Facebook muss der Mutter eines verstorbenen Mädchens Zugang zu dem seit fünfeinhalb Jahren gesperrten Nutzerkonto der Tochter gewähren. Das entschied der dritte Zivilsenat des BGH (Az. III ZR 183/17) gestern und schürt damit die Hoffnungen, ein lang ersehntes Grundsatzurteil zum digitalen Nachlass gefällt zu haben.

Hintergrund

Konkreter Gegenstand des nunmehr entschiedenen Falles war ein privater Facebook-Account eines 15-jährigen Mädchens, das im Jahr 2012 vor eine einfahrende U-Bahn stürzte und später im Krankenhaus verstarb. Die Gründe hierfür sind bis heute ungeklärt. Auch deshalb traten die Eltern des Mädchens hilfesuchend an Facebook heran. Sie versprachen sich durch Einsicht in die dort ausgetauschten Nachrichten ihrer Tochter Gewissheit, ob mögliche Suizidabsichten ursächlich für den Tod ihrer Tochter waren.

Facebook kam dieser Bitte nicht nach, sperrte gar das Nutzerkonto der Tochter durch Umwandlung in die „Gedenkzustands-Funktion“. Trotz vorhandener Login-Daten wurde der Mutter der Zugriff verweigert. Facebook rechtfertigte das Vorgehen damit, den persönlichen Austausch zwischen Menschen auf Facebook besonders schützen zu wollen.

Die mit dem Fall bemühten Gerichte kamen in ihren Entscheidungen zu unterschiedlichen rechtlichen Einschätzungen, sodass sich letztlich der BGH diesem bislang ungeklärten Thema annehmen musste. Im Ergebnis schloss er sich der ersten Instanz an und stellte das entsprechende Urteil des LG Berlin wieder her.

Die Entscheidung des BGH

Das Gericht dort urteilte, dass der mit Facebook geschlossene Nutzungsvertrag der Tochter wie jeder andere Vertrag auf die Eltern als Erben übergehe und Gründe für die Annahme eine Unvererblichkeit nicht erkennbar seien. Das Nutzerkonto bei Facebook könne deshalb folgerichtig als Teil der Erbmasse bewertet werden, über welchen die Erben kraft Gesetzes verfügen dürfen.

Die zentrale Frage, ob das digitale Erbe dem analogen gleichgestellt werden kann – also ob Erben Chat-Nachrichten und E-Mails des Verstorbenen genauso einsehen dürfen wie dessen persönliche Briefe – bejahten die Richter des BGH auch mit Verweis auf die grundsätzliche Vergleichbarkeit. Verkörperte Gedankeninhalte in Form von Briefen und Tagebüchern könnten erbrechtlich nicht anders zu bewerten sein als gleichermaßen persönliche E-Mails oder Chats in sozialen Netzwerken.

Zwar sah der BGH auch, dass der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks wie Facebook regelmäßig in der Erwartung erfolge, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und eine Offenlegung der ausgetauschten Inhalte an Dritte nicht erfolgen soll. Ein höchstpersönliches Vertragsverhältnis aber, das eine Unvererblichkeit hätte begründen können, sei dem Nutzungsvertrag mit Facebook nicht zu entnehmen.

Die vertragliche Verpflichtung von Facebook zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten sei von vornherein als kontobezogen zu werten. Sie habe gerade nicht zum Inhalt, eine Nachricht an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Im Ergebnis bestehe deswegen kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Bereits zu Lebzeiten müsse schließlich mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden, bei dessen Tod folgerichtig auch mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.

Festzuhalten ist somit, dass Facebook und Co. mit der gestrigen Entscheidung zukünftige Anfragen von Erben verstorbener Nutzer wohl nicht mehr so leicht ablehnen können wie bislang. Ob die gestern getroffenen Feststellungen den gewünschten richtungsweisenden Charakter haben und fortan sprichwörtlich (digitale) Türen geöffnet werden, bleibt auch der letztendlichen Urteilsbegründung vorbehalten. Bis dahin kann die vollständige Pressemitteilung des BGH hier abgerufen werden.