Während in den USA der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und Algorithmen in der Justiz schon in der Praxis angekommen ist, wird dieses Thema auch in der deutschen Justiz immer präsenter.

Denn bereits seit längerer Zeit werden in den USA von Richterinnen und Richtern in Strafverfahren Computerprogramme verwandt, um die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern zu bewerten. Die eingesetzten Programme ermitteln dabei aus verschiedenen Informationen über die kriminelle Vergangenheit und den Lebenslauf einen Risikowert. Der Risikowert wird dann u.a. dazu genutzt, eine Entscheidung über die vorzeitige Haftentlassung oder sogar über die Strafzumessung zu treffen. In den USA sind diese Systeme teilweise schon seit ca. zwei Jahrzehnten im Einsatz.

Digitalisierung in der deutschen Justiz

Mittlerweile soll auch in der deutschen Justiz die Digitalisierung weiter voranschreiten, da auch hierzulande die Datenmengen in den Verfahren wachsen und die Aktenberge immer größer werden. Vor allem für Verfahren die massenweise stattfinden und bei denen die Rechtslage weitestgehend geklärt ist, soll die Digitalisierung schneller vorangetrieben werden. Teilweise werden hierfür KI-gestützte Richterassistenzen entwickelt. So hat bspw. das niedersächsische Justizministerium, um nur eines der vielen Projekte zu nennen, vor nicht allzu langer Zeit die Entwicklung eines solchen Systems in Auftrag gegeben, wie aus einer Presseinformation vom 22.06.2023 hervorgeht.

Weitere Anwendungsfelder ergeben sich aber auch bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. So werden von Legal-Tech-Unternehmen vor allem im Rahmen der Fluggastrechteverfahren, bei den Verfahren rund um den Pkw-Diesel-Skandal sowie bei der gesetzlichen Mietpreisbremse bereits seit einiger Zeit KI und Algorithmen im größeren Ausmaß verwandt. Im letztgenannten Fall können Betroffene bspw. bei einem Legal-Tech-Unternehmen ihre Basisdaten eingeben. Die KI ermittelt dann, ob die Betroffenen einen rechtlichen Anspruch auf geringere Mieten haben und übermittelt die Daten an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die den Anspruch gerichtlich durchsetzen.

Was sind die Risiken des Einsatzes von KI und Algorithmen?

Risiko der skizzierten Technologien könnte u.a. sein, dass die Entscheidungsfindung in der Justiz intransparent wird, wenn nicht ein Mensch seine Entscheidung, die er auf Basis der rechtlichen Vorgaben getroffen hat, begründet. Es besteht bei dem Einsatz von KI und Algorithmen bspw. die Gefahr, dass sich sog. rassistische Feedbackschleifen in die Algorithmen eingraben, weil diese einseitig mit Trainingsdaten gefüttert worden sind. Man spricht in diesem Fall auch von einem sog. Trainingsdaten-Bias, der bei der Programmierung der KI unbedingt vermieden werden muss.

Und was sind die Chancen?

Als einer der größten Vorteile der Unterstützung der Justiz durch KI und Algorithmen wäre wohl eine größere Objektivität bei der Entscheidungsfindung zu nennen. Auf diese Weise könnte die nicht unerhebliche Streubreite der deutschen Justiz reduziert werden. Denn für einen Wohnungseinbruch wird man bspw. in München deutlich härter bestraft als in manch einem anderen Teil der Republik.

Durch Algorithmen könnten daher regionale Straftraditionen, die zu einer starken Abweichung in der Strafzumessung führen, reduziert werden und die Gerechtigkeit gefördert werden. Voraussetzung für eine größere Objektivität durch KI wäre jedoch, dass Urteile auf breiter Basis in digitaler Form zur Verfügung stehen, was derzeit nur zu einem ganz geringen Anteil der Fall ist.

Die derzeitige Regierungskoalition hat in diesem Zusammenhang in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass Urteile grundsätzlich in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein sollen. Aus dem Koalitionsvertrag lässt sich also ableiten, dass das politische Bewusstsein für dieses Problem durchaus vorhanden ist. Nur an einer gesetzlichen Umsetzung, die absolut zu begrüßen wäre, um Trainingsdaten für eine KI zur Verfügung zu haben, fehlt es momentan leider noch.

Fazit

Maschinen dürfen unterstützen, aber am Ende steht immer ein Mensch. Das sollte die Maßgabe bei der Einführung von KI in der Justiz sein. Denn selbst einfach gelagerte Fälle benötigen immer auch eine Einschätzung, die auf Empathie beruht, was derzeit noch von keiner KI geleistet werden kann. In diesem Zusammenhang spielt bei der Bewertung eines Rechtsfalls insbesondere in einem Strafverfahren auch eine richterliche Einschätzung eine wichtige Rolle, die den pädagogischen Effekt eines Urteils bei der Täterin und bei dem Täter berücksichtigt.

Zumal ist für den Einsatz von KI ohne menschliches Zutun in der Rechtsprechung eine Grundgesetzänderung notwendig. Diese normative Begrenzung wird sich mutmaßlich in absehbarer Zukunft nicht auflösen. Dass Europa auf dem Gebiet des Einsatzes von KI in der Justiz jedoch zukünftig eine führende Rolle einnehmen kann, ist nicht fernliegend. Denn mit der geplanten EU-Verordnung über die Regulierung von künstlicher Intelligenz – dem sog. AI Act – wäre weltweit die erste umfassende Regulierung von KI geschaffen, die zusammen mit nationalen Regelungen, wie sie die jetzige Regierungskoalition zur digitalen Verfügbarkeit von Urteilen in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat, zu einer weiteren positiven Entwicklung in Europa auf diesem Gebiet führen kann.