Name: AV1, knapp 30 Zentimeter groß und ziemlich niedlich anzusehen. Auch bekannt als Telepräsenzroboter oder -Avatar, tauchen diese kleinen Helferlein mit steigender Tendenz auch in deutschen Schulen auf. Eine smarte Lösung, um am Unterricht teilzunehmen und die sozialen Kontakte weiterhin zu pflegen, ohne persönlich anwesend zu sein.

Denn soziale Isolation wirkt sich sowohl auf die schulischen Leistungen und den Bildungsweg als auch auf das emotionale Wohlbefinden und die soziale Integration der Betroffenen aus.

Telepräsenzroboter – auf den ersten Blick eine tolle Sache! Aber wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Entwicklung des AV1

Entwickelt wurde der Telepräsenz-Avatar AV1 bereits vor der Corona-Pandemie von dem norwegischen Start-up No Isolation. Das Unternehmen will die soziale Isolierung und die damit einhergehende Einsamkeit, insbesondere jugendlicher Langzeiterkrankter, mit sog. warmer Technologie begegnen:

[…] Der Begriff ‚warme Technologie‘ wurde von uns geprägt, um Produkte zu beschreiben, die speziell entwickelt wurden, um Menschen, die von sozialer Isolation und Einsamkeit bedroht sind, zu helfen. Warme Technologie ermöglicht Menschen in allen Lebenssituationen, die Kommunikation mit ihrem sozialen Umfeld […]. Sie definiert sich durch das warme Gefühl der Zugehörigkeit, welches sie vermittelt. Sie steht im Gegensatz zur kalten Technologie, welche lediglich eine Illusion von Zusammengehörigkeit erzeugt […].

Die technischen Besonderheiten des AV1

Aufbau und Interaktion

Der AV1 Avatar sieht aus wie ein Kopf auf einem angedeuteten Torso, ist aus weißem Plastik mit leuchtenden Punkten als Augen und in einer handlichen Größe, sodass das Gerät auf dem Schultisch platziert werden kann. Am AV1 befinden sich u. a. eine Kamera, ein Mikrofon, ein Lautsprecher und eine große LED auf dem Kopf. Durch seine Bewegungsmöglichkeiten kann er den gesamten Raum erfassen (360 Grad-Umblick).

Das heißt, die*der Nutzende ist in der Lage, die Lehrkraft und Mitschüler*innen zu hören und zu sehen. Die*der Nutzende kann wiederum über den Lautsprecher gehört, aber nicht von der Klasse gesehen werden. Mit dem Avatar ist auch ein Melden möglich (über die weiß blinkende Kopf-LED) oder die Signalisierung, dass die*der Nutzende vorübergehend nicht aktiv teilnehmen möchte (blau leuchtende LED).

Damit die Verbindung auch jederzeit gelingt, ist im Avatar eine 4G-Sim-Karte integriert, somit ist er – durch Einwahl ins mobile Internet – auch außerhalb der Reichweite von WLAN stets online.

Verschlüsselung und technische Vorsichtsmaßnahmen

Laut No Isolation werden persönliche Daten weder über die AV1-App erhoben, noch gespeichert und auch nicht zur Verbindung des Avatars benötigt. Weiterhin soll eine Speicherung personenbezogener Daten auf den Servern nicht stattfinden. Wird hingegen eine Erlaubnis für das Speichern von Daten durch Freigabe erteilt, soll es sich hierbei lediglich um Metadaten wie bspw. den Verbindungsstatus oder den WLAN-Namen der Schule handeln. Dies macht deutlich, dass es sich hier um eine Auftragsverarbeitung handelt und No Isolation sich darüber bewusst ist. Schließlich werden auf dem Server diese Metadaten dann auch verarbeitet. Während sie den AWS-Server (Amazon Web Services EMEA SARL) passieren, sollen sie aber verschlüsselt sein – bis auf die IP-Adresse.

Der Schutz der Privatsphäre des*der Nutzenden, der Lehrkräfte und der im Klassenraum anwesenden Schüler*innen ist beim Einsatz des Avatars wichtig. Aus diesem Grund soll der Stream zwischen dem Avatar und dem Tablet des*der Nutzenden jederzeit Ende-zu-Ende verschlüsselt sein, sodass ein Zugriff nur in Echtzeit möglich ist (vgl. Abbildung).

No Isolation greift auf einen Server von AWS als Unterauftragsverarbeiter zurück, der in Frankfurt am Main gehostet wird. Ausschließlich No Isolation verfügt über den Schlüssel zum Server und verwaltet diesen, sodass auch nur No Isolation Zugriff bzw. Einsicht darauf hat, welche App mit welchem Avatar kommuniziert oder wie lang der Datenaustausch erfolgt etc.

Darüber hinaus soll auch keine Speicherung des Streams auf dem Server von No Isolation stattfinden, sondern lediglich eine Speicherung der IP-Adresse und ggf. von Metadaten.

Weiterhin können Nutzende vom Stream weder einen Screenshot machen, noch die Streams speichern oder aufzeichnen. Beim Versuch wird der Stream automatisch beendet oder No Isolation erhält eine Nachricht und kann entscheiden, das Gerät zu deaktivieren.

Grafik (Illustration) zur Funktionsweise von AV1 (Telepräsenzavatar) im Hinblick auf die Verschlüsselung bei Datenübertragungen. Quelle der Grafik ist No Isoloation
© No Isolation

Datenschutzrechtliche Aspekte

Wer ist verantwortliche Stelle?

Wenn personenbezogene Daten verarbeitet werden, muss es auch jemanden geben, der dafür verantwortlich ist. Nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist derjenige verantwortlich, der über das Mittel und den Zweck der personenbezogenen Datenverarbeitung entscheidet.

Die Schulen entscheiden darüber, ob der Avatar als verbindliches digitales Lehr- und Lernmittel vorgesehen wird, da sie allgemein für die Planung und Durchführung des Unterrichts sowie für die Erziehung eigenverantwortlich (vgl. als Beispiel § 32 NSchG) agieren. Damit sind die Schulen die Verantwortlichen für die Datenverarbeitung. Zwar stellt No Isolation den Avatar und die Infrastruktur zur Verfügung. Personenbezogene Daten will No Isolation, bis auf die IP-Adresse, aber gerade nicht – ohne Erlaubnis (Weisung) – auf ihren Servern speichern bzw. verarbeiten.

Welche personenbezogenen Daten werden verarbeitet?

Um sich den datenschutzrechtlichen Aspekten zu nähern, stellt sich weiter die Frage, welche personenbezogenen Daten verarbeitet werden: Von Mitschüler*innen und Lehrkräften im Klassenraum werden über Kamera und Mikrofone deren Bilder bzw. Gespräche gestreamt. Vom Nutzenden im Kinderzimmer oder Krankenbett werden nur deren Fragen und Antworten bzw. Gesprächsbeiträge in den Klassenraum gestreamt.

Es sind also vor allem Video- und Audiodaten, die hier elektronisch verarbeitet werden. Je nachdem, was man mitteilt, können diese Daten auch sensibel sein. Daher können neben den „normalen“ personenbezogenen Daten auch besonders schützenswerte Daten betroffen sein, die verarbeitet werden.

No Isolation scheint davon auszugehen, dass biometrische Daten und damit besonders schützenswerte Daten verarbeitet werden. Bei biometrischen Daten geht es allerdings um die konkrete Identifizierung und Authentifizierung von Personen (ErwGr. 51) mittels physiologischer Eigenschaften (bspw. Gesicht) oder verhaltensbedingter Merkmale (bspw. Stimme). Darum geht es bei den Ton- und Videoaufnahmen aber nicht, sodass biometrische Daten nicht verarbeitet werden.

Mittelbar können aber Video- und Audiodaten Auskunft über die Gesundheit einer Person geben (Husten, verschnupfte Ausdrucksweise, Fragen nach dem Wohlbefinden und ähnliches).

Auf welche Rechtsgrundlage lässt sich die Datenverarbeitung stützen?

Einwilligung nach Art. 9 DSGVO

Aufgrund der möglichen mittelbaren Verarbeitung von Gesundheitsdaten könnte Art. 9 Abs. 1, 2 lit. a DSGVO – Einwilligung in die Datenverarbeitung – die einschlägige Rechtsgrundlage sein.

Als Gesundheitsdaten kommen grundsätzlich alle Daten in Betracht, […] die sich auf den Gesundheitszustand einer betroffenen Person beziehen und aus denen Informationen über den früheren, gegenwärtigen und künftigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand der betroffenen Person hervorgehen.“ (ErwGr. 32). Art. 9 Abs. 1 DSGVO sollte jedoch restriktiv ausgelegt werden, um eine Ausuferung des Schutzzwecks – Schutz besonders sensibler Daten – zu vermeiden und um Auslegungsgrenzen festzulegen. Es ist daher auf den objektiven Verwendungszusammenhang abzustellen und sich insbesondere bei daraus ergebenden mittelbaren Gesundheitsinformationen zu fragen, ob tatsächlich das dahinterstehende Gesundheitsdatum verarbeitet werden soll (subjektive Auswertungsabsicht). Bei der Übertragung der Video- und Audiodaten geht es um die Durchführung des Unterrichts und nicht um die Erfassung etwaiger Gesundheitszustände in der Klasse. Eine verschnupfte Ausdrucksweise oder ein Husten im Hintergrund sollen gerade nicht der Analyse dienen, ob und wie viele Kinder krank sind, und werden nur zufällig Teil der Video- und Audiodaten.

Dies schließt neben dem Signalisieren der Gefühlslage auch Fragen wie ‚Wie fühlst du dich?‘ der Mitschüler*innen oder der Lehrkraft mit ein, die sich lediglich nach dem Wohlbefinden erkundigen. Aus diesem Grund ist Art. 9 DSGVO nicht einschlägig.

Einwilligung nach Art. 6 DSGVO nicht praktikabel

Hilft nur noch ein Blick in Art. 6 DSGVO. Hier könnte man sich ebenfalls auf das Einwilligungserfordernis nach Abs. 1 lit. a DSGVO stützen. Das Einholen einer Einwilligung birgt jedoch die Problematik, dass Lehrkräfte oder Erziehungsberechtigte entweder bewusst keine Einwilligung erteilen, die Erteilung versäumen oder diese gar widerrufen. Damit wäre den Kindern also nicht geholfen.

So sieht es auch André Sebastiani, Referent im Referat „Medien und Bildung in der Digitalen Welt“ bei der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen, der statt einem Einwilligungserfordernis eine Rechtsgüterabwägung heranzieht: „[…] Aus unserer Sicht ist im konkreten unterrichtlichen Zusammenhang die Erfüllung der Schulpflicht durch den erkrankten Schüler oder die erkrankte Schülerin höher zu bewerten [als das Recht am eigenen Bild]. Schließlich ist über die Videokonferenz nichts zu sehen oder zu hören, was der betreffende Schüler oder die betreffende Schülerin im Klassenraum nicht auch sehen oder hören würde […].“

Nutzung des Avatars im öffentlichen Interesse

Eine rechtmäßige Verarbeitung ergibt sich daher aus Art. 6 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 DSGVO i. V. m. dem öffentlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen als eine Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt. Den Bundesländern obliegt der öffentliche Bildungsauftrag, der in den länderspezifischen Gesetzen geregelt ist. In Niedersachsen bezieht sich der Bildungsauftrag bspw. nicht nur auf die Vermittlung des Unterrichtsinhalts, sondern u. a. auch auf den Umgang und das Miteinander der Klassenkamerad*innen, auf das Fördern des (gemeinsamen) Lernverhaltens und der Leistungen (§ 2 NSchG i. V. m. Art. 4 Nds.Verf.).

Die konkrete Datenverarbeitung wird darüber hinaus klar und verständlich in § 31 Abs. 1 NSchG geregelt, wonach personenbezogene Daten verarbeitet werden dürfen, soweit dies zur Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule erforderlich ist.

Die Verarbeitung von Video- und Audiodaten beim Einsatz des Avatars ist erforderlich, damit die Schulen bzw. Lehrkräfte ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag auch gegenüber langzeiterkrankten Kindern und Jugendlichen erfüllen können. Ebenso haben die Kinder und Jugendlichen durch den AV1 die Möglichkeit, ihrer Schulpflicht nachzukommen und ihr Recht auf Bildung zu verwirklichen.

Das Interesse der Lehrkräfte und Mitschüler*innen (Recht am eigenen Bild) sollte daher gegenüber dem Interesse der*des Nutzenden, Zugang zu Bildung und Gemeinschaft zu erhalten und der Schulpflicht nachzukommen, zurücktreten. Denn die Schüler*innen haben ebenso das Recht und die Pflicht am Bildungsauftrag mitzuwirken und zu seiner Erfüllung beizutragen. Unmittelbare Nachteile aus den Video- oder Audiodaten sind zudem nicht ersichtlich, da eine Speicherung des Streams nicht stattfinden und eine mögliche Aufzeichnung der*des Nutzenden rechtzeitig unterbunden werden soll.

Nimmt man es ganz genau, besteht die Möglichkeit, mit dem Smartphone den Bildschirm des Tablets abzufilmen. Diese Möglichkeit besteht aber auch, wenn eine „normale“ Videokonferenz durchgeführt wird, wo jeder jeden sehen kann.

In diesem Fall sollten die*der Nutzende und die Erziehungsberechtigten oder ggf.  Zimmernachbarn auf die Vertraulichkeit verpflichtet werden, die in Kenntnis gebrachten Daten und Informationen nicht zu missbrauchen und gerade keine Fotos oder Videos vom Bildschirm zu machen. Die Verpflichtungserklärung sollte Voraussetzung für den Erhalt eines Avatars sein, um die personenbezogenen Daten der Lehrkräfte und Mitschüler*innen so gut es geht zu schützen. Daneben sollte die*der Nutzende aber grundsätzlich Kopfhörer verwenden, wenn Dritte in der Nähe sind und darauf achten, dass Dritte keine Einsichtnahme auf den Bildschirm nehmen (können).

Eine solche Verpflichtungserklärung wird auch an den Schulen in Rheinland-Pfalz vorausgesetzt. So werden die Erziehungsberechtigten des*der Nutzenden in einem Informationsschreiben des LfDI gebeten „[…] in einer Verpflichtungserklärung [zu]zusichern, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten und insb. den gestreamten Unterricht nicht aufzuzeichnen.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist die Erhebung und Verarbeitung dieser Daten dennoch erforderlich, angemessen und zur Erfüllung des Bildungsauftrags gerechtfertigt.

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag und die in diesem Zusammenhang erlaubte Datenverarbeitung ist ähnlich derzeit auch in Bremen (§§ 3 I, II, 5 BremSchulG i. V. m. Verf., §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 BremSchulDSG) geregelt. Darüber hinaus regelt Nordrhein-Westfalen (§§ 120 Abs. 5, 121 Abs 1 SchulG NRW) die Einbindung digitaler Systeme in den Unterricht konkreter und verpflichtet Schüler*innen und Lehrkräfte dazu diese zu nutzen (wir berichteten). Sehr wahrscheinlich bieten auch die restlichen Bundesländer vergleichbare Regelungen an.

Stets online

Die integrierte SIM-Karte ermöglicht es, den AV1 mit in die Pause auf den Flur oder den Schulhof zu nehmen oder ggf. auch auf Klassen-Exkursionen mitzunehmen. Die Mitnahme in die Pause, stellt aus datenschutzrechtlicher Sicht eher weniger ein Problem dar, da der Bildungsauftrag grundsätzlich nicht nur auf eine Klasse oder ein Klassenzimmer beschränkt ist, sondern die gesamte Schule umfasst. Die Schule sollte daher die gesamte Eltern- und Schülerschaft über den Einsatz des Avatars informieren und diesen, wie oben beschrieben, auf Art. 6 Abs. 1 lit. e DSGVO stützen.

Den Avatar zu Ausflügen mitzunehmen, ist hingegen kritischer zu betrachten, da hier nicht nur Zugehörige der Klasse bzw. Schule betroffen sein können, sondern auch Dritte, die über die Funktion des AV1 nicht informiert sind und auch schwer angemessen informiert werden können. Die Verarbeitung kann Dritten gegenüber nicht mit der Erfüllung des Bildungsauftrags gerechtfertigt werden, da sie selbst nicht verpflichtet sind zum Bildungsauftrag beizutragen und aus diesem Grund das Recht am eigenen Bild überwiegt. Daher ist die Empfehlung, zumindest bei Ausflügen auf die Mitnahme des Avatars zu verzichten.

Fazit

Mit dem AV1 kann der Spagat von Abwesenheit und dem Gefühl von Gemeinschaft überbrückt und den erkrankten Kindern ein ganz anderes Lern- und womöglich auch Lebensgefühl gegeben werden.

Besonders aufgrund der getroffenen Sicherheitsmaßnahmen durch No Isolation bei der Entwicklung und dem technischen Anschluss des AV1 sollten daher grundsätzlich keine Bedenken gegenüber der Nutzung des AV1 in der Schule seitens der Lehrkräfte und Eltern bestehen. Insbesondere, wenn die Nutzung des Avatars von einer Vertraulichkeitsverpflichtung abhängig gemacht wird.

Als Auftragsverarbeiter ist das Unternehmen No Isolation weisungsgebunden, sodass sie grundsätzlich nicht ohne Erlaubnis des Verantwortlichen eigenständig auf Dateninhalte zugreifen und diese Daten verarbeiten oder speichern sollten.

Der vorliegende Beitrag zeigt darüber hinaus, dass die Einholung einer Einwilligung als Rechtsgrundlage nicht immer praktikabel ist, sondern dass die DSGVO oft andere Rechtsgrundlagen bereithält, auf die eine rechtmäßige Datenverarbeitung gestützt werden kann.