Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum, insbesondere an Bahnhöfen und sozialen Brennpunkten nimmt seit Jahren zu. Längst sind vielerorts Videoüberwachungssysteme installiert, die der Prävention von Straftaten oder der Strafverfolgung dienen. Zu nennen sind hier Kameras im öffentlichen Nahverkehr, aber auch mobile Body-Cams bei Mitarbeitern der Deutschen Bahn und der Polizei der Bundesländer.

Die Deutsche Bahn möchte noch in diesem Jahr ein Schritt weiter gehen und zusammen mit dem Innenministerium und der Bundespolizei ein Pilotprojekt zu einer „intelligenten Videoüberwachung“ am Berliner Bahnhof Südkreuz starten. Der Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat bereits im letzten Jahr den Test eines solchen intelligenten Überwachungssystems angekündigt.

Überwachung mit KI und Gesichtserkennung

Die hierbei eingesetzte Software soll neben dem üblichen Bild zusätzliche Faktoren automatisch erfassen und auswerten. Unter anderem sollen Bewegungsmuster von Personen sowie verdächtige Gegenstände wie z.B. Gepäck am Bahnsteig in die Bewertung situativ bedingt einfließen. Die Software soll in der Lage sein, typische Bewegungsabläufe von Taschendieben zu erkennen und Sicherheitskräfte zu alarmieren. Zudem ist das Überwachungssystem mit einer Gesichtserkennungssoftware ausgestattet, die den Abgleich von Personen mit bestehenden Daten, beispielsweise aus der Datei „Gewalttäter Sport“, ermöglichen soll.

Nachwievor besitzen derartige Systeme eine hohe Fehlerquote, die sich unter anderem aus schlechten Lichtverhältnissen, optischen Ungenauigkeiten oder sonstigen technischen Fehlern ergeben. Ein erstes Pilotprojekt am Mainzer Bahnhof scheiterte aus diesem Grund vor rund 10 Jahren.
Es besteht daher die Vermutung, dass die Software einen falschen Alarm auslösen kann, wenn ein Fahrgast mehrmals dieselbe Rolltreppe nimmt, weil er wegen einer Zugverspätung die Wartezeit überbrücken muss, oder in Eile zum Zug rennt.

Die Technik hat sich jedoch auch weiterentwickelt. Mittlerweile können Kameras das Augenzwinkern eines Menschen aus mehreren hundert Metern Entfernung registrieren und derartige hohe Auflösungen erreichen, dass sich aus einem aus 12 Meter Entfernung aufgenommenen Foto der Fingerabdruck oder das IRIS-Muster generieren lässt. Die fortschreitende Technologie erlaubt es daher, immer mehr personenbezogene bzw. biometrische Daten (§ 3 Abs. 1 BDSG) aufzunehmen. Zum Teil handelt es sich dabei um sensible Gesundheitsdaten (§3 Abs. 9 BDSG). Beispielsweise lassen sich aus dem Wärmelichtbild, dem IRIS-Scan oder weiteren Verhaltensmustern in naher Zukunft Krankheiten diagnostizieren.

Datenschutzrechtliche Bedenken

Das Szenario wirft datenschutzrechtliche Bedenken auf: Die automatische Analyse des individuellen Verhaltens jedes Anwesenden geht über die bloße Erfassung des öffentlichen Raums deutlich hinaus. Etwaige Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit des Besuchers oder Fahrgastes, der sich nur schwerlich gegen seine Erfassung wehren kann, liegen auf der Hand. Zumal trotz der optimierten Technik situationsbedingte Bewegungsabläufe der Anwesenden falsch eingeschätzt werden können, z.B. beim Warten auf dem Bahnsteig.

Eine intelligente Videoüberwachung erhöht die Intensität der Grundrechtsgefährdung des Einzelnen. Die Gefahren der Gesichtserkennung für den Einzelnen werden dabei häufig unterschätzt, schließlich wird die Feststellung und der Abgleich derartiger biometrischer Daten des Individuums dank der Technik immer leichter. Auf Grund der Einzigartigkeit von persönlichen Merkmalen kann mit zunehmender Qualität der Aufnahme bzw. Berechnung eines individuellen Musters wie beim virtuellen Fingerabdruck der Betroffene ohne Probleme wiedererkannt werden, selbst wenn sich dieser z.B. die Haare färbt oder eine Brille trägt. Je mehr individuelle – und von der Natur aus gegebene – Merkmale ausgewertet und verglichen werden können, desto höher wird die Treffergenauigkeit.

Damit stellt sich eine weitere Frage: Wie wird sich die Gesellschaft verändern, wenn die künstliche Intelligenz durch Überwachungsmaßnahmen eventuell Straftaten vorhersehen kann?

Rechtliche Anforderungen an die intelligente Videoüberwachung

Derartige intelligente Überwachungssysteme dürften den Sinn und Zweck der allgemeinen „Videoüberwachung“ nach § 6b BDSG bzw. etwaiger spezialgesetzlicher Vorschriften der Landes- ( in Hessen: § 14 Abs. 6 HSOG; in Hamburg: § 8 Abs. 5 PolDvG HH) oder Bundespolizei (§§ 26, 27, 28 BPolG) übersteigen. Es werden nicht nur die Bildnisse als personenbezogenes Datum verarbeitet. Vielmehr werden zusätzliche individuelle Bewegungsprofile und biometrische Daten, z.B. im Wege der Gesichtserkennung erhoben und gespeichert. Und biometrische Daten dürfen spätestens ab Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung im 25. Mai 2018 nur in sehr speziellen Ausnahmefällen verarbeitet werden (Vgl. Art. 9 DSGVO).

Für einen flächendeckenden Einsatz von intelligenten Videoüberwachungssystemen bedürfte es wohl einer neuen gesetzlichen Rechtsgrundlage, die explizit den Umfang der Datenverarbeitung sowie dessen Zweck darstellt sowie eine räumliche/zeitliche Begrenzung und kurze Speicherfristen vorschreibt. Auch muss ausdrücklich auf die Betroffenenrechte verwiesen werden. Ein Rückgriff auf das Hausrecht oder die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel wird einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Insgesamt muss die Videoüberwachung verhältnismäßig sein. Hierbei gilt es, die divergierenden Interessen aller Akteure abzuwägen, wobei das Hauptaugenmerk auf die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen zu legen ist. Immerhin entsteht ein Überwachungsdruck, zumal aus dem System [ex machina] ein Generalverdacht gegenüber allen Anwesenden im überwachten Bereich resultiert, die durch ihre Bewegungen und Blicke in das Kamerasuchfeld als potenzielle Täter eingestuft werden. Aus diesem Grund wird von vielen Datenschützern bereits bei der biometrischen Gesichtserkennung zum Bildabgleich mit anderen, zuvor gespeicherten Daten (z.B. von der Polizei) wie auch bei der computergesteuerten, vertieften Verhaltensanalyse aller Anwesenden regelmäßig das Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personenangenommen. Aus der Entscheidung des BVerfG vom 11.03.2008 (BVerfG, Az.: 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07) geht deutlich hervor, dass gerade keine anlasslose und flächendeckende Überprüfung des Einzelnem im öffentlichen Raum erfolgen darf. Die generelle Überwachung fußt jedoch auf keinen konkreten Anlass.

Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Maja Smoltczyk, bestätigt diese Einschätzung in einer Stellungnahme vor wenigen Tagen und warnte vor den neuen Vorzügen der Überwachung: „Der Einsatz von Videoüberwachung mit Gesichtserkennungsfunktionen ist mit erheblichen Risiken verbunden und nur in engen Ausnahmefällen zulässig! Bei der Verwendung dieser Technik ist daher mit hoher Sensibilität vorzugehen.“

Nach alledem bedarf es erhöhter technisch-organisatorischer Maßnahmen. So sind unter anderem im Eingangsbereich und an weiteren gut sichtbaren Standpunkten im überwachten Bereich deutliche Hinweisschilder auf die Videoüberwachung anzubringen. Dieser Hinweis verlangt neben dem „Kamera“-Piktogramm aber auch die Aufklärung über das Ausmaß und Zweck der Überwachung, insbesondere auch über die eingesetzte Technik und die technischen Möglichkeiten in verständlicher Form. Ein Schild mit der Aufschrift „Dieser Bereich ist videoüberwacht“ reicht dafür nicht aus. Die Informationspflichten für die Videoüberwachung werden mit der Datenschutz-Grundverordnung noch umfangreicher.

Kurze Speicherfristen

Bei einer flächendeckenden Überwachung stellt sich zudem die Frage nach der angemessenen Speicherfrist des Bildmaterials. Je mehr personenbezogene Daten und begleitende Informationen erhoben werden, desto kürzer sollten diese Daten gespeichert werden.

Hier empfiehlt sich in Anlehnung an das Black-Box-Verfahren, das rege Anwendung bei den Überwachungsanlagen im öffentlichen Nahverkehr erfährt, eine Speicherfrist von 24 bis max. 48 Stunden. In diesem Rhythmus wird das Videomaterial überschrieben, sofern nichts Auffälliges entdeckt wird oder eine Beanstandung im relevanten Zeitraum erfolgte.

Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Baden-Württemberg, Stefan Brink zeichnete jüngst in einem Interview solche positiven Aspekte der verbesserten Technologie der Videoüberwachung auf. So würden weniger Aufzeichnungen an Videomaterial benötigt, wenn „95 bis 99 Prozent der Videoaufnahmen gleich wieder verworfen werden“ können, in der das Programm eine sogenannte „Normallage“ erkennt. Dies führe zu einem „sparsameren Umgang mit Daten der Bürger“. Gleichwohl bleiben Zweifel an dieser Deutungsmöglichkeit wie auch an der Notwendigkeit dieser Datenerhebung bestehen.

Fazit

Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedenken aus der Perspektive des Datenschutzes sollte das Pilotprojekt der Deutschen Bahn zeitlich und organisatorisch beschränkt durchgeführt, anschließend evaluiert und öffentlich zur Diskussion gestellt werden.

Eine ausgeweitete Anwendung der intelligenten Videoüberwachung ist äußerst problematisch. Einen hierfür erforderlichen datenschutzkonformen Rechtsrahmen gilt es noch zu entwickeln, insbesondere durch das Erbringen einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage. Dabei sind die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung zwingend zu berücksichtigen.

Auch die bereits zuvor erwähnten Veränderungen für die Gesellschaft sind zurzeit nicht überschaubar. Möglicherweise sind diese sogar schwerwiegender als derzeit angenommen, zumal es keinerlei vergleichende soziologische Studien zu diesem Thema gibt. Wie verhält sich der Mensch, wenn er bei jedem Schritt verfolgt und analysiert wird?