In den letzten Jahren hat die Digitalisierung hierzulande in den Unternehmen viel verändert: Homeoffice, digitale Geschäftsprozesse und Videokonferenzen sind längst in der breiten Masse angekommen.
Auch in der Marktforschung ist dieser (unumkehrbare) Trend zu erkennen. Immer mehr Interviews und Gruppen-Diskussionen im Rahmen von Studien der Marktforschung erfolgen als Videokonferenz und bieten gar viele neue Möglichkeiten, wie z. B. den Austausch von Medien während des Termins oder das gemeinsame Begutachten von neuen Websites. Dafür müssen die Personen auch häufig gar nicht mehr zu den Räumlichkeiten eines Instituts kommen und sich dort an den Tisch setzen, sondern können mobil von zuhause aus an der Studie teilnehmen (wir berichteten).
In einem – natürlich rein fiktiven Fall – durfte unser anonymer Bekannter dieses Szenario – jüngst durch seine Teilnahme an einer Studie zur Marktforschung eines namhaften Instituts feststellen – und kann hiervon nun berichten.
Das Thema der Studie lautete dieses Mal übrigens „Reisen“ und der virtuelle Termin sollte drei Stunden dauern. Auch sah er eine kleine Vorbereitung vor.
Neuerungen im Jahr 2024
Im Vorfeld des Termins wurden die Datenschutzhinweise (Art. 13 DSGVO) und eine Einwilligungserklärung (als digitales Dokument) per E-Mail mitgeschickt, deren Kenntnisnahme „nur“ per E-Mail-Nachricht zu bestätigen war. Eine Unterschrift oder beweissichere Zustimmung der Einwilligung fand somit nicht statt. Fraglich ist ohnehin, wie hier ein etwaiger Widerruf der Einwilligung umgesetzt werden könnte.
Denn durch die Teilnahme an der Studie, die mit 75 Euro vergütet worden ist, wurde letztlich die Verarbeitung der personenbezogenen Daten durch Einsatz der Videokonferenz und der Aufzeichnung der Session vorgenommen.
Die vorherige Kontaktaufnahme und der weitere Austausch basierten auf einem vor vielen Jahren geschlossenen Vertrag (Aufnahme in die „Kartei“ des Marktforschungsinstituts), d. h. diese Daten durften für diesen Zweck auch verarbeitet werden. Jede E-Mail von dem Institut beinhaltet Angaben des Unternehmens, einen Disclaimer, Links auf die Datenschutzerklärung und die Möglichkeit, sich aus dem „Newsletter“ austragen zu können. Und für die Überweisung der versprochenen Entschädigung bedarf es der Angabe der Kontodaten.
Fotos von echten Dokumenten?
In der besonderen Konstellation dieser Studie sollte noch eine Art „Hausaufgabe“ angefertigt werden, also ein Screenshot oder Foto der Reisebestätigung an das Institut übermittelt werden, das die Beteiligung an einer Pauschalreise in den letzten zwei Jahren bestätige – quasi als Berechtigung für die Teilnahme an dieser Studie. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass nur Namen und Ort, Reisedauer/Reiseanbieter, nicht jedoch weitere Daten wie die Adresse oder das Geburtsjahr zu sehen waren. Diese Daten sollten also entsprechend geschwärzt werden. Ob das letztlich immer so konkret eingehalten wird oder doch das ungeschwärzte Foto mehr Daten als gewünscht enthält, lässt sich nicht überprüfen. Die zugesandten Unterlagen sollten nur „anonymisiert“ verarbeitet und nach drei Monaten endgültig gelöscht werden.
Das bekannte Institut setze bei dieser Studie nicht mehr auf den Anbieter Zoom (wie vor knapp drei Jahren), sondern nutzte eine andere, ebenfalls US-amerikanische Plattform für die Videokonferenz. Dadurch musste zwar kein Programm installiert oder ausgeführt werden, jedoch für den Beitritt zum hierfür vorgesehenen virtuellen Raum der Name sowie eine E-Mail-Adresse angegeben werden. Die Organisation aus dem Institut teilte jedoch vorab per E-Mail mit, alle Testpersonen sollen keine personenbezogenen Daten (mit Ausnahme des Vornamens) und insbesondere keine E-Mail-Adresse angeben. Damit sei eine „anonyme“ Nutzung möglich, so hieß es in der Vorankündigung.
Ein großer virtueller Raum
Vor dem Start der Gruppendiskussion wurden alle Teilnehmenden einzeln von einer Moderation kurz geprüft, instruiert und auch erneut darauf hingewiesen, möglichst keine personenbezogenen Daten während der Session anzugeben. Die Kamera sowie das Mikrofon waren allerdings für die Diskussion erforderlich und sollten jederzeit aktiviert sein.
Aufgrund der Konfiguration des Raums waren weitere Personen, die diese Studie auswerten oder beobachten, nicht sichtbar. Dass einen mehrere fremde Personen durchweg beobachten bzw. zuhören, kann verständlicherweise zu einem unwohlen Gefühl bei den Testpersonen führen. Im Übrigen wurde die gesamte Veranstaltung durchgehend aufgezeichnet, worauf jedoch in diesem Fall (bewusst oder unbewusst) nicht direkt hingewiesen worden war.
Eine Moderatorin als Leiterin der Studie stellte sich und das Ziel des Termins kurz vor und sprach in der Folge die Testpersonen fast immer direkt an. Alle anwesenden Personen gaben, wie vorher besprochen, nur ihren Vornamen an und wurden auch nur mit diesem angesprochen.
Es liegt auf der Hand, dass bei dem Termin in den Abendstunden die Testpersonen offenbar alle Zuhause waren, d. h. es wieder Einblicke in die Küchen und Wohnzimmer der teilnehmenden Personen gab. Anders als bei früheren Studien huschten dieses Mal kein Kleinkind oder Partner*in (ungewollt) durch das Bild und es waren auch keine sonstigen, sehr sensiblen Familien-Urlaubsbilder im Regal erkennbar. Dass im Gespräch dann doch kurzzeitig vom Ehepartner oder Kind die Rede war, ließ sich wohl nicht verhindern und war durch die Moderatorin auch nur bedingt steuerbar. Es lässt sich also konstatieren, dass ein gewisses Grundverständnis zum Datenschutz mittlerweile besteht, aber in freien Gesprächen (und Erzählungen) nicht immer alle Worte mit Bedacht gewählt werden.
Einwilligung als Rechtsgrundlage
Als Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung kommt wegen der Teilnahme und Aufzeichnung der Session wohl nur die zuvor freiwillig erteilte Einwilligung der Teilnehmenden in Betracht. Hierzu schrieben wir schon vor knapp drei Jahren:
„Sofern es sich konkret um eine wissenschaftliche, unabhängige Forschung handelt, könnte die Verarbeitung der besonderen Kategorien personenbezogenen Daten der Teilnehmer bei der Studie auf die Rechtsgrundlage aus Art. 9 Abs. 2 lit. j DSGVO bzw. § 27 BDSG gestützt werden. Dann bräuchte es keiner Einwilligung des Betroffenen. Auch wären unter Umständen die Betroffenenrechte eingeschränkt (Art. 89 Abs. 2 DSGVO). Ob trotz der Namensgebung (“Marktforschungsinstitut”) nun eine Studie über den Geschmack von Eissorten, eines möglichen neuen TV-Formats oder zum Reisen auf Grund der gewählten Methodik der Befragung, der Anzahl an Teilnehmern, der allgemeinen demografischen Relevanz und letztlich auch der Auswertung durch das Institut bereits dem Bereich der “wissenschaftlichen Forschung” bzw. dem weiten Begriff der Forschung (Vgl. Erwägungsgrund 159 der DSGVO) unterfällt, kann sicherlich diskutiert werden, wurde jetzt aber vorliegend abgelehnt. Und selbst dann würde das nur für solche personenbezogenen Daten gelten, die im Rahmen der Durchführung zu verarbeiten sind, nicht jedoch Ton- und Bildaufnahmen des Kindes im Hintergrund. Und auch eine Übermittlung in den Datentransfer in die USA wäre hierüber nicht vollends abgedeckt.“
Und so wurden Videos und Websites eines neuen Reiseportals in einer knapp dreistündigen Gruppendiskussion mit insgesamt fünf Testpersonen besprochen, ohne dabei zu tief in persönliche Lebensbereiche der anwesenden Personen einzutauchen.
Zum Ende wurden alle Testpersonen gebeten, noch einmal im Chat (offen) in einem Satz ihre Meinung zusammenzufassen, was möglicherweise indirekt auch als Beweis der freiwilligen, aktiven Teilnahme herhalten soll. Natürlich war dieser Chat auch noch Teil der Aufzeichnung.
Fazit
Im Vergleich zur Teilnahme aus dem Jahre 2021 scheint sich einiges getan zu haben; das Grundproblem der fehlenden/fehlerhaften Abgabe der Einwilligungserklärung via E-Mail und Teilnahme an einer Videokonferenz mit unbekannten Personen, die sodann auch noch aufgezeichnet wird, wurde hingegen immer noch nicht gelöst. Im Institut vor Ort wurden seinerzeit immer Unterschriften eingeholt. Bei der elektronischen Kontaktaufnahme und Korrespondenz fehlt es offenbar an einem rechtsicheren Konzept. Die rudimentären Datenschutzhinweise wurde vorab zugesandt, auch wenn diese nicht alle Details zur Datenverarbeitung enthalten.
Also bleiben insgesamt weiterhin gewisse datenschutzrechtliche Bedenken.