Wir berichteten bereits über den im Mai 2023 in Kraft getretenen Digital Markets Act (DMA), welcher darauf abzielt die Marktmacht großer Internetunternehmen einzuschränken und faireren Wettbewerb zu fördern. Wettbewerbsverzerrungen sollen insbesondere dadurch ausgeglichen werden, dass die bisher unangefochtene Monopolstellung einiger Marktteilnehmer nun angegangen wird. Daher gelten die im DMA gestellten Forderungen – wie die Gewährleistung von Messenger-Interoperabilität – allein für die sogenannten „Digital Gatekeeper“. Als Digital Gatekeeper werden Unternehmen bezeichnet, die aufgrund ihrer Nutzerzahl, ihres Umsatzes, ihrer Verbreitung oder anderer Faktoren den Markt dominieren. (Die Anforderungen im Einzelnen finden Sie hier.)

Im Bereich Messaging fällt derzeit nur ein Konzern unter die Definition Gatekeeper: Meta. Laut Bestimmungen des Digital Market Acts müssen also der Facebook Messenger, Instagram und WhatsApp ab dem Jahr 2024 die Interoperabilität ihrer Messenger-Dienste gewährleisten.

Was ist Messenger-Interoperabilität?

Im Grunde beschreibt Interoperabilität die Fähigkeit verschiedener technischer Systeme – sei es Hardware oder Software – reibungslos miteinander agieren zu können. Im Fall der Messenger-Interoperabilität bedeutet dies, dass ein Messaging-Dienst in der Lage ist, Daten von anderen Messengern zu verarbeiten. Dadurch wäre es beispielsweise möglich, Verbindungen zwischen WhatsApp und Telegram oder zwischen Signal und iMessage herzustellen. Aus einem Messenger heraus kann dann mit einem anderen Nachrichtendienst kommuniziert werden, bei dem der User keinen Account hat und der nicht auf seinem Gerät installiert ist.

Wer also beispielsweise vergangenes Jahr vor den neuen Geschäftsbedingungen von WhatsApp zu Alternativen wie Signal geflohen ist, kann seinen alten WhatsApp Kontakten womöglich bald wieder Nachrichten schreiben. Besagter Kontakt soll dann eine Bestätigungsabfrage erhalten, ob er die Nachrichten von Drittanbieter-Apps annehmen möchte.

Interoperabilität in Messenger-Diensten kann auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden. Beispielsweise könnten offene Schnittstellen (APIs: Application Programming Interfaces) von den Unternehmen bereitgestellt werden, die es Entwicklern ermöglichen, Apps oder Tools zu erstellen, die mit verschiedenen Messengern interagieren können. Daneben könnte die Interoperabilität von WhatsApp und Co. über sogenannte Bridge-Server technisch umgesetzt werden, die zwischen den unterschiedlichen Systemen „vermitteln“. Die Integration verschiedener Systeme ist jedenfalls ein komplexer technischer Prozess.

Vorteile der Messenger-Interoperabilität

Angesichts der Vielzahl an verfügbaren Messaging-Diensten, kann jeder Nutzer grundsätzlich den Messenger auswählen, der seinen individuellen Anforderungen am besten entspricht. Oft nutzen die einzelnen Kontakte eines Users unterschiedliche Apps zum Chatten. Um in Kontakt zu bleiben, muss man entweder die andere Person überzeugen, den verwendeten Messenger zu installieren oder selbst einen anderen Messenger nutzen. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass Smartphone-Benutzer mehrere verschiedene Messenger-Apps auf ihren Geräten installiert haben. Dies kostet Speicherplatz und erschwert es, den Überblick darüber zu behalten, wer über welchen Messenger erreichbar ist oder den Verlauf von Unterhaltungen zu verfolgen. Die Lösung für dieses Dilemma könnte die Interoperabilität von Messenger-Diensten bieten.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche User, die gerade keine zig verschiedenen Messenger Apps auf ihrem Smartphone möchten und daher WhatsApp wegen dessen Monopolstellung nutzen. Durch die Interoperabilität wären diese Nutzer nicht mehr an einen einzelnen Dienst, wie WhatsApp, gebunden und könnten flexibler je nach Vorlieben zwischen verschiedenen Plattformen wählen ohne Angst zu haben mit einigen Personen nicht mehr kommunizieren zu können. Denn theoretisch könnten dann aus jedem Messenger Nachrichten an User geschickt werden, die WhatsApp haben, ohne dass der Absender selbst WhatsApp installieren müsste. Dadurch könnte der Wettbewerb gefördert werden, da die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Messenger-Dienste erhöht wird. Dieser Effekt kann sich allerdings erst vollumfänglich einstellen, wenn alle Messenger-Interoperabilität gewähren.

Welche Nachteile könnten interoperable Messenger-Dienste bringen?

Abgesehen von der technischen Komplexität und der Frage, ob sich wirklich alle Messenger interoperabel miteinander verbinden lassen, gibt es einige Nachteile, die mit der Öffnung der Messenger-Dienste verbunden sein könnten.

Die Implementierung von Messenger-Interoperabilität kann insbesondere zu Problemen mit der Sicherheit und der Privatsphäre führen. Dabei spielt vor allem die Gewährleistung des Datenschutzes eine Rolle, da hier die diversen Messenger-Anbieter zum Teil gänzlich anders aufgestellt sind. Der Austausch von Daten zwischen verschiedenen Diensten könnte die Kontrolle über persönliche Informationen beeinträchtigen.

Beispielsweise gelten Signal und Threema als sichere Messenger-Dienste in Bezug auf den Datenschutz. Dagegen ermöglicht Telegram zwar das Chatten ohne Eingabe von Telefonnummern oder sonstiger Nutzerdaten, doch es können sämtliche Chatverläufe einschließlich der Medien beliebig von den Betreibern verwendet werden. Wären alle Messenger interoperabel, könnte aus einem Messenger mit hohen Datenschutzstandards Nachrichten an einen Kontakt geschrieben werden, dessen Messenger niedrige Standards hat. Damit hat der Nutzer keine Kontrolle, wo seine Daten im Endeffekt landen. Dementsprechend reagieren auch Messenger-Betreiber, die einen hohen Datenschutz gewährleisten skeptisch, da dadurch ein Hauptargument, diesen Messenger zu nutzen, entkräftet wird. Denn wenn sich der Nutzer aus Datenschutzgründen bewusst gegen Telegram oder Meta entschieden hat, seine Daten aber letztendlich doch über seine Kontakte in genau diesen Netzwerken landen, können besagte Messenger im Prinzip auch gleich benutzt werden. Damit würde sich dann letztendlich die Interoperabilität wiederum für die am meisten verbreiteten Messenger auszahlen.

Auch gibt es Bedenken hinsichtlich der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, da die Verschlüsselung aufgehoben werden könnte, wenn eine Nachricht von einem Nutzer gesendet wird, der nicht WhatsApp verwendet. Zwar hat sich WhatsApp verpflichtet, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung beizubehalten, sobald die Interoperabilitätsfunktion verfügbar ist, ob und wie das gewährleistet werden kann ist jedoch noch unklar.

Die Verbindung verschiedener Messenger-Dienste kann zudem die Tür für unerwünschte Werbung, Spam oder Missbrauch öffnen. Wenn die Kontrollen zur Verhinderung von Spam nicht effektiv sind, könnte die Interoperabilität zu einer Zunahme von Spam-Nachrichten führen.

Erste Anpassungsschritte bereits erfolgt

WhatsApp hat bereits ein neues Beta-Update für Android (2.23.19.8) veröffentlicht, welches erste Hinweise auf die bevorstehende Einführung der Interoperabilität mit anderen Messaging-Apps enthält. Auch wenn der Abschnitt sich noch in der Entwicklung befindet und daher noch recht leer erscheint, bestätigt der Titel des neuen Abschnitts („Third-party chats“), dass WhatsApp daran arbeitet, die App an die neuen europäischen Vorschriften anzupassen. Ab wann die Messenger-Interoperabilität eingeführt wird, ist noch unklar.

Fazit

Das Streben nach Messenger-Interoperabilität durch den Digital Markets Act (DMA) könnte einen bedeutsamen Schritt zur Eindämmung der Marktmacht großer Internetunternehmen markieren. Die Verpflichtung zur Messenger-Interoperabilität birgt sowohl Potenzial als auch Herausforderungen für die digitale Kommunikationslandschaft. Insbesondere könnte die Komplexität der technischen Integration und die unterschiedlichen Datenschutzstandards der verschiedenen Messenger-Dienste zu erheblichen Herausforderungen führen. Die potenzielle Gefährdung der Privatsphäre und die Unsicherheit darüber, wo persönliche Daten landen könnten, wenn Nachrichten zwischen verschiedenen Diensten ausgetauscht werden, sind wichtige Bedenken, die berücksichtigt werden müssen.