Eine gemeinsame Recherche von netzpolitik.org und The Markup hat verstörende Einblicke in die Welt des digitalen Werbesystems geliefert (siehe hier). Die Ergebnisse zeigen, wie wir von der Online-Werbeindustrie in unzählige Kategorien einsortiert werden, darunter auch äußerst private Merkmale.

Unsere intimsten Eigenschaften werden zu Geld gemacht

Die Liste von Xandr, einem führenden Datenmarktplatz, enthält über 650.000 sogenannte Segmente, die auf bedenkliche Weise verdeutlichen, wie deutsche Firmen als Datenlieferanten am Markt agieren. Informationen von Websites, Apps und Kreditkarten werden gehandelt, wobei die Adtech-Industrie anscheinend sogar unsere Krankheiten und Schwächen zu Geld machen möchte.

Es geht hierbei nicht nur um oberflächliche Informationen wie Altersgruppe oder Interessen wie Automarken. Anhand der Datenspuren die hinterlassen werden, versuchen Datenhändler uns Labels wie „Mütter, die wie verrückt einkaufen“ anzuhängen. Sie können uns auch vermeintliche psychische Erkrankungen zuschreiben oder zumindest ein Interesse daran.

Besorgniserregend sind auch die Rechtfertigungsversuche der Datenindustrie, die von den Rechercheuren konfrontiert wurden. Dabei werden vor allem drei problematische Muster deutlich.

Drei problematische Muster

Erstens präsentiert die Industrie zwei Versionen ihrer Geschichte. Einerseits behaupten die Unternehmen, dass sie genaue Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer haben, um sie perfekt mit maßgeschneiderter Werbung anzusprechen. Doch wenn es um Privatsphäre und Datenschutz geht, ändern sie ihre Aussagen. Dann werden die Werbekategorien auf „allgemeine Interessen“ reduziert. Die Industrie behauptet, keine Aussagen über Gesundheitszustände oder andere sensible Eigenschaften zu treffen. Dabei wurden in den Daten jedoch Kategorien wie „Opiatabhängigkeit“, “Depression“ und „Diabetes Typ II“ entdeckt.

Zweitens betont die Werbeindustrie gerne, dass ihre Daten nichts mit einzelnen Personen zu tun haben. Sie behauptet, nicht an den Profilen einzelner Nutzerinnen und Nutzer interessiert zu sein und dass es nicht um personenbezogene Daten gehe. Doch während in den Datenbanken der Industrie vielleicht keine Werbe-IDs, sondern Segmente verwendet werden, haben sich Dienstleister genau darauf spezialisiert, diese IDs abzugleichen. Auch wenn das Hauptziel der Industrie darin besteht, passgenaue Werbung zu zeigen, ist es naiv zu glauben, dass aus der Fülle an Daten keine Rückschlüsse auf uns als Individuen gezogen werden können.

Das dritte Muster ist die Behauptung, dass wir dem Ganzen freiwillig zugestimmt haben. Die Industrie behauptet, dass wir freiwillig und informiert unsere Einwilligung geben, wie es die Datenschutzgrundverordnung vorschreibt. Das Problem dabei ist, dass wir täglich mit undurchsichtigen Cookie-Bannern konfrontiert werden, die es uns schwer machen, abzulehnen, bis wir schließlich resigniert auf „Alles akzeptieren“ klicken. Die Informationen, die uns über die Verarbeitung unserer Daten gegeben werden, sind oft schwer verständlich und unübersichtlich.

Was daraus folgt

Das Fazit von netzpolitik.org zu den Recherchen ist, dass es eindeutig an der Zeit sei, genauer hinzuschauen und dem entgrenzten digitalen Werbemarkt klare Grenzen aufzuzeigen. Datenschutzbehörden müssten sich mit den tausenden von wenig bekannten Akteuren auseinandersetzen. Es reiche nicht mehr aus, Seitenbetreiber lediglich dazu aufzufordern, ihre Cookie-Banner fairer zu gestalten. Es ginge um diejenigen, über die man fast nichts weiß, die aber alles über alle wissen wollen.

Jeder von uns könne zusätzlich seinen Beitrag leisten, so netzpolitik.org. Man solle Auskunft von den einzelnen Datenhändlern verlangen, und wenn etwas suspekt erscheint, solle man sich beschweren und die Behörden zum Handeln auffordern.

Darüber hinaus wäre es an der Zeit, das gesamte System des Targeted Advertising zu hinterfragen. Anstatt personenbezogene Werbung hinzunehmen, könnte man wieder inhaltsbezogene Werbung in Betracht ziehen, wie es früher in Zeitungen der Fall war. Tests haben gezeigt, dass dies auch ohne Einnahmeverluste für die Seitenbetreiber funktionieren kann.