Wenn es nach den ersten Reaktionen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.07.2023 (Meta bzw. Facebook gegen das Bundeskartellamt) geht, ist die Welt seitdem eine andere. Unter anderem auf Twitter war von „KAWUMMM“, „Paukenschlag“ und von „erheblichen Auswirkungen auf werbefinanzierte Internetangebote“ zu lesen. Was es mit dieser Entscheidung aus Luxemburg auf sich hat und wie sie sich auf die Werbeindustrie tatsächlich auswirken kann, beschreibt dieser Blogartikel. Ganz nebenbei scheint der EuGH auch eine bisher offene Rechtsfrage beantwortet zu haben, nämlich ob eine andere als die ursprünglich genannte Rechtgrundlage zur Datenverarbeitung in Betracht kommt, wenn die genannte Rechtsgrundlage unwirksam ist. z. B. die Einwilligung rechtswidrig ist.
Was war passiert?
Gegenstand des Gerichtsverfahrens war ein Beschluss des Bundeskartellamts aus 2019 gegen Meta Platforms Ireland und Facebook Deutschland (im Folgenden: Meta). Das Bundeskartellamt untersagte Meta mit dem Beschluss, sich mit der Zustimmung zu den Allgemeinen Nutzungsbedingungen zur Nutzung von Facebook auch die Erhebung und Verarbeitung von sog. „Off-Facebook-Daten“ genehmigen zu lassen. Vielmehr müsse aus den Nutzungsbedingungen eindeutig hervorgehen, dass diese Daten nur mit einer Einwilligung verarbeitet und mit dem Facebook-Nutzerkonto verknüpft werden. Zudem dürfe besagte Einwilligung auch nicht zur Bedingung für die Nutzung des sozialen Netzwerkes gemacht werden. Durch diese nicht den Marktverhaltensregeln und Werten der DSGVO entsprechende Gestaltung der Nutzungsbedingungen würde Meta seine den Markt beherrschende Stellung missbrauchen.
Gegen diesen Beschluss des Bundeskartellamts ging Meta gerichtlich vor. Im Verlauf dieses Verfahrens wandte sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im sog. Vorlageverfahren an den EuGH. Im Vorlageverfahren beantwortet der EuGH nicht den jeweiligen Rechtsstreit als höhere Instanz, sondern beantwortet konkrete Vorlagefragen zur Auslegung des Europäischen Rechts wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Kurz darauf (noch 2019) änderte Meta die eigenen Nutzungsbedingungen dahingehend ab, dass die Nutzer bei der Nutzung von Facebook-Produkten in die Verarbeitung von Off-Facebook-Daten einwilligen, da für die Services ja ansonsten keine Kosten entstehen.
Was sind Off-Facebook-Daten?
Es handelt sich bei den Off-Facebook-Daten um solche, die Meta außerhalb von Facebook, Instagram oder WhatsApp sammelt. Gemeint sind hierbei Nutzertracking-Daten die von dem Werbenetzwerk von Meta auf zahlreichen Webseiten und Apps und auch von den zum Meta-Konzern gehörenden Online-Diensten erhoben werden. Diese Off-Facebook-Daten erlauben es Meta, das Konsumverhalten, die Interessen, Kaufkraft und Lebenssituation in Profilen zu erfassen und damit an die Facebook-Nutzer gerichtete Werbenachrichten zu konkretisieren und zu personalisieren. (Klicken Sie hier wenn Sie mehr über das Targeted Advertising erfahren möchten.)
Die wichtigsten Vorlagefragen des OLG Düsseldorf zusammengefasst
- Darf das Bundeskartellamt prüfen, ob eine Verarbeitung personenbezogener Daten den Anforderungen der DSGVO entspricht? (Frage 1)
- Ist die Verarbeitung von Daten aus z. B. Flirting-Apps, Homosexuellen-Partnerbörsen, Webseiten politischer Parteien oder gesundheitsbezogenen Webseiten durch soziale Netzwerke eine Datenverarbeitung von besonders sensiblen Datenkategorien im Sinne des 9 DSGVO? Und falls ja, macht der Nutzer sie durch seine Interaktion mit den Tracking-Tools zur Erfassung von Off-Facebook-Daten „öffentlich zugänglich“ im Sinne der Ausnahmevorschrift des Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO? (Frage 2)
- Kann die Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein soziales Netzwerk auf Grundlage der Vertragserfüllung im Sinne des 6 Abs. 1 lit. b oder aufgrund berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden? (Frage 3)
- Wie wirkt es sich auf die Freiwilligkeit der Einwilligung aus, wenn das soziale Netzwerk eine beherrschende Stellung auf dem Markt hat? (Frage 6)
Die Antworten des EuGH zu den Vorlagefragen
- Zur Frage 1 hinsichtlich der Prüfungsbefugnisse des Bundeskartellamts sieht der EuGH überhaupt kein Problem und bescheinigt den nationalen Wettbewerbsbehörden, dass sie im Rahmen Ihrer Befugnisse und Aufgaben auch die Vereinbarkeit nach der DSGVO prüfen können. So kann eine Wettbewerbsbehörde bei der Prüfung, ob eine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird, auch die Frage klären ob eine Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO überhaupt möglich ist. Sie ist verpflichtet, sich mit der federführenden Aufsichtsbehörde abzustimmen und abzuklären, ob es schon bekannte Meinungsbilder der Aufsichtsbehörden oder Gerichtsentscheidungen gibt und darf dann davon auch nicht inhaltlich abweichen, aber aufgrund einer eigenen Bewertung Schlussfolgerungen unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsrechts ziehen.
- Bei Frage 2 zur Anwendbarkeit der Vorschriften für besonders sensible Datenkategorien nach Art. 9 DSGVO bringt der EuGH seine Verwunderung zu der gestellten Frage dadurch zum Ausdruck, dass er diese Frage bejaht, ohne eine tiefergehende Begründung abzugeben. Somit ist die Verarbeitung dieser besonders sensiblen Datenkategorien immer dann rechtswidrig, wenn keine Ausnahme nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO vorliegt.
Die Folgefrage nach möglicherweise einschlägigen Ausnahmen aus Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO verneint der EuGH. Nach dieser Ausnahme ist eine Verarbeitung der besonders schützenswerten Daten nach Art. 9 DSGVO möglich, wenn „die betroffene Person [diese Daten] offensichtlich öffentlich gemacht hat“. Der EuGH stellt fest, dass das bloße Aufrufen von Websites oder Apps und die durch ein dort erfolgtes Webtracking (z. B. Cookies) verbundene Preisgabe solcher Informationen, keineswegs bedeutet, dass der Nutzer diese Daten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Genauso wenig liegt eine öffentliche Zugänglichmachung vor, wenn ein Nutzer solch sensible Daten auf Webseiten oder in Apps eingibt oder Schaltflächen betätigt. Anders sei dies nur dann zu bewerten, wenn der Nutzer zuvor explizit zum Ausdruck gebracht hat, dass Veröffentlichung an eine unbegrenzte Zahl von Personen erfolgen soll.
- Zu Frage 3 hinsichtlich der möglichen Rechtsgrundlagen, auf die Meta die Datenverarbeitung der Off-Facebook-Daten stützen kann, antwortet der EuGH zu den potentiell einschlägigen Rechtsgrundlagen im Einzelnen:Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO (Erfüllung eines Vertrages) ist keine geeignete Rechtsgrundlage, weil die Datenverarbeitung zur Erfüllung des Vertrages „objektiv unerlässlich sein [muss], um einen Zweck zu verwirklichen, der notwendiger Bestandteil der für die betroffene Person bestimmten Vertragsleistung ist.“
Nach dem EuGH ist das Anzeigen von personalisierter Werbung nicht erforderlich, um die Dienste des sozialen Netzwerkes anzubieten und daher nicht objektiv unerlässlich.
Der Grund für die Aufmerksamkeit, die das Urteil verursacht hat, findet sich in den folgenden Ausführungen:Auch Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (berechtigtes Interesse) kann hier keine taugliche Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung darstellen. Die Datenverarbeitung sei nur dann gerechtfertigt, wenn Meta den Nutzern bei Datenverarbeitung ein mit der Datenverarbeitung verfolgtes Interesse mitteilt und die Verarbeitung innerhalb der Grenzen erfolgt, die zur Verwirklichung des berechtigten Interesses unbedingt notwendig sind. Diese Grenzen werden aber nicht eingehalten, weil der EuGH davon ausgeht, dass die Interessen und Grundrechte der Nutzer, gerade im Hinblick auf eine potentiell grenzenlose Datensammlung, den Interessen von Meta, an dem Betreiben einer werbefinanzierten Mediaplattform, vorgehen. Die vorzunehmende Interessensabwägung geht also, auch wenn Meta kostenlos genutzt werden kann, zu Lasten Metas und Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO kann deswegen keine geeignete Rechtsgrundlage sein.
- Als letztes und in Bezug auf Frage 6 führte der EuGH aus, ob eine gegenüber Meta abgegebene Einwilligung nach Artt. 6 Abs. 1 lit. a, 9 Abs. 2 lit. a DSGVO den Anforderungen der DSGVO entsprechen könnte. Dem 42. Erwägungsgrund der DSGVO folgend ist die Einwilligung nicht als freiwillig erteilt anzusehen, wenn die betroffene Person nicht über eine echte Wahlfreiheit verfügt oder nicht in der Lage ist, ihre Einwilligung zu verweigern oder zu widerrufen, ohne Nachteile zu erleiden.
Die Tatsache, dass Meta eine marktbeherrschende Stellung innehat, schließt eine wirksame und freiwillige Einwilligung nicht aus. Zwar trage der Verantwortliche die Beweislast hierzu, dennoch muss der Umstand der marktbeherrschenden Stellung berücksichtigt werden, da das Verweigern einer Einwilligung aufgrund der Dominanz von Meta dazu führen kann, dass die verweigerte Einwilligung einen Nachteil für den potentiellen Nutzer mit sich bringt. Des Weiteren kann aufgrund einer solchen beherrschenden Stellung zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein Ungleichgewicht existieren, wodurch es u. a. leichter wird, ganz bestimmte Bedingungen durchzusetzen, die für die Erfüllung des Vertrags nicht unbedingt erforderlich sind. Konkret sagt der EuGH dazu:
„Daher müssen diese Nutzer die Freiheit haben, im Zuge des Vertragsabschlusses die Einwilligung in bestimmte Datenverarbeitungsvorgänge, die für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind, einzeln zu verweigern, ohne dazu gezwungen zu sein, auf die Nutzung des vom Betreiber des sozialen Online-Netzwerks angebotenen Dienstes vollständig zu verzichten, was bedingt, dass ihnen, gegebenenfalls gegen ein angemessenes Entgelt, eine gleichwertige Alternative angeboten wird, die nicht mit solchen Datenverarbeitungsvorgängen einhergeht.“ (Rn. 150 des Urteils)
Anschließend gibt der EUGH den Hinweis, dass aufgrund des Umfangs der Datenmenge und des Umstandes, dass der Nutzer nicht mit der Verarbeitung von Daten rechnen musste, die außerhalb des Netzwerkes gesammelt wurden, eine gesonderte Einwilligung einerseits und in die Verwendung der Off-Facebook-Daten andererseits erteilt werden muss, da ansonsten die abgegebenen Einwilligungen nicht freiwillig abgegeben wurden.
Einschätzung des Urteils
Zunächst ist wichtig zu erwähnen, dass der EuGH nur zu den konkreten Fragen des vorlegenden Gerichts entschieden hat. Diese Antworten des EuGHs sind insoweit bindend, als dass das OLG Düsseldorf sie bei der eigenen Entscheidung in der Sache berücksichtigen muss. Die letztendliche Entscheidung verbleibt also in der Zuständigkeit des OLG Düsseldorfs.
Das Urteil hat eine enorme Ausstrahlungskraft auch auf künftige datenschutzrechtliche Bewertungen. Nur weil ein soziales Netzwerk kostenlos ist, muss der Nutzer nicht damit rechnen, dass seine Daten ohne seine Einwilligung zum Zweck der Personalisierung von Werbung verarbeitet werden. Insbesondere kann deshalb auch das berechtigte Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO keine Anspruchsgrundlage sein.
Gleichwohl bestätigt der EUGH mehrfach, dass Marketing grundsätzlich auch weiterhin auf das berechtigte Interesse des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden kann, wenn sich die Meta Nutzungsbedingungen und die Datensammelpraxis in einer für den Nutzer transparenten Weise ändern. Auch in Zukunft wird Werbung ohne eine Einwilligung möglich sein!
Mit dem Urteil scheint auch eine bisher offene Frage beantwortet zu sein, nämlich ob alternative Rechtsgrundlagen aus Artt. 6 Abs. 1 lit. b-f DSGVO überhaupt herangezogen werden können, wenn sich die vorher abgegebene Einwilligung als rechtswidrig herausstellt. Der EuGH betont für solche Fälle jedoch, dass hier eine enge Auslegung dieser alternativen Rechtsgrundlagen erfolgen müsse.
Fazit
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Onlinemarketing auch in Zukunft möglich sein wird. Auch wenn diese Entscheidung den speziellen Einzelfall Meta behandelt hat, bieten die Ausführungen neue und wertvolle Anhaltspunkte auch für die Bewertung von anderen Social Media Diensten, die keine marktbeherrschende Position inne haben und weniger Daten sammeln oder andere Techniken verwenden.
Wir dürfen gespannt sein, ob und wie Meta seine Nutzungsbedingungen und die Datensammelpraxis anpassen wird. Schlussendlich obliegt es nun dem OLG Düsseldorf hierauf einen maßgeblichen Einfluss zu nehmen.