Zwei chinesische Forscher, von der Jiao Tong University in Shanghai, wollen vor wenigen Tagen bei einer Untersuchung folgendes herausgefunden haben: Ein spezielles Computerprogramm kann auf Grundlage einer Gesichtserkennungssoftware, welches verschiedene Gesichtsmerkmale von Menschen auswertet, mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von 89,5 Prozent prognostizieren, ob der Abgebildete kriminell ist oder nicht. Sie griffen dabei auf die Künstliche Intelligenz (KI) durch das Machine-Learning zurück.
Zur Durchführung der Studie legten sie dem verwendeten Programm 1.856 Passfotos von chinesischen Männern im Alter zwischen 18 und 55 Jahren vor, von denen die Hälfte straffällig geworden war. Die Software errechnete nun im Wesentlichen anhand von drei optischen Faktoren, die sich aus der Krümmung der Oberlippe, dem Augenabstand sowie der Mundbreite ergeben, einen biometrischen Wert. Verglichen mit den Fotos konnten, so die Forscher, gewisse Übereinstimmungen festgestellt werden. Auf Grundlage dieser Parameter lag die KI in fast 90 Prozent der Fälle richtig.
Die Idee, anhand des physiologisch Äußeren des Körpers, auf bestimmte Eigenschaften eines Menschen zu schließen gab es schon mehrfach in der Geschichte der Menschheit (z.B. bei der Lehre der Physiognomik). Ebenso das Bestreben, Verbrecher anhand biologischer Veranlagungen zu identifizieren. Diese mündete im frühen 20. Jahrhundert im Rassenbild der Nationalsozialisten wie auch verwandten internationalen Bewegungen. Diese sogenannten Forschungen genüg(t)en nicht nur keiner wissenschaftlichen Grundlage, sondern waren/sind von rassistischen Motiven geleitet und streng ergebnisorientiert.
Diese nun vorgestellte, computerbasierte Studie wirft bereits aus wissenschaftlicher Sicht große Fragezeichen auf. Mag die Anzahl der vorgelegten Fotos als Datenbasis noch genügen, so sind bereits die drei angeführten Kriterien sehr vage. Zudem wurde offensichtlich nur eine chinesische Personengruppe einbezogen. Seriöse wissenschaftliche Erhebungen müssen an jedem Ort und zu jeder Zeit unabhängig durchgeführt werden können und zu den gleichen Ergebnissen führen. Dies war bei der Studie von vornherein ausgeschlossen.
Der Datenschutz im 21. Jahrhundert
Eine solche Technologie ist nicht nur ethisch, sondern auch datenschutzrechtlich sehr bedenklich. Die sich aus den Gesichtsmerkmalen ergebenden biometrischen Daten stellen ein personenbezogenes Datum dar und unterfallen hierzulande dem Datenschutzrecht gemäß § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Ferner sind die biometrischen Daten von der Besonderheit geprägt, dass sie als virtueller „Fingerabdruck“ nahezu lebenslänglich dem Menschen unverändert anhaften. Der Betroffene kann dadurch nahezu sein Leben lang identifiziert werden.
Wohlweislich dieser Tatsache werden die genetischen Daten in der bevorstehenden europäischen Datenschutz-Grundverordnung sogar ausdrücklich in Art. 9 Abs. 1 DSGVO vom erhöhten Schutzumfang der besonderen Kategorien personenbezogener Daten erfasst. Die Erlaubnis der Verarbeitung der biometrischen Daten des Einzelnen ist somit an eine hohe rechtliche Hürde geknüpft. Die erhobenen Daten sind vor Zugriffen Dritter und der unberechtigten Verwendung deutlich zu schützen.
Bedrohliche Zukunftsvision
Mit ständig weiterentwickelten KI-Programmen können bald nicht nur Autos selbstständig fahren, digitale Sprachassistenten jede erdenkliche Antwort in Sekundenschnelle liefern, sondern möglicherweise auch in naher Zukunft Verbrechen vorhergesagt werden, bevor sie passieren. Zumindest wäre ein solcher nächste Schritt des „Predictive Policing“ die weitergedachte Schlussfolgerung aus dem fragwürdigen Experiment der chinesischen Forscher. Wohin diese Methoden führen können, zeigte unter anderem der Film „Minority Reports“ aus dem Jahre 2002, der auch die Theorie der „self-fulfilling prophecy“ aufgreift, wenn also die Ankündigung der Vorhersage überhaupt erst der Stein des Anstoßes ist.
Sollte ein derartiges biometrisches Erkennungssystems, sofern es funktioniert, in Verbindung mit Bodycams der Polizei oder Videoüberwachungssysteme zum Einsatz kommen, wäre die Strafverfolgung erheblich beeinflusst und vor neue Herausforderungen gestellt – was letztlich zur erheblichen Gefährdung der Rechte des Einzelnen führt. Werden zukünftig bestimmte Personengruppen stärker kontrolliert oder eher verdächtigt als andere und findet eine Vorverurteilung allein auf computerbasierte Analysen statt?
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bereits jetzt schon rund die Hälfte der Erwachsenen in den USA in den Datenbanken der Behörden dank moderner Gesichtserkennungssoftware gespeichert sind. Das FBI und die Geheimdienste arbeiten ferner seit Jahren an immer besser werdenden Methoden. Und auch andere Länder setzen weiter auf die Totalüberwachung an öffentlichen Plätzen.
Die neuen Perspektiven der Gesichtserkennungssoftware bei rasant zunehmenden Anwendungsfeldern und stetig verbesserter Technologie dürfte derartige Datenbanken weiterhin – sowohl im öffentlichen als auch im privatwirtschaftlichen Sektor (z.B. durch Social Media Angebote) – stark wachsen lassen. In vielen Fällen erfolgt dieser Vorgang sogar durch die Verwendung von Selfies und Foto-Apps durch den Nutzer freiwillig oder ohne Kenntnis über den Datenverarbeitungsprozess.