber“ einen umfassenden Datensatz ihrer Nutzer – einschließlich der Steuer-ID – dem Bundes­zentral­amt für Steuern zu melden. Hintergrund ist, dass Umsätze über Verkaufsplattformen (auch Ver­mie­tungs-Plattformen wie AirBnB oder Uber sowie Verkaufsplattformen wie eBay sind erfasst) und daraus ggf. resultierende Steuer­pflich­ten besser als bisher bzw. überhaupt erfasst werden sollen.

Übertriebeses Horrorszenario?

Muss nunmehr jeder, der bei eBay gebrauchte Klamotten verkauft, davon ausgehen, dass sämt­liche Umsätze auch dem Bundeszentralamt für Steuern gemeldet werden und demnächst das Finanz­amt nachfragt, ob nicht der regelmäßige Verkauf von Baby-Artikeln vielleicht doch eine gewerbliche Tätigkeit sei und daher steuerrelevant? Auf den ersten Blick nicht, denn zunächst geht es nur um solche Gegenstände, die keine des täglichen Bedarfs sind. Hierzu zählen neben Babysachen auch Elektrogeräte und (Gebraucht-)PKW. Aber selbst, wenn wir hiermit nach Art der Gegenstände raus wären – wenn das häufiger als 30-mal im Jahr erfolgt, kann man ggf. von einer gewerblichen Handlung ausgehen – und damit wären wir wieder drin. Wo genau liegt hier die Grenze – und zwar eine solche, die vom Betroffenen auch nachvollziehbar ist?

Übertrieben? Typische Horror-Szenarien von Datenschützern? Wohl nicht. Ich bin nicht derjenige „Typ“ Datenschützer, der in allem und jedem gleich Bruder Orwell ums Eck kommen sieht, im Gegenteil – die Sorgen vieler vor Eingriffen oder Überwachungen „des Staates“ empfinde ich vor dem Hintergrund der in Sozialen Medien freiwillig von vielen veröffentlichten privaten Daten in erheblichem Maße als komplett absurd, realitätsfern und oft mit zweierlei Maß gemessen.

Hier aber schleicht sich, im Wesentlichen unbeachtet aufgrund aktuell vieler anderer wichtiger Themen, eine zu weitgehende Verknüpfung verschiedenster sehr privater Lebensbereiche mit einer einheitlichen Personenkennziffer ein, die tatsächlich eine sehr detaillierte Profilbildung eines jeden Einzelnen ermöglicht und damit meines Erachtens die Grenzen der Angemessenheit vor dem Hintergrund der Verfolgung von Gemeinwohlinteressen überschritten hat. Und damit verfassungswidrig wäre. Ich freue mich auf eine rege Diskussion!