Der Tageszeitung lassen sich immer wieder Berichte über Nutzerverhalten bei Kurznachrichtendiensten und sozialen Plattformen entnehmen. Die letzte Nutzermigration rief der bekannte Dienst WhatsApp mit der medienwirksamen Änderung seiner Nutzungsbedingungen hervor. Neben den unmittelbar datenschutzrechtlich relevanten Themen (etwa der Zusammenführung von Datensätzen) werden auch Stimmen derer laut, die Diskurse um Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken führen und teilweise sogar von Zensur reden. Tatsächlich löscht Facebook seit einer Weile rechtswidrige Inhalte oder sperrt dauerhaft Accounts. Geht Facebook dabei wirklich willkürlich vor?

Das Charakteristische an sozialen Plattformen und Telekommunikationsmedien ist, dass sie von der Exponentialität ihrer Nutzung leben. Ein Dienst kann noch so gut sein – ohne andere Nutzer wird ihn keiner verwenden oder gar verwenden können. Auch ist offensichtlich kein Dienst daran interessiert, mit anderen Diensten zu kooperieren und damit Marktanteile aufs Spiel zu setzen. WhatsApp als zweifelsohne größter Kurznachrichtendienst hat eine solche Stellung inne. Berechnet man ein, dass es stets einige Nutzer gibt, die aus Prinzip nicht den größten Anbieter eines Produkts bedienen wollen, kann unter den verfügbaren Anbietern nur eine begrenzte Menge marktfähig bleiben. Nach Erkenntnis des Bundeskartellamts sei es nicht weit hergeholt, WhatsApp/Facebook eine marktbeherrschende Stellung als Soziale Plattform für soziale Netzwerke zu unterstellen.

Routinen der Löschung

Damit ist ein Thema eröffnet, welches mittelbar stets DSGVO-relevant ist: das der Meinungsfreiheit. Meinungsäußerungen auf sozialen Plattformen sind ohne Verarbeitung personenbezogener Daten kaum noch möglich. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht dazu oft in einem Spannungsverhältnis zur Meinungs- und Informationsfreiheit Mit der Monopolstellung von Facebook hat sich jedenfalls auf verschiedenen Facebook-Seiten und in verschiedenen Facebook-Gruppen seit geraumer Zeit faktisch durchgesetzt, dass Beiträge vom Plattformbetreiber, also Facebook selbst, moderiert werden müssen.

Der in der Vergangenheit dann häufiger zu lesende Anspruch, bzw. die Erwartung einer (sofortigen) Löschung strafrechtlich relevanter Beiträge bekam schließlich vor nicht langer Zeit Gehör durch den Gesetzgeber in Form des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (wir berichteten). Dieses verpflichtet Plattformbetreiber u.a. zur Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte innerhalb von 24 Stunden. Nicht nur werden Beiträge gelöscht; besonders bei häufigen Vergehen eines Nutzers wird der Plattformbetreiber härtere Mittel erwägen. Es ist auch kein Geheimnis, dass Nutzer, die seit jeher die Anonymität des Internets und der lange Zeit fast schon rechtsfreien Zone (in Bezug auf Meinungsäußerungen) in Netzwerken nutzten, von derlei Moderation – sei sie rechtmäßig oder nicht – oft nicht gerade angetan sind. Dies hat zur Folge, dass Influencer, die zweifelhafte Inhalte verbreiten, in vielen Netzwerken schließlich ausgeschlossen werden, indem ihre Accounts gesperrt werden.

Zur Wirkungsrichtung der Meinungsfreiheit

An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass die Meinungsfreiheit als Grundrecht grundsätzlich erst einmal im Verhältnis zwischen Staat und Bürger wirkt. Facebook ist trotz aller Vorwürfe des Überwachungsapparats weiterhin ein privatwirtschaftliches, in den USA ansässiges Unternehmen. Facebook kann damit grundsätzlich erst einmal selbst entscheiden, welche (legalen) Inhalte dort verbreitet werden. Das heißt aber nicht, dass an dem Vorwurf der Zensur nicht etwas dran sein könnte. Schließlich ist seit der Lüth-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1958 die „mittelbare Drittwirkung von Grundrechten“ anerkannt: Grundrechte finden damit auch im privatrechtlichen Bereich Anwendung, indem jegliche juristische Entscheidung im Lichte der Grundrechte betrachtet werden muss. Diese Rechtsprechung befindet sich seitdem in ständiger Fortentwicklung. In einer jüngeren Entscheidung zum Stadionverbot eines überzeugten Fußballfans führte das BVerfG wie folgt aus:

„Maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots ist dessen Charakter als einseitiger, auf das Hausrecht gestützter Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine hier aus dem Hausrecht – so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit – resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.“

Zwar äußerte sich das BVerfG in diesem Kontext zum Hausrecht des Stadionbetreibers. Gleichzeitig greift das BVerfG auch auf, dass seine aus einem Monopol resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu genutzt werden darf, um bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem Ereignis auszuschließen und stützt sich dabei auf Art. 3 I GG. Damit beschränkt das BVerfG das Recht strukturell besonders bevorteilter (juristischer) Personen, andere Personen von von ihm angebotenen Leistungen ausschließen zu können.

Ein Hausrecht für Facebook?

Lassen Sie uns das einen Schritt weiterdenken: Facebook könnte ähnlich einem Stadionbetreiber gehalten sein, eine dauerhafte Accountsperrung auffälliger Nutzer besonders abwägen zu müssen. Dafür wäre paradoxer Weise maßgeblich, welche Bedeutung Facebook für die Person einnähme, also Intensität, Frequenz und Dauer der Nutzung: besonders aktive Nutzer würden stärkeren Schutz erfahren, da ihre Teilhabe beim Austausch auf Facebook – selbst, wenn diese fragwürdig ist – für sie einen großen Stellenwert einnimmt. Diese Teilhabe wäre in diesem Gedankenexperiment ja auch von der Meinungsfreiheit geschützt. Dadurch ergibt sich förmlich ein Zirkelschluss in sozialen Netzwerken: während es kaum einen Grund dafür gibt, eine Person ohne „Reichweite“ (gemeint ist die Zahl der mit Beiträgen erreichten anderen Nutzer) zu sperren, da Ihre ggf. verletzenden Beiträge kaum Schaden anrichten, würde ein Nutzer mit wesentlich größerer Reichweite einen weitaus größeren Schutz trotz höherem Gefahrenpotenzial genießen, wenn Facebook einen wesentlichen Bestandteil des Lebens des Nutzers darstellen würde.

Facebook kommt ohnehin mit Sperrungen kaum hinterher. Würden die von der langjährigen Rechtsprechung entworfenen Grundsätze zur Verhältnismäßigkeit und fairen Verfahren indirekt von Facebook verlangt werden, können diese bereits aus wirtschaftlichen und faktischen Gründen nicht eingehalten werden – unter den vielen Moderatoren, die sich täglich mit tausenden von Beiträgen auseinandersetzen müssen, finden sich offenkundig wenige Juristen. Das stellt einen maßgeblichen Unterschied dar: Facebook hat extrem viele Nutzer, sodass die Verwaltung auffälliger Nutzer in keinem Verhältnis zum Ausschluss einzelner Stadionbesucher steht. Zudem betrifft eine Sperrung regelmäßig nur den Account. Ein ausgeschlossener Nutzer könnte sich auf diese Weise – notfalls pseudonym – einen weiteren Account erstellen, bevor dieser wieder händisch manuell gelöscht werden müsste. So obliegt Facebook einerseits quasi die Prüfung materiellen Rechts, die Zahl der Verstöße ist aufgrund der Netzumgebung jedoch unverhältnismäßig erhöht. Andererseits erleichtert das Medium „Soziale Netzwerke“ die Begehung von Ehrverletzungsdelikten erheblich und schränkt gleichzeitig die Verfolgbarkeit derartiger Taten maßgeblich ein.

Facebook ist in diesem Kontext sogar möglicherweise bedeutender als ein Stadion für die soziale Teilhabe. Auch der Charakter des Dienstes, der einen einseitigen Ausschluss von Nutzern ermöglicht, lässt diese Analogie zu. Dies würde im Ergebnis noch engere Schraubzwingen an Facebook anlegen. Nicht nur müsste es sich fast schon unbillig im Gegensatz zu anderen Diensten dem NetzDG unterwerfen. Es müsste auch noch genau prüfen, ob die Wahl der Konsequenz – die Sperrung des Accounts, etc. – auch noch eine verhältnismäßige Entscheidung darstellt und das für jeden Einzelfall. Fraglich bleibt auch, ob Facebook-Nutzer mit Stadionbesuchern vergleichbar wären. Dagegen ließe sich zumindest einwenden, dass die physische Teilhabe in Person eine stärkere Mitwirkung ist und Stadionbesucher sich willentlich mit dem gesamten Erscheinungsbild in eine Öffentlichkeit begeben. Auf anderer Seite ist die digitale Teilhabe einfacher und erfolgt nicht gegen ein Entgelt (Stadionticket) – der Nutzer zahlt im Zweifel jedoch mit der Verarbeitung seiner Daten. Dies erscheint nicht ausreichend, um Facebook-Nutzer wesentlich schlechter zu werten als Stadionbesucher – also ganz im Sinne des Art. 3 I GG Gleiches ungleich zu behandeln.

Fazit

Hinter dem Sperren von Accounts oder dem Löschen von Beiträgen steckt also System – eines, in dem im Zweifel noch zu wenig geprüft wird. Ob es zu solch genauen Prüfungen verhältnismäßiger Rechtsfolgen überhaupt kommen mag, bleibt zu bezweifeln. Die Durchsetzung von Rechten im Netz gleicht zurzeit oft noch einem Schauspiel. Erst wenn durch Journalismus in Einzelfällen ein Öffentlichkeitsdruck entsteht, wird erst ermittelt. Die Gesetzgeber als auch die Plattformbetreiber sehen sich hier beide im gegenseitigen Verweis als hilflos an. Ob Neuerungen im NetzDG oder ganz andere Entwicklungen Veränderungen bringen, darauf mag man hoffen.