Vielleicht bin ich ja doch schon alt. Zugegeben, das ist immer eine Frage des Standpunkts, aber eigentlich dachte ich, dass ich bei vielen technischen Neuerungen mitziehe und diese häufig als Bereicherung meines eigenen Lebens empfinde. Aber was so mache „Errungenschaft“ mit unserer Gesellschaft macht, und dass viele das anscheinend auch unreflektiert toll finden, erschüttert mich.
Um was es geht?
Um Überwachung! Um die kleine tagtägliche Überwachung von Schutzbefohlenen. Im Januar diesen Jahres berichtete ich unter dem Titel „Die Vernetzung der Welt“ unter anderem über erste Feldversuche in den USA, bei denen Fußgänger und Radfahrer mit Handys, die ständig die aktuelle Position per Funk bekanntgeben, ausgestattet wurden. Empfänger dieser über einen Kurzstreckenfunk wie WLANp versendeten Position sind Autofahrer. Hehres Ziel der Kommunikation zwischen Autos und Fußgängern oder Radfahren, Vehicle-to-X Technologie (V2X) genannt, ist der Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer. Neben der reinen Funkfunktion sollten die Transponder zukünftig auch über Sensorfunktionalitäten wie z.B. Bewegungs- und Beschleunigungssensorik verfügen, die am Ende den wahrscheinlichen Weg des Fußgängers berechnet und den Autofahrer warnt bzw. eine automatische Vollbremsung einleitet, denn manchmal reicht die menschliche Reaktionszeit eben nicht aus, die der Maschine schon. Nun, im April und gerade einmal 4 Monate nach diesem Bericht, wurde die „Initiative Schutzranzen“ mit dem durch die Huk-Coburg Versicherungsgruppe und der Zeitschrift Auto, Motor und Sport ins Leben gerufenen Sicherheitspreis „auto motor und sport mobility & safety Award“ ausgezeichnet.
„Schutzranzen“ ist eine App, die die Position von Schulkindern per Smartphone oder GPS Tracker bestimmt, verschlüsselt und an eine Cloud sendet. Dort wird aus der Position und der Bewegungsrichtung ein Abstand zwischen einem heranfahrenden Auto berechnet, dessen Fahrer ebenfalls die App „Schutzranzen“ auf seinem Smartphone installiert hat. Wenn der Abstand zwischen Kind und Auto zu gering wird, wird der Autofahrer akustisch und optisch gewarnt. Im nächsten Schritt wird an einen Einbau in allen neuen VW-Modelle gedacht. Auch erste Schulranzen- und Fahrradhelmhersteller beteiligen sich an dem Projekt. So weit, so gut. Ich bin die letzte, die gegen eine erhöhte Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern im Straßenverkehr ist. Was mich stört, ist die Elternfunktion. Zitat:
„Falls ihr Kind mal nicht zur vereinbarten Zeit nach Hause kommt, weil es z.B. auf dem Weg nach Hause mit Freunden trödelt, drücken Sie den Ortungsknopf und Sekunden später erhalten Sie eine Nachricht mit dem Aufenthaltsort ihres Kindes. Sie sind als Eltern beruhigt und ihrem Kind gibt es den nötigen Freiraum, sich selbstständig zu entwickeln.“
Darüber hinaus kann das Kind auch einen Notfallknopf drücken, der ein „Help me –Signal“ an alle autorisierten Personen der Eltern App sendet. Ein Mikrofon erlaubt es den Eltern, die Stimme auf der Kinderseite mitzuhören.
Da hört bei mir das das Verständnis auf. Was für eine Generation Menschen ziehen wir da groß, wenn sie das Gefühl hat, keinen Schritt mehr ohne Kontrolle zu machen. Werte wie Vertrauen oder Respekt sind dann kaum zu vermitteln. Wie muss sich ein Kind fühlen, dass weiß, jederzeit geortet werden zu können, unabhängig ob es verspätet ist oder nicht. Zumal es auch keine Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob eine Standortabfrage erfolgte.
Man kann die Sache auch anders sehen: Die Ortungsmöglichkeit kann auch dazu führen, dass Kinder Misstrauen gegenüber Fremden oder die Einschätzung von Gefahren verlieren, die Eltern können ja jederzeit herausfinden, wo dieses sich aufhält. Hinzu kommt folgender Aspekt: Ein Täter wird „Schutzranzen“ auch kennen und im Falle einer Straftat das Smartphone oder den GPS Tracker zurücklassen oder auf einem Spielplatz platzieren. Hilfe ist dann nicht möglich.