Wie viele Bereiche des täglichen Lebens, befindet sich auch der Lebensmitteleinzelhandel in einem stetigen Wandel. Im Laufe der letzten Jahre sind hier einige neue Technologien erprobt worden. Allerdings sticht der kassenlose Supermarkt hervor, da er fast ohne Zutun des Einkäufers funktioniert.

Viele Pilotprojekte für autonomes Einkaufen

Die Supermarktkette tegut… hat sich als Erste mit autonomen Einzelhandelsverkaufsflächen in Deutschland in Position gebracht. „tegut… teo“ eröffnete im November 2020 in Fulda und ist damit der erste kassenlose Supermarkt. Kunden können ihn durch Scannen eines QR-Codes in der tegut-App oder durch das Einlesen einer EC- oder Kreditkarte betreten. Im teo-Store erfolgt das Bezahlen sowohl über die App, als auch über Self-Check-out-Kassen, allerdings muss jeder Bezahlvorgang bargeldlos ablaufen. Anschließend erhält der Kunde bzw. die Kundin dann den QR-Code, mit dem der Laden wieder verlassen kann.

Auch REWE hat mit seinem Pilotprojekt „Pick&Go“ einen Schritt in Richtung autonomes Einkaufen gewagt. Kunden, die den autonomen Check-out, also das Einkaufen ohne aktiven Kassiervorgang an der Kasse, nutzen wollen, melden sich per App oder per QR-Code-Scan an einer am Eingang befindlichen Schranke an. Mit der Annahme der Datenschutzbestimmungen verläuft der Einkauf anschließend so, dass sämtliche Produkte im Markt einfach in einem beliebigen, mitgebrachten Behältnis verstaut werden können. Kameras und Sensoren registrieren, welche Produkte aus den Regalen in den Einkaufswagen und -körben oder Rucksäcken der Kunden landen und welche gegebenenfalls wieder zurückgestellt werden. Der Kassenbeleg kommt nach Abschluss des Einkaufs auf das Smartphone. Die erfassten Bildaufnahmen der Kunden sollen „datensparsam“ verarbeitet und ausschließlich für den Einkaufsvorgang verwendet werden. Eine „reguläre“ Bezahlung an einer Kasse bleibt möglich.

Dafür greift REWE bei dem „Pick&Go“-Projekt auf die Technik der Trigo Vision Ltd. zurück. Die Firma von Michael Gabay hat sich auf das kassenlose Einkaufen spezialisiert. Mithilfe der Technik von Trigo wird ein 3D-Modell des Supermarktes erstellt, in dem die Bewegungen der Kunden digital abgebildet werden, ohne dass die Personen selbst erkennbar sind. Das System folgt nur den Bewegungen des Kunden und des Artikels. Die Privatsphäre soll so bestmöglich geschützt bleiben. Das System verwendet weder Gesichtserkennung, Augen- oder Fingerabdruckscans noch andere biometrische Identifikatoren. Die Gesichter der Kunden seien trotz Kameraaufzeichnung nicht erkennbar, biometrische Daten würden nicht erfasst und lediglich der Markt könne Kunden zuordnen – so die Angabe von REWE.

Auch die Schwarz-Gruppe, zu denen die beiden bekannten Player Kaufland und Lidl gehören, verfolgt Ansätze kassenloser Supermärkte und arbeitetet ein KI-unterstütztes Konzept aus. Das erste Projekt, die „Shop Box“, starteten sie mit Studierenden in Heilbronn an der Dieter-Schwarz-Stiftung. Auf dem Bildungscampus der Hochschule stellten die Studierenden ein Angebot zusammen, bei dem ein Einchecken in ihrem Laden durch eine App möglich ist. Mit dem sogenannten „Grab and Go“-Einkauf wird beim Verlassen des Geschäfts automatisch über den Bezahldienstleister Klarna bezahlt. Beim zweiten Campus-Projekt, der „Collect Box“, wurden außerdem Schließfächer getestet, in denen vorbestellte Ware abgeholt werden kann.

Edeka, Deutschlands größter Lebensmittelhändler, testet unterdessen an einem Bahnhof einen hochautomatisierten Tiny-Store. Dieser kommt ohne Verkaufspersonal aus und ist 24 Stunden geöffnet. Die Ware, die der Kunde bzw. die Kundin per App oder an Touchscreens im Laden bestellt, wird im Anschluss an die Bestellung von Greifrobotern in zwei Lagereinheiten hinter der Verkaufsfläche zusammengestellt und an einen Abholschalter gebracht.

Während Aldi Süd bereits in London sein kassenloses Einkaufsdebüt geben durfte, kündigte nun auch Aldi Nord an, 2022 in der niederländischen Stadt Utrecht ein Pilotprojekt zu starten. Durch einen QR-Code in der Aldi-App loggen sich die Kunden beim Betreten und Verlassen des Geschäfts ein und aus. Durch Kameras und Sensoren an den Regalen im Markt wird der gesamte Einkauf des Kunden aufgezeichnet. Im Hintergrund arbeitet außerdem eine künstliche Intelligenz (KI), die sämtliche Bewegung des Kunden registriert und erkennen kann, welche Produkte letztendlich eingepackt werden. In der Aldi-App wird der Einkauf zusammengefasst, ohne dass dafür am Ende abkassiert wird. Auch Aldi Nord arbeitet mit dem israelischen Unternehmen Trigo zusammen.

Der E-Commerce-Konzern Amazon zeigt, dass seine sogenannte „Just walk out“-Technologie auch in noch größeren Läden funktioniert. Im Februar 2020 hat Amazon in Seattle einen Supermarkt ohne Kassen mit knapp 1.000 Quadratmetern Fläche an den Start gebracht. Amazon-Manager Dilip Kumar erklärte gegenüber dem Wall Street Journal, dass es für die Amazon-Technologie der kassenlosen Supermärkte keine Obergrenze mehr gebe. Amazon setzt bei der „Just walk out“-Technologie unter anderem auf smarte Einkaufswagen. Kameras und Sensoren sowie Waagen im Einkaufswagen werden durch wiegende Regalböden unterstützt, die mit Deep-Learning-Algorithmen registrieren, welche Waren der Kunde einkauft. Bei Fragen stehen in den Läden von Amazon passenderweise Alexa-Terminals zur Verfügung. Unter dem Namen „Amazon Go“ eröffnete bereits Anfang 2017 in Seattle für alle Prime-Mitglieder der erste kassenlose Supermarkt dieser Art. Amazon meldete außerdem ein Patent an, wonach der Kunde nur seine Handfläche einscannen muss, um zu bezahlen. Einige der Go-Supermärkte sind bereits mit dieser Technik ausgerüstet. Die Supermarktkette Albert Heijn testet in Kooperation mit der niederländischen Bank ING Groep aktuell ein ganz ähnliches Konzept für Miniläden, die ohne Kasse auskommen.

Als erster europäischer Flughafen bietet der Flughafen München das mobile und kassenlose Bezahlen mit „Smart Checkout – Tap, Pay, Enjoy“. Ein entsprechendes Pilotprojekt der Einzelhandelstochter Eurotrade hat im „MyCorner“-Geschäft am Terminal 2 gestartet. Die Kunden bezahlen hier per Smartphone direkt am Warenregal. Das digitale Preisschild muss nur vor das Gerät gehalten werden. Durch NFC (Near Field Communication) oder das Scannen mittels Smartphone-Kamera wird der Kunde auf eine mobile Web-Applikation geleitet, wo der Kauf abgeschlossen werden kann. Ein Download der App ist nicht notwendig, lediglich die Kreditkartendaten werden für die Zahlung benötigt.

Wirecard präsentierte, bevor der Skandal um den Vorwurf des Betrugs und der Veruntreuung publik wurde, große Pläne, wie das Bargeld als Zahlungsmittel obsolet würde. Die Chefentwicklerin stellte einen Spiegel vor, welcher für Umkleidekabinen vorgesehen war. Durch Berührung wurde er zum Bildschirm, auf dem der Kunde sich informieren und zahlen kann. Außerdem sollte ein Körperscanner integriert sein, der weitere Produktempfehlungen aussprechen sollte.

Was ist mit dem Datenschutz beim autonomen Einkaufserlebnis?

Die Grundlage für solche Ladenkonzepte sind IP-basierte Sicherheitssysteme. Netzwerk-Videokameras mit integrierter Videoanalytik, kombiniert mit anderen Technologien, wie Zutrittskontrollen, Audiolösungen und Personenzählung, ermöglichen ein autonomes Einkaufserlebnis. Die genannten Konzerne geben alle an, auf Gesichtserkennung zu verzichten. Beim Einsatz von Gesichtserkennung werden allerdings Informationen wie z. B. biometrische Daten des Betroffenen (Art. 4 Nr. 14 DSGVO) verarbeitet.

Michael Gabay spricht von „Privacy by Design“ und gibt selbst an, dass die Gesichter, die Trigo durch seine Kameras aufnimmt, unscharf und verschwommen seien. Es würden keine biometrischen Daten erfasst. Die Identität des Kunden wäre nur dem Unternehmen, in diesem Fall dem Einzelhändler, bekannt. Während bei Amazon Fresh die Informationen bis zu 30 Tage mit dem entsprechenden Kundenkonto von Amazon verknüpft bleiben, kenne Trigo bloß eine Zufallsnummer, die jedes Mal neu generiert werde. Und schließlich wären bei den Algorithmen die Vorschriften der DSGVO berücksichtigt.

Die Erfassung und die Datenverarbeitung, z. B. die Umrechnung von Gesichtsmerkmalen und -mustern von Personen in Templates oder Hashwerte, die einen individuellen Code bilden, sind ebenfalls besonders schützenswert. Solche Technologien sind also als Verarbeitungsmethode grundsätzlich untersagt und nur nach strengen Maßgaben zulässig.

Datenschutzrechtliche Bedenken ergeben sich sicherlich in dem Moment, wo durch KI und das Tracken von Einkaufsdaten Verhaltensanalysen von Kunden ermöglicht werden. Dies bedarf einer gesetzlichen Grundlage oder einer Einwilligung des Kunden nach Art. 7 DSGVO. Wobei der Versuch der Steigerung der Kundenzufriedenheit als berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO herangezogen werden kann.