Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:

Sonntag 13 Uhr, Sie sitzen mit Ihrer Familie gemütlich beim Mittagessen. Plötzlich klingelt das Telefon. Der Pfarrer Ihrer Gemeinde ruft an und erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei, schließlich war die gesamte Familie zum wiederholten Male dem Gottesdienst ferngeblieben. Auf Nachfrage erklärt er, dass er gerade die Auswertung des Programmes „Churchix“ vor sich hat und kein Familienmitglied als anwesend identifiziert wurde.

Fiktion oder Realität?

Nach einem Artikel des Spiegels online hat das israelische IT-Unternehmen Face-Six mit „Churchix“ ein Programm entwickelt, welches die Gemeindemitglieder per Gesichtserkennung erfasst und Besucherzahlen statistisch auswertbar macht. In einem Interview gegenüber ChurchMag erklärte Face-Six-CEO Moshe Greenshpan

“Reactions [to Churchix] are simply overwhelming. Churches we spoke with are saying it’s like a dream come through. Imagine the effort required to manually track the attendance of 100 or 500 members.“

Im Vordergrund soll dabei nicht die Überwachung von Kirchenräumen stehen, sondern die Erfassung, wer tatsächlich an den Gottesdiensten teilnimmt. Voraussetzung für eine Erfassung soll die freiwillige Anmeldung der Gemeindemitglieder bei Churchix sein. Die Software ermöglicht zwei Erfassungen: Live-Abgleich oder Auswertung einer Videodatei.

Personen, die nicht an Churchix aber am Gottesdienst teilnehmen, werden gleichwohl von der Software erfasst, als „unbekannt“ dokumentiert und einer manuellen Bearbeitung/Zuordnung zugeführt. Der Erfassung kann man sich somit nur durch ein Fernbleiben des Gottesdienstes entziehen.

Und in Deutschland vorstellbar?

Aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechts haben die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland ein eigenständiges Datenschutzrecht, welches sich jedoch an den europäischen Datenschutzvorgaben messen muss. Insoweit besteht in vielen Bereichen eine Nähe zum weltlichen Datenschutzrecht des Bundes.

An eine Gesichtserkennung unter Verwendung biometrischer Merkmale sind hohe Anforderungen zu stellen. Diese wird in der Regel nur zum Schutz besonders sensibler Bereiche (z.B. Serverraum, Sicherheitsbereiche) im Rahmen der Zutrittskontrolle genutzt. Hintergrund hierfür ist unter anderem die hohe Missbrauchsgefahr, beispielsweise durch Identifikationsdiebstahl. In diesem Zusammenhang sind auch die gesteigerten Anforderungen an eine Videoüberwachung im Gotteshaus in Erinnerung zu rufen. Da der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht mittels biometrischer Gesichtserkennung noch intensiver ist als bei der Videoüberwachung, müssen die hierbei bestehenden hohen Anforderungen erfüllt und weitergehende Maßnahmen getroffen werden.

Legt man den § 7a Abs. 1 S. 2 DSG-EKD („Während der Gottesdienste ist eine Videoüberwachung unzulässig.“) weit aus und definiert den Gang zum Gottesdienst als zu diesem zugehörig und die Gesichtserkennung als eine Form der Videoüberwachung, steht dem Einsatz der Gesichtserkennung in der evangelischen Kirche bereits eine gesetzliche Regelung entgegen.

Aber auch von der Gesichtserkennung losgelöst bestehen erhebliche Bedenken an einem Einsatz. Durch die Zuordnung der Bildnisse zu den einzelnen Gemeindemitgliedern kann relativ schnell festgestellt werden, ob sich diese gerade im Gottesdienst befinden und deren Haus oder Wohnung somit verlassen haben – eine ideale Informationsquelle also zur Planung von Einbrüchen.

Darüber hinaus geht zunehmend die Anonymität der Teilnahme am Gottesdienst verloren. Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass der Pfarrer sein Schäfchen kennt. In diesem Fall erfolgt aber eine Registratur der Besuche im Kopf und nicht digital mit Foto und Zeitstempel auf einem Datenträger.

Es wird davon ausgegangen, dass sich die Kirchen in Deutschland zu Churchix noch nicht geäußert haben. Während im Ausland bereits der Einsatz von Videoüberwachungstechnik in kirchlichen Einrichtungen und Gotteshäusern teilweise üblich ist, ist dies in Deutschland der Ausnahmefall und regelmäßig Anlass umfangreicher Diskussionen. Da mit der Nutzung einer Gesichtserkennung unter Verwendung biometrischer Merkmale gegenüber der Videoüberwachung grundsätzlich eine wesentlich intensivere Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen einhergeht, ist ein Einsatz von Churchix oder ähnlicher Verfahren in Deutschland nicht zu erwarten.

Dass die Nutzung von Gesichtserkennung in Deutschland allgemein ein brisantes Thema ist, zeigt die erneut aufkeimende Diskussion um die Wiedereinführung der automatischen Gesichtserkennung bei Facebook.