Das E-Rezept wird zum 1. Januar 2022 für alle Arztpraxen und Apotheken bundesweit verpflichtend eingeführt (wir berichteten). Und bereits ab dem 1. Oktober sollte das E-Rezept freiwillig von allen Praxen und Apotheken angeboten werden können – so war es zumindest geplant.

Die Testphase verlängert sich

Als ich Mitte Oktober bei meiner Hausärztin ein Rezept für ein Schmerzmittel abholen wollte und nach dem E-Rezept fragte, lachte mich die medizinische Fachangestellte am Empfang freundlich an. „Keine Ahnung, wann und wie das ablaufen soll.“ war die Antwort auf meinen fragenden Blick.

Meine Hausarztpraxis gehört nicht zu den ausgewählten Praxen der Modellregion Berlin-Brandenburg, welche bereits im Sommer dieses Jahres mit der Testphase des E-Rezepts starteten. Einen Tag vor der bundesweiten freiwilligen Einführung des E-Rezepts durch alle Apotheken und Praxen gab die gematik GmbH, die Entwicklerin des E-Rezepts, bekannt, dass die Testphase um zwei weitere Monate verlängert wird. Apotheken und Praxen außerhalb der Modellregion haben somit nur einen Monat Zeit, das E-Rezept zu testen, bevor sie gesetzlich zur Nutzung verpflichtet sind. Dass es sich bei dem Testzeitraum dann auch noch um den Monat Dezember handelt, in welchem die Ärzte und Apotheker mit der jährlichen Erkältungs- und Grippewelle in der Vorweihnachtszeit zu kämpfen haben und sie die Feiertage ungern mit der Einführung des E-Rezepts verbringen wollen, scheint der gematik entfallen zu sein. Das Chaos ist vorprogrammiert.

Warum die Verzögerung?

Die gematik begründet die Verschiebung in einer Pressemitteilung damit, dass „[…] noch nicht alle Anbieter der Praxis- bzw. Apothekenverwaltungssysteme das für das E-Rezept notwendige Update bereitstellen können“. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisiert die knappen Fristen zur Umsetzung des E-Rezepts seit Langem. Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV, äußerte sich im Juni in einem Interview mit der APOTHEKE ADHOC besorgt: „Große Anbieter werden es voraussichtlich schaffen, bis zum 1. Januar die für das E-Rezept notwendigen Anwendungen in ihre PVS zu integrieren. Bei vielen kleineren Anbietern ist das aber längst nicht sicher. Deshalb habe ich große Sorge, ob alle Arztpraxen am 1. Januar in der Lage sein werden, E-Rezepte auszustellen. […]“

Die gematik nennt in ihrer Pressemitteilung als zweiten Grund für die Verlängerung der Testphase, dass „[…] viele Versicherte außerdem noch nicht die neueste Generation der elektronischen Gesundheitskarte mit NFC-Schnittstelle und dazugehöriger PIN“ hätten.

Mit der Beschreibung „viele Versicherte“ sind in der Realität „fast alle“ gemeint. Nur wenige der 73 Millionen gesetzlich Versicherten haben bisher Zugang zu dem für das E-Rezept erforderlichen NFC-Verfahren. Ein Hauptgrund dafür ist die umständliche Prozedur zur Freischaltung. Die Versicherten müssen sich vor Ort bei einer Geschäftsstelle ihrer Krankenversicherung identifizieren lassen, um die PIN für die Nutzung der NFC-Funktion zu erhalten. Die Geschäftsstellen der Krankenkassen waren in den vergangenen Monaten pandemiebedingt geschlossen oder nur eingeschränkt geöffnet. Da das E-Rezept bislang kaum eingesetzt wird, besteht für die Versicherten zudem wenig Anreiz, die NFC-Funktion vor Ort bei ihrer Krankenkasse zu beantragen.

Ausblick

Alle, die sich jetzt fragen, ob die Einführung des E-Rezepts nicht doch noch verschoben werden kann, finden in den FAQ auf der Website der gematik die richtige Antwort: „Der 1. Januar 2022 ist gesetzlich festgelegt.“ Über eine Hintertür wird jedoch schon gesprochen. Demnach soll das E-Rezept als „Opt-in“ in der Praxisverwaltungssoftware integriert sein und den Arztpraxen für eine Übergangsphase die Möglichkeit gegeben werden, weiterhin Rezepte in Papierform auszustellen. Wundert das jemanden? Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland nahm spät und langsam Fahrt auf und nun verzögert sie sich beinahe erwartungsgemäß.